Grazetta

Die Kapitänin

Viktoria Schnaderbeck zählt zu Österreichs erfolgreichsten Profifußballerinnen. Die Verteidigerin verdiente ihre ersten Sporen bei Bayern München und Arsenal. Heute kickt sie beim Londoner Traditionsverein Tottenham Hotspur und führt die österreichische Nationalmannschaft in diesem Sommer zur Europameisterschaft in England. Im Interview spricht die 31-jährige Steirerin über den Weg ihres Teams an die Weltspitze und was Manager von Top-Athleten lernen können.

GRAZETTINA / Sie eilen mit Ihrer Mannschaft von Erfolg zu Erfolg. Sie stehen im Play-Off zur Weltmeisterschaft 2022/23. Im Juli dieses Jahres beginnt die UEFA Europameisterschaft. Österreich bekommt es gleich im ersten Spiel mit Gastgeberland England zu tun.
VIKTORIA SCHNADERBECK / Für mich ist das Team von England sicher Gruppenfavorit und auch einer der Turnierfavoriten. Wir spielen am 6. Juli in Manchester. Das Old Trafford Stadion mit seinen 75.000 Sitzplätzen ist bereits ausverkauft. Das wird ein ganz besonderes Spiel werden.

Die Aufmerksamkeit für den Frauenfußball ist gerade im Höhenflug. Bei den Champions-League-Spielen waren 90.000 Fans im Stadion.
VS / Das stimmt. Es tut sich viel im Frauenfußball. Das Champions-League-Halbfinalspiel Barcelona gegen Wolfsburg war mit einer Rekordkulisse von 91.600 Zuschauern ausverkauft. Der Frauenfußball hat jetzt neue Dimensionen erreicht. Nicht nur bei den internationalen Spitzenmannschaften, sondern auch bei uns in Österreich. Der ORF überträgt jetzt die Spiele. Auch wenn noch nicht alle österreichischen Bundesliga-Vereine Frauenmannschaften haben, aber weltweit und vor allem auch in Europa entwickelt sich gerade sehr viel.

Verteidigerin und Spielmacherin:
Antizipieren, was die Gegnerin vorhat.

Welche Rolle spielt dabei der Erfolg der österreichischen Nationalmannschaft?
VS / Meine Generation und die Generation vor mir, wir waren die Vorreiter. 2017 war so etwas wie der Durchbruch. Das Frauennationalteam hat bei der EM in den Niederlanden den dritten Platz erreicht. Mit diesem Resultat haben wir nicht nur überrascht, sondern auch viele Herzen erobert. In den Jahren zuvor haben wir zwar genauso erfolgreich gespielt und dafür sehr viele Opfer gebracht, aber in dieser Zeit haben wir kaum Aufmerksamkeit und Anerkennung bekommen.

Frauenfußball ist sehr ehrlich, es gibt wenig Schwalben und wenig Spielunterbrechungen. Das zeichnet den Frauenfußball aus.

Was hat dies für Sie und Ihre Mannschaft bedeutet?
VS / 2017 war der Wendepunkt. Auf einmal wurde uns Respekt entgegengebracht. Aber wir haben nicht vergessen, woher wir gekommen sind. Wir haben ja auch ganz andere Geschichten erlebt: Wir haben in Shirts gespielt, die uns zu klein waren, oder in Männer-Shirts. Manchmal haben wir sie ein paar Mal anziehen müssen, weil wir sie nicht waschen konnten. Wir haben unter Bedingungen gespielt, die sehr fraglich waren und die heute undenkbar wären. Damals war das für uns normal. Wir haben weitergemacht, weil wir diesen Traum und diese Vision hatten, erfolgreich bei einer Europameisterschaft teilzunehmen. Man sieht, dass, wenn man als Team zusammenhält und den Erfolg hat, dann springen andere mit auf, ob es nun die Medien sind oder der eigene Verband.

Hat der Erfolg bei der Euro 2017 auch neue Sponsoren angezogen?
VS / Natürlich haben die Sponsoren gesehen, dass Frauenfußball lukrativ ist. Admiral Sportwetten hat uns schon vor dem Hype unterstützt, andere sind erst später dazu- gekommen. Was zählt, ist, dass die Entwicklungsrichtung stimmt. Es ist gut, dass Unternehmen und große Marken sich finanziell engagieren und erkennen, dass damit auch ein Mehrwert verbunden ist. Frauenfußball bringt einen guten Return on Investment. Dass Sponsoren den Frauenfußball unterstützen, bedeutet aber auch, dass den Leistungen der Spielerinnen Respekt entgegengebracht wird. Und man darf dabei nicht vergessen, dass die kommerzielle Seite des Sports mitentscheidend ist.

