Seit rund fünf Monaten ist die Rathauskoalition aus KPÖ, Grüne und SPÖ in Graz im Amt. Das Wirtschaftsressort unter der politischen Zuständigkeit der ÖVP erstmals seit Jahrzehnten in der Opposition. Wie geht es dem zuständigen Stadtrat Günter Riegler damit?
GRAZETTA • Das Wirtschaftsressort befindet sich nach Jahrzehnten erstmals in der Opposition. Wie fällt das Resümee in dieser Rolle mit Blick auf die Grazer Wirtschaft nach den ersten Monaten aus?
GÜNTER RIEGLER • Es ist ein Stillstand bezüglich geplanter Projekte und Investitionen erkennbar. Vieles, wie etwa die Verkehrserschließung nach Reininghaus oder die flächendeckende Kurzparkzone wird zwar massiv angekündigt, aber die Umsetzungen bleiben aus. Dabei wurde beim Straßenbahnausbau in den vergangenen Jahren enorme Vorarbeit geleistet, weil das nicht von heute auf morgen geht. Für einen Kilometer Straßenbahnausbau bedarf es bis zu sechs Jahren an Planung. Ankündigungen alleine sind definitiv zu wenig.
Welche Rollen spielen dabei die laufenden Budgetverhandlungen?
GR • So wie es aussieht, wird das Budget erst im Juni beschlossen. Geht man vom Wissensstand der zuständigen Abteilungen aus, hätte der Beschluss aber schon umgesetzt werden können. Das Budget ist der Schlüssel, der die Investitionsprozesse aufsperrt und einen Rückstau vermeidet. In den letzten Jahren wurde vonseiten der ÖVP hier ordentlich gearbeitet und vorsichtig budgetiert. Insofern wäre es jetzt für die Stadt und die Menschen von Vorteil, wenn die Zuständigen auf die Tube drücken.
Trotz der Pandemie konnte Graz im vorigen Jahr mit über 1.600 Neugründungen an Unternehmen einen neuen Rekordwert erzielen. Verwundert Sie das?
GR • Eigentlich nicht, weil es das Resultat einer gezielten Ansiedelungspolitik der letzten 20 Jahre ist. Graz gilt als Stadt mit enormer Lebensqualität und durch die Fachhochschulen, Technischen Universität und Karl-Franzens-Universität ist das Bildungslevel dementsprechend hoch. Auf diesem Fundament wurde mit Förderungen eine Szene aufgebaut, die zur Gründung von bis zu 1.500 Start-ups pro Jahr geführt hat. Mit einem eigenen Start-up-Guide sowie dem Lendhafen, der Anlaufstelle, die bei der Umsetzung unterstützt, wollen wir diesen erfolgreichen Weg auch weiter gehen.
Sie sind seit November 2021 auch für die Tourismusentwicklung verantwortlich. Wann wird man hier wieder zur „Normalität“ zurückkehren können?
GR • Die Prognosen diesbezüglich sind positiv: Aktuell liegen wir bei etwa 700.000 Übernachtungen, vor der Pandemie lagen wir bei etwas über einer Million. Fakt ist, dass der Tourismus in Graz vorrangig auf Konferenzen und Tagungen beruht und die Wirtschaft wie auch die Wissenschaft dabei als Multiplikator agiert. Auf der anderen Seite haben hier Veranstaltungen wie Styriarte, La Strada und Diagonale sowie die Stadthalle mit ihren sensationellen Events und Konzerten einen großen Beitrag auch hinsichtlich der Wertschöpfung geleistet.
Noch einmal konkret zum Budget für die Stadt: Wofür soll Geld verwendet werden?
GR • Man muss wissen, dass die Stadt im Jahr rund 190 Mio Euro in bestehende Infrastruktur wie Straßen, Brücken, Plätze sowie Schulen investiert. Und es braucht Geld für die Erweiterung der Kläranlage in Gössendorf sowie für eine Adaptierung der Abfallwirtschaft mit einem Recyclingcenter im Norden, damit der Müll nicht von Andritz quer durch die Stadt nach Puntigam geführt werden muss. Für die Zukunft werden auch Investitionen in den Ausbau der Fernwärme ein großes Thema sein. Auch die Dekarbonisierungsstrategie, die unter meiner Führung entwickelt wurde, wartet auf die Umsetzung. Dabei wollen wir eine Abkehr von fossilen Energiestoffen erwirken.
Foto: Conny Leitgeb