Der slowenische Notar, Autor und Kunstmäzen Gorazd Šifrer will mit Kunst und Kultur die beiden Teile der Steiermark einander näherbringen. Eine Bestandsaufnahme von Verbindendem und Trennendem im österreichischen und im slowenischen Teil des Landes.
Die Steiermark wurde vor einem Jahr hundert geteilt, jetzt ist der Augenblick angebrochen, alle Ängste beiseitezulegen und ohne Vorurteile an die Zusammenarbeit zu denken“, so fasst Gorazd Šifrer seine Vision zusammen. Kunst und Kultur sind für ihn Instrumente, die Teilung zu überwinden und zu eng kooperierenden Nachbarn zu werden.
Šifrer gehört der deutschsprachigen Minderheit in Slowenien an, die es auch nach dem Ende des Kommunismus nicht gerade leicht habe, wie er sagt. Das Verhältnis sei nach wie vor nicht ganz einfach. Vertreibung, Krieg und Kommunismus, die Geschichte der Slowenen und der deutschsprachigen Minderheit ist belastet von Traumata, die immer noch nachwirken. Šifrer wünscht sich, dass die slowenischen und die österreichischen Steirer näher zueinander finden. Nicht etwa, indem er Staatsgrenzen in Frage stellt, sondern in dem er das gemeinsame kulturelle Erbe betont. Wie ernst es ihm damit ist, kann man an der Fassade des Prva-Gymnasiums in Maribor/Marburg sehen. „Dieses Neo-Renaissance-Gebäude ist eines der schönsten in Maribor/Marburg“, sagt er. Das Zifferblatt der Uhr war nach dem Krieg erneuert worden, und zwar sehr auf hässliche Art und Weise. Šifrers Freund, der Restaurator Aleš Lombergar, hatte als Schüler 1979 heimlich das Zifferblatt verschönert und diese Tat anlässlich des 170-Jahr-Jubiläums der Schule gestanden. Šifrer und Lombergar schlugen also der Schulleitung vor, das Zifferblatt so zu restaurieren, wie es ursprünglich ausgesehen hatte. Šifrer finanzierte die Arbeit, Lombergar leitete die Arbeiten. Jetzt prangt auf dem wiederhergestellten Zifferblatt das Bild eines kleinen steirischen Apfels. „Kein Teil der Steiermark ist eine Insel für sich allein“, erklären Šifrer und Lombergar. „Wir alle sind Teil der Ganzheit, Grundlage unseres Bestehens sind Eintracht, Verständnis und Wohlwollen.“ Dafür steht der Apfel als Symbol für Einheit und Zusammengehörigkeit. Dass man mit Kunst Menschen einander näherbringen und Verletzungen lindern kann, davon ist Šifrer aus tiefstem Herzen überzeugt. Es ist für ihn Lebensinhalt und Auftrag zugleich. „Ein Leben ohne die Kunst, in jeglicher Form, ist ein verlorenes Leben“, schreibt er in seinem 2019 erschienenen; zweisprachigen Gedichtband „Pesmi“, dessen Veröffentlichung der Grazer Primar Günter Nebel, Gründer der SANLAS Holding, möglich gemacht hat.
„Viele bedauern heute, dass sie ihre slowenische Muttersprache nicht mehr an ihre Kinder weitergegeben haben.“
SUSANNE WEITLANER
Leiterin des slowenischen Kulturvereins
„Artikel VII“
„In Šifrers Lebensethos sind die europäischen Werte vom Dialog und der Mitarbeit stark eingeflochten“, schreibt der Publizist Drago Medved über Šifrer. „Er ist ein Mensch des Konsens und der Achtung vor der Schöpfung im breitesten Sinne.“ Ein Netzwerk, das Šifrer bei seiner Mission unterstützt, ist der St. Georgs-Orden, der europäische Orden der Familie Habsburg-Lothringen. „Das Ziel dieses Ritterordens ist die Einigung Europas von unten nach oben“, erklärt Šifrer. „Das war immer die Vision des Ordensgründers Otto von Habsburg.“ Es gehe um eine Einigung, die von Menschen getragen wird und nicht bloß von Staaten und deren Regierungen, um gegenseitige Wertschätzung und um die Überwindung historischer Gräben.