Sie spielen Fußball, seit Sie sieben Jahre alt sind. Was macht für Sie den Reiz dieses Sports aus?
VS / Als Kind hat mir am Fußball gefallen, dass ich mit meinen Freunden im Dorf etwas gemeinsam machen konnte. Ich bin mitgegangen zum Training und habe schnell gemerkt, dass ich nicht nur Spaß an diesem Sport habe, sondern auch, dass mir der Fußball im Blut liegt und ich ein gewisses Talent habe. Das hat sich bis heute nicht geändert: die Leidenschaft für Fußball und die Freude, mit meinen Teamkolleginnen gemeinsam Erfolge feiern zu können. Mit dem Sport sind Freundschaften fürs Leben entstanden. Für mich als Mädchen war Fußball ein Weg, um mich entfalten und Selbstvertrauen entwickeln zu können. Ein gutes Köpergefühl zu entwickeln und sich im eigenen Körper wohlzufühlen, das ist für Mädchen sehr wichtig. Auch wenn ich bis zu meinem 15. Lebensjahr mit den Burschen gespielt habe.

„Als Kapitänin habe ich gelernt, was es bedeutet, ein Team zu führen, Konflikte zu lösen und wie wichtig Kommunikation ist. Diese Fähigkeiten braucht es in der Wirtschaft genauso wie im Privatleben.

Was unterscheidet Frauen und Männer im Fußballsport?
VS / Frauenfußball hat ein paar Eigenheiten. Frauen sind natürlich körperlich und anatomisch nicht so stark wie Männer. Aber wenn es um Technik, Taktik und Intelligenz des Spiels geht, dann stehen wir den Männern um nichts nach. Im Gegenteil: Frauenfußball ist sehr ehrlich, es gibt wenig Schwalben und wenig Spielunterbrechungen. Das zeichnet den Frauenfußball aus und das kann ich auch bestätigen. Ich schaue mir ja auch Männerfußball an.

Täuscht der Eindruck oder ist im Frauenfußball der Teamgeist stärker als bei den Männern?
VS / Frauen streben vielleicht stärker als Männer nach Harmonie, nach Zusammengehörigkeit. Wir können auch gut damit leben, nicht immer das Alpha-Tier zu sein, was man den Männern ja gerne nachsagt.

Sie spielen in der Position der Verteidigerin. In dieser Position müssen Sie eigentlich einen sechsten Sinn dafür haben, was Ihre Gegnerin am Feld vorhat.
VS / Ja genau, das ist der springende Punkt. Man muss antizipieren können. Als Verteidigerin ist man aber auch von den anderen abhängig, je nachdem, ob man in einer Dreier-, Vierer- oder Fünferaufstellung verteidigt. Man ist in einem Verbund und nur so stark wie die Mitspiele- rinnen um sich herum. Kommunikation und Verständnis füreinander sowie das gemeinsame Arbeiten ist vielleicht noch wichtiger als im Angriff. In der Verteidigung muss man auch auf individueller Basis Entscheidungen treffen, da geht es darum, richtig zu antizipieren, aber auch darum, im Zweikampf stark zu sein. Diese Stärke bedeutet nicht, dass man nur aggressiv ist. Man kann auch fair tackeln. Als Verteidigerin hat man aber auch die Aufgabe, die Mann- schaft vorne zu coachen und zu organisieren.

Sie sind mit 16 Jahren zu Bayern München gegangen, warum war dieser Schritt für Sie wichtig? VS / Ich hatte mit 16 Jahren den Traum, Profi-Fußballerin zu werden. Mir war damals klar, dass ich mich in Deutsch- land besser entwickeln würde können. In Österreich wäre ich nicht mehr weitergekommen. Nach München zu gehen, hatte nichts mit Geld zu tun. Denn mehr als ein paar hundert Euro habe ich in Bayern auch nicht verdient. Ich bin nach München gegangen, um das Maximum aus mir herausholen zu können. Erst viele Jahre später habe ich vom Fußballspielen leben können.

Ist es für einen 16-jährigen Burschen leichter, Profi zu werden?
VS / Das beginnt sogar schon viel früher. Es gibt Jung-Profi-Verträge, mit denen man 13-Jährige unter Vertrag nimmt. Zu einer Zeit also, in der die Burschen fast noch Kinder sind. Das sieht man bei den Frauen noch nicht. Und wenn es um die Einstiegsgehälter geht, dann sind die Unterschiede massiv. In Österreich sind die Unterschiede zwar schon groß, aber kein Vergleich zu den Top-Nationen wie England, Deutschland, Frankreich oder Spanien.

