Grazetta

„ZUKUNFT statt RETRO“

Grünen-­Chef und Vizekanzler Werner Kogler zieht im GRAZETTA-­Interview Bilanz über die Regierungsbeteiligung und erklärt, warum nach Einführung des Klimatickets der weitere Ausbau der Bahn der nächste Schritt sein muss.

GRAZETTA Sie geben das Interview an einem der heißesten Tage des Jahres. Dass wir eine Klimakrise erleben, steht außer Streit. Und trotzdem verteidigt Ihr Koalitionspartner, die ÖVP, den Verbrennungsmotor.
WERNER KOGLER • Die ÖVP betet den Verbrennungsmotor an wie ein goldenes Kalb. Klar ist: In Europa wird sich der Elektroantrieb durchsetzen, das weiß auch die Autoindustrie, die da sehr viel moderner unterwegs ist als die ÖVP. Wir brauchen den grünen Strom, egal, ob man damit grünen Wasserstoff erzeugt, oder ihn für E-Mobilität nutzt. Der Autoantrieb mit Wasserstoff wird sich aber nicht durchsetzen, weil ein E-Motor einfach fünf bis siebenmal so effizient ist. Für die steirischen Autozulieferer ist die E-Mobilität eine große Chance, gerade im Bereich der Antriebs- und Akkutechnologie. AVL setzt auf Elektroantrieb und auf Wasserstoff. Das ist eine gute Nachricht für die Region, weil hier zukunftsfähige Jobs generiert werden. Und auch Grüner Stahl ist die Zukunft, da werden in Leoben und Donawitz gerade Schritte für die Herstellung gesetzt. Dafür braucht es aber auch die richtigen Rahmenbedingungen und Förderungen. Wir werden
in der Union das erste Land sein, in dem grüner Stahl produziert wird.

Glaubt man Umfragen, so scheint ein erheblicher  Anteil der Bevölkerung gegen die grüne Transformation zu sein.
WK • Es gibt in Teilen der Bevölkerung das Bedürfnis nach Retro, das wird von verschiedenen Parteien und Interessensvertretungen befeuert. Die FPÖ leugnet den Klimawandel gegen alle Fakten, über die ÖVP haben wir schon gesprochen und die SPÖ asphaltiert bei der ersten Gelegenheit den Lobautunnel durch ein Naturschutzgebiet. Die Einflüsterer der Öl-Lobby und der Beton-Barone wollen die Volkswirtschaft an der Droge des Öls halten. Da fällt mir immer Deutschlands Kaiser Wilhelm ein, der gesagt hat: „Das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung, ich glaube an das Pferd.“ In diesem Konflikt geht es um Zukunft versus Retro. Da werden wir dagegenhalten.

Stichwort Renaturierung. Wie erklären Sie sich die massive Kampagne gegen Ihre Umweltministerin  Leonore Gewessler? Obwohl eine Mehrheit der Bürger in Österreich für das EU-Gesetz ist.
WK • Was wir da auf europäischer Ebene ermöglicht haben, war ein dramatischer Schritt. Leonore Gewesslers mutige Zustimmung zur Renaturierung hat uns in ganz Europa viel Anerkennung gebracht. Umwelt- und Klimaschutz sind für eine Mehrheit der Menschen die wichtigste Zukunftsfrage. Mir geht es um eine Mischung von Klimaschutz, nachhaltiger Wirtschaft und sozialer Absicherung, Rechtsstaat und Demokratie. Dabei ist uns viel gelungen, es muss noch viel mehr geschehen.

Der größte Erfolg in der Wahrnehmung der Bürger ist das Klimaticket. Wird das auch wirklich den  Grünen zugerechnet?
WK • Ich denke schon. Viele Menschen kommen auf uns zu, um sich zu bedanken. Es wurden 300.000 Klimatickets verkauft, das ist eine beachtliche Anzahl. Der nächste Schritt muss der weitere Ausbau der Bahn sein. Dafür haben wir Milliarden reserviert. In den nächsten 15 Jahren würden wir dafür 20 Milliarden brauchen. Jahrelang wurde Geld in Straßen gebuttert, wir bringen das auf Schiene. Am Ende entscheiden die Menschen, wo das Geld hingeht.

Wir werden in der Union das erste Land sein, in dem grüner Stahl produziert wird.

WERNER KOGLER, Vizekanzler und Grünen-Chef

In der Steiermark fordern ÖVP und FPÖ den  dreispurigen Ausbau der A9 südlich von Graz.
WK • Das wäre die falsche Lösung. Viel wichtiger wären das zweite Gleis der Bahn, der Ausbau von Park and Ride und ein wirkliches Verkehrskonzept.

Den Grünen ist es nicht gelungen, das Klimaschutzgesetz durchzusetzen. Das ist wohl eine schmerzhafte Niederlage.
WK • Da muss man differenzieren: Das Klimaschutzgesetz ist nichts anderes als ein verbindlicher Fahrplan für die Senkung der Emissionen. Es gab viele Klimaschutzgesetze von Regierungen vor uns und nichts ist weiter-gegangen. Wir haben jetzt das Gegenteil: Keinen festgelegten Fahrplan, aber wichtige Maßnahmen, durch die die CO2-Emissionen sinken und zwar zwischen fünf und sechs Prozent pro Jahr. Das hat niemand für möglich gehalten. Für den Rückgang gibt es mehrere Gründe: Das Klimaticket und der Ausbau von Photovoltaik und Windkraft. Wir bauen zehn bis fünfzehnmal so viel aus wie frühere Regierungen, gegen den Wider stand der Landeshauptleute übrigens. Man sieht da gut, dass die Förderungen dazu führen, dass mehr Anlagen errichtet werden. 2030 soll der gesamte Strombedarf aus erneuerbaren Quellen gedeckt werden. Heute sind wir bei 87 Prozent. Wir sind beim Strom von einem Importzu einem Exportland geworden. Man kann also den Erfolg der Grünen mit harten Zahlen belegen.

Das Klimaschutzgesetz hätte Fortschritte für die  Zukunft festgeschrieben. Das ist nicht gelungen.
WK • Mitte August haben wir den Nationalen Klimaund Energieplan für 2030 nach Brüssel geschickt. Auch der nennt verbindliche Ziele. Man muss aber schon sagen, dass ein Klimaschutzgesetz, das keine Ziele im Hinblick auf Industrie, Verkehr und Gebäude vorgibt, nichts wert ist. Deshalb haben wir mit allen anderen Gesetzen und Förderungen gearbeitet, zum Beispiel mit dem Heizungstausch. Die Förderung von 75 Prozent für den Austausch von Ölheizungen wirkt schneller als ein Gesetz, das den Austausch zwingend vorschreiben würde. Ein wichtiger Grund für den Rückgang der Emissionen ist auch der CO2-Preis, den es ohne die Grünen nicht gegeben hätte. Klimafreundliches Verhalten wird belohnt, mit dem Klimabonus kompensieren wir jene, die auf das Auto angewiesen sind. Das Klimaschutzgesetz selbst führt zu keinem einzigen Gramm weniger CO2. Gut wäre es deshalb, weil es verbindlicher werden würde und man ein Controlling hätte.  

Foto: Michaela Pfleger

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