Dass diese Gräben, was die Steiermark betrifft, bis in die Gegenwart nachwirken, macht die Situation der Minderheiten deutlich. Die deutschsprachige Minderheit in Slowenien ist bis heute nicht als Minderheit anerkannt, die slowenische Minderheit in der österreichischen Steiermark musste bis 2003 auf ihre Anerkennung warten. Und das, obwohl die beiden Volksgruppen über Jahrhunderte hinweg zusammenlebten. Geteilt wurde das Land nach dem Ende des Ersten Weltkriegs bei den Friedensverhandlungen von St. Germain. Deutsch-Österreich, der Nachfolgestaat der Doppelmonarchie, musste die Untersteiermark an das Königreich Jugoslawien abtreten. Die Steirer diesseits und jenseits der Grenze wurden nicht gefragt. Die neue Grenze durchschnitt Siedlungen und Bauernhöfe. Der Druck, in der neuen Mehrheitsgesellschaft aufzugehen, tat sein Übriges. Damit ging auch im österreichischen Teil der Steiermark das slowenische Element nach und nach verloren. Und das obwohl um 1910 ein Fünftel der Grazer Bürger slowenisch sprach. „Für die steirischen Eliten war die Abtrennung der Untersteiermark ein kollektives Trauma“, erklärt der Historiker Christian Promitzer von der Universität Graz. Wie schmerzhaft die Teilung für viele war, macht der Text der steirischen Landeshymne deutlich: „Hoch vom Dachstein an, wo der Aar noch haust, bis zum Wendenland am Bett der Sav‘, und vom Alptal an, das die Mürz durchbraust, bis ins Rebenland im Tal der Drav‘ “, heißt es in der ersten Strophe des Dachsteinlieds. 1929 wurde das Lied zur steirischen Landeshymne: „Die Drau und das Wendenland gehörten da längst schon zum jugoslawischen Königreich“, sagt Promitzer.
10 Jahre Slowenischer Lesesaal: Landeshauptmann Christopher Drexler, Minister Matej Arčon, Landesbibliothek-Direktorin Katharina Kocher-Lichem, Susanne Weitlaner, Leiterin des Art-VII-Kulturverein, Botschafter Aleksander Geržina und Aljaž Arih vom Slowenischen Kulturinformationszentrum (v.l.).
Der Zweite Weltkrieg, die Zwangsaussiedelung der slowenischen Bevölkerungsgruppe durch die Nazis und die Vertreibung der Deutschen nach dem Krieg, drückte lange Jahre wie ein Alb auf die Beziehungen. Wer auf der österreichischen Seite slowenisch sprach, der tat es nur in der Familie. Man hätte ja in den Verdacht geraten können, Kommunist zu sein, hieß es oft. Viele Eltern gaben auch deshalb ihre Muttersprache nicht an ihre Kinder weiter. Die steirischen Slowenen waren bis in die 1990er Jahre eine Art unsichtbare Minderheit. Das wollte der Grazer Universitätsprofessor Wolfgang Gombocz nicht hinnehmen und gründete den Kulturverein „Artikel VII“. Der Name verweist auf den Artikel des Staatsvertrages, der die Rechte der slowenischen und kroatischen Minderheiten in den Bundesländern Kärnten, Steiermark und Burgenland anerkennt. Die Gründung des Vereins polarisierte. Drei Tage vor Eröffnung des Kulturzentrums Pavelhaus findet Gombocz eine Bombe in einem Blumentopf. Heute leitet Susanne Weitlaner diese Vertretungsorganisation der slowenischen Minderheit in der Steiermark. „Viele Jahre lang hatte man Angst vor der Volksgruppenfrage“, sagt sie. „Mit der Anerkennung der Minderheit durch die steirische Landesregierung vor 20 Jahren hat sich das geändert.“ Heute fänden es viele Menschen schade, dass sie die Sprache ihren Kindern nicht weitergegeben hätten. In der Grenzregion werde heute wieder vermehrt slowenisch gelernt. Man wolle sich ja mit den slowenischen Nachbarn unterhalten, oder auf der anderen Seite der Grenze eine Pizza bestellen können. „Unter Jugendlichen ist das ein Statusgewinn, weil die Pizza drüben billiger ist“, erzählt Weitlaner lachend. In Bad Radkersburg/ Radgona kann man inzwischen auf Slowenisch maturieren und das Pavelhaus ist zum anerkannten Begegnungsort für Štajrer und Steirer geworden.
Gorazd Šifrer vor der Karte der
historischen Steiermark/Štajerska:
In gegenseitiger Wertschätzung
Gräben überwinden.
Seit zehn Jahren finden Slowenen in Graz in der Landesbibliothek Bücher in ihrer Sprache. Der „Slowenische Lesesaal“ war eine Initiative des slowenischen Außenministeriums, die Bibliothek in Maribor bestückt ihn mit Büchern. Katharina Kocher-Lichem, Direktorin der Steiermärkischen Landesbibliothek, freut sich, dass damit die „slowenische Kultur in Graz sichtbar ist“. Es gehe um viel mehr als nur um Bücher. Deshalb wurde das zehnjährige Bestehen auch mit prominenten Gästen gefeiert: Landeshauptmann Christopher Drexler, der slowenische Botschafter Aleksander Geržina und der Minister für die slowenischen Minderheiten, Matej Arčon, gaben sich die Ehre. Die beiden Teile der Steiermark wachsen nach einem Jahrhundert der Trennung wieder zusammen. Die Steiermark/Štajerska wird wieder zum gemeinsamen Wirtschafts- und Kulturraum, der es eigentlich immer war.
Fotos: MiasPhotoart, Matjaž Wenzel, HBLA Forstwirtschaft, Land Steiermark/Binder