Mädchen-Förderung „Be the One“ : Mitbegründerin Schnaderbeck

Sie sind nicht nur Spitzensportlerin, sondern auch eine sehr gefragte Beraterin und Keynote Speaker. Was präde- stiniert Sportlerinnen für diese Tätigkeit?
VS / Zwischen der Welt des Sports und der Wirtschaft gibt es viele Parallelen. Als Spitzensportlerin habe ich gelernt, wie man mit Druck und Rückschlägen umgeht, wie man Verletzungen übersteht und wie man Resilienz entwickelt. Als Fußballerin lernt man aber auch, wie wichtig Teams sind und wie man mit multikulturellen Teams umgeht. In München habe ich mit Spielerinnen aus elf verschiedenen Nationen gespielt. Diversität war für uns Tagesgeschäft. Als Kapitänin habe ich über die Jahre Leadership Skills entwickelt. Ich habe gelernt, was es bedeutet, ein Team zu führen, Konflikte zu lösen und wie wichtig Kommunikation ist. Diese Fähigkeiten braucht es in der Wirtschaft genauso wie im Privatleben. Ich bin aber auch von Natur aus ein Mensch, der gut auf andere eingehen kann. Ich bin empathisch und sehe mich als Lösungsgeberin. Es liegt mir, Menschen zuzuhören, ihnen Impulse zu geben und sie zu motivieren. Diese Dinge erfüllen mich.

Was bieten Sie Unternehmen an?
VS / Ich biete zielgerichtete Impulsvorträge genauso wie langfristige Partnerschaften und Kooperationen an. Man kann mich für einen Unternehmensevent buchen. Oder wenn sich eine HR-Abteilung zum Beispiel dafür entscheidet, Frauen, Führungspersonen oder Talente zu fördern, dann unterstütze ich sie als Testimonial und Role Model dabei ebenfalls sehr gerne. Ich gehe individuell auf die Bedürfnisse eines Unternehmens ein. Am meisten Spaß machen langfristige Projekte, wo man nachhaltig Impulse setzen und Erfolge erzielen kann. Ich beginne dann vielleicht mit einem Vortrag, mache in der Folge Workshops, und biete begleitendes, individuelles Coaching an. Mit Partnern arbeite ich an der Entwicklung von Kampagnen und daran, unsere gemeinsamen Werte an die Öffentlichkeit zu bringen.

Viktoria Schnaderbeck
Geboren am 4.1.1991 in Graz

1998 Schnaderbeck begann als 7-Jährige im Verein TSV Kirchberg/Raab. Weitere Ausbildungen im
Landesausbildungszentrum Weiz und an der
GAK-Akademie.
2006 Debut in der U-19-Nationalmannschaft
2007 Vertrag mit FC Bayern München
2007 Debut in der A-Nationalmannschaft
2012 DFB-Pokal-Sieger mit Bayern München
2013 Ernennung zur Kapitänin der
Nationalmannschaft
2013 Die Nationalmannschaft erreicht als
Gruppen-Zweite erstmals die Play-Off-Runde
zur Europameisterschaft
2015 & 2016
Deutscher Meister mit Bayern München
2016 Erstmalige Qualifikation zu einer
Europameisterschaft
2017 Die Nationalmannschaft erreicht das Semifinale
der Women’s Euro 2017 in den Niederlanden
2018 Wechsel zu Arsenal London
2019 In ihrer ersten Saison wird sie mit Arsenal wird
Englischer Meister
2022 Wechsel zu Tottenham Hotspur

Sie unterstützen nicht nur Unternehmen, sondern auch soziale Projekte in Österreich und Tansania. In all Ihren Projekten geht es um Empowerment.
VS / Empowerment ist ein treffender Begriff dafür, worum es mir geht. Das Projekt „Be the One“ habe ich mitbegründet, um Mädchen und Frauen im Fußball zu unterstützen. Ich spiele aktuell aufgrund der Termindichte keine operative Rolle mehr. Aber das Projekt und die Sache sind für mich eine Herzensangelegenheit. Seit zehn Jahren bin ich Botschafterin von „Jambo Bukoba“, einer Organisation, die Kinder in Tansania unterstützt. Die Grundidee ist, Kinder durch Sport stark zu machen. Auf spielerische und sportliche Art und Weise werden Kinder an den Schulen über Themen wie Bildung, Gleichberechtigung und Gesundheit – insbesondere HIV und Aids – aufgeklärt. Die Schulen eines Distrikts treten einmal pro Jahr mit diesen Spielen in Turnieren gegeneinander an. Die siegreiche Schule gewinnt Geld, mit dem neue Projekte an den Schulen aufgesetzt werden können.

Haben Sie eine besondere Beziehung zu Afrika?
VS / 2012 hat der Gründer und Geschäftsführer von Jambo Bukoba, Clemens Mulokozi, für uns bei Bayern München einen Vortrag gehalten, der mich berührt hat. Ich bin dann an ihn herangetreten, um mich zu engagieren. Daraus ist eine Botschafterrolle geworden. 2017 sind wir gemeinsam nach Tansania geflogen. Das war eine unbeschreibliche Erfahrung. Mir war und ist immer wichtig, über den Tellerrand zu blicken und sich seines Privilegs bewusst zu sein. Dieses Privileg ist für mich mit Verantwortung verbunden. Ich kann zwar nicht die ganze Welt verändern, aber wie beim Schmetterlingseffekt kann ich vielleicht einen Beitrag leisten und Entwicklung voran- treiben. Seither gibt es in meiner Familie und in meinem Freundeskreis jedes Jahr eine Spendenaktion für Jambo Bukoba.

Viktoria Schnaderbeck:
Im Dress des englischen Spitzenvereins Tottenham Hotspur

Seit 2018 spielen Sie für Londoner Vereine. Zuerst für Arsenal, heute für Tottenham Hotspur. Leben Sie gerne in London?
VS / Als ich vor vier Jahren nach London kam, um hier zu leben, habe ich mich in diese Stadt verliebt. In ihre Dynamik, in das Pulsierende. In dieser Stadt leben so viele Kulturen zusammen, die aufeinander zugehen und einander respektieren. Das finde ich wunderschön. Zum Lebensgefühl in London gehört aber auch ein riesengroßes kulturelles Angebot.

Hat man als Spitzensportlerin überhaupt noch Zeit, diese Stadt zu genießen?
VS / Ich muss meine Freizeit genau planen. Manchmal muss mich meine Partnerin sogar daran erinnern, dass es Zeit für eine Pause ist. Inzwischen habe ich eine gewisse Auszeit-Routine entwickelt. Entspannung bedeutet für mich, Zeit mit meiner Partnerin, mit meiner Familie, mit meinen Freunden und mit meiner Katze zu verbringen. Katzen sind übrigens exzellente Entspannungstherapeuten. Das werden Tierliebhaber auch von anderen Haustieren bestätigen. Und ich reise gerne. Was mir aber auch immer großen Spaß macht, ist, mich auf das Rad zu setzen und einfach durch die Stadt zu fahren. Das tut mir sehr gut. Erholung bedeutet für mich aber auch, meinem Körper etwas Gutes zu tun. Denn der hat ja schon einiges aushalten müssen.

Apropos aushalten: Sie wurden acht Mal am Knie operiert. Haben Sie Schmerzen?
VS / Zum Teil. Sehr viel Energie und zusätzliche Arbeit sind erforderlich, um das Knie stabil zu halten. Ich brauche Physiotherapie, Massagen und muss an meinen Schwachstellen arbeiten. Es gibt durchaus Tage, an denen ich mit irgendeinem Zwicken ins Auto steige und froh bin, wenn das Training vorbei ist. Das kann zermürbend sein, mental und körperlich. Und trotzdem bin ich dankbar und muss mich manchmal selbst zwicken, dass ich tatsächlich immer noch auf Top-Level performen kann. Ohne Willensstärke und kontinuierliche zusätzliche Arbeit wäre das nicht möglich.

Laufen Sie mit Angst um Ihr Knie aufs Spielfeld?
VS / Nein. Ich kann das im Training und im Spiel immer ausblenden. Man ist im Tunnel und auf seine Aufgabe fokussiert – das ist auch gut so.

Kapitänin Viktoria Schnaderbeck mit Team-Kolleginnen: Motivation am Spielfeld.

Wie lange möchten Sie noch spielen?
VS / Am liebsten würde ich noch viele Jahre spielen. Ich habe bereits gute Gespräche mit meinem Verein über die Zukunft geführt. Ich fühle mich bei Tottenham sehr wohl. Ich bin körperlich fit und gesund. Wie meine sportliche Zukunft aussehen wird, wird sich in den nächsten Wochen entscheiden. Ich bin in einem Alter, in dem ich gut überlegte Entscheidungen treffen möchte. Die Welt des Fußballs ist schnelllebig, da ergeben sich neue Möglichkeiten, für die man offen sein muss. Über all das denke ich gerade nach.

Mögen Sie Mode?
VS / Ich mag Mode, aber ich bin kein Fashion Freak. Das Spannende an Mode ist, jenes Kleidungsstück zu finden, dass einen authentisch sein lässt. Mode, in der ich mich wohlfühle, ist für mich die schönste Mode. Das kann der Jogging-Anzug genauso wie das Kleid sein. Ich achte eher auf Qualität als auf Quantität. Eine klassische Shopping Queen bin ich nicht.

Fotos: ÖFB, privat

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