Mit „Heimat“ hat der Schauspieler und Schriftsteller August Schmölzer einen Roman vorgelegt, der sich auf kritische, aber immer höchst vergnügliche Art und Weise mit diesem beladenen Begriff auseinandersetzt. Ein Besuch in seiner Heimatgemeinde St. Stefan ob Stainz.
Wie kann man heute noch einen Heimatroman schreiben? August Schmölzer hat darauf eine unterhaltsame und dennoch zeitkritische Antwort gefunden. Sein Buch „Heimat“ ist vieles in einem: Satire, Liebesgeschichte und Kriminalroman, getragen von Figuren, die man zu kennen glaubt. Da ist der Obmann des Weinbau- und Tourismusverbands, der in allen Belangen der Gemeinde St. Vinzenz seine Finger drin hat; ein Bürgermeister mit einem Hang zum übermäßigen Schnapskonsum, und ein pensionierter Gendarm Josef Sudi, der nach der Scheidung am Land Heilung für seine verletzte Seele sucht und in die Keusche der betagten Weinbäuerin Franziska Klug einzieht. Auf Leibrente, damit das Bauerngut am Moastakogl in St. Vinzenz nicht den Erbschleichern in die Hände fällt. Damit ist auch Pepi einverstanden, Frau Klugs verstorbener Mann, mit dem die 90-Jährige wichtige Ent scheidungen noch immer bespricht. „Mein Herz, moje srce,“ nennt sie ihren, aus der Štajerska in die Weststeiermark ausgewanderten Pepi immer noch. Der Gendarm und die betagte Bäuerin tragen Schmölzers vielschichtige Geschichte, die beides ist: Liebeserklärung an das Schilcherland und eine bisweilen bissige, aber niemals böse Kritik an den Zuständen am Land.
Fragt man den Autor, was denn nun Heimat bedeute, erhält man eine wohl durchdachte Antwort: „Heimat ist für mich der Ort, an dem man sein erstes Glück, aber auch seinen ersten Schmerz erlebt hat.“
St. Stefan ob Stainz ist der Ort, der für den Schauspieler und Schriftsteller Heimat ist. Wo er für die Bewohner des Orts der „Gustl“ ist und wo er sich engagiert. Zum Beispiel im Kulturzentrum Stiegler-Haus mitten im Ort, wo früher das gleichnamige Kaufhaus des Ortes war. „Bei Frau Stiegler haben wir Kinder um einen Schilling eine Extrawurstsemmel gekauft “, erinnert sich Schmölzer. „Und wenn man Glück hatte, hat sie ein Essiggurkerl hineingelegt.“ Heute ist dank seiner Initiative und einer wohlhabenden Stift erin das Haus gegenüber der Pfarrkirche wieder Ort der Begegnung, für kulturellen Austausch und für sozialen Zusammenhalt. Im Stiegler-Haus lernen Senioren mit dem Handy umzugehen, laden Handwerker ins Reparaturcafé, damit man nicht alles gleich wegwerfen muss. August Schmölzer und seinem Team gelingt es aber auch, sehr große Namen der österreichischen Literatur in die Weststeiermark zu holen. Ilia Trojanow hat hier ebenso gelesen wie Reinhard Bilgeri und Norbert Gstrein.
August Schmölzer ist nach einer langen, international erfolgreichen Karriere zurückgekehrt in den Ort, in dem er groß geworden ist. Er erzählt von einer schönen, aber auch harten Kindheit als Sohn einer Bauernfamilie. Einer Zeit, in der die Kinder barfuß durch den Wald laufen konnten und gelernt haben, mit der Sense umzugehen. Ausgerechnet im Fach Deutsch ist der Bub durchgefallen, weshalb der arrivierte Schauspieler und Romancier seiner Lehrerin, heute noch Kerzen für ihre Geduld damals am Grab anzündet.
Schmölzer erzählt von der Kochlehre im Gasthaus „Bei den fünf Lärchen“ im Grazer Bezirk Gries, damals alles andere als eine feine Adresse.
Als Lehrling hat er den Bordellen im Bezirk das Essen zugestellt: „Die Zuhälter haben immer darauf geschaut, dass uns Buben nichts passiert“, erinnert sich Schmölzer. „Und ein gutes Trinkgeld hat es auch immer gegeben.“
Beim Kochen ist es nicht geblieben, auch wenn im Roman Heimat gut gekocht wird und sich die Rezepte sehr zum Nachkochen eignen. Bevor August Schmölzer an der Grazer Kunstuniversität Schauspiel studierte, ist er leidenschaftlicher Oberkrainer Musikant. Er trainiert sich seinen weststeirischen Zungenschlag ab und geht nach bestandenem Studium nach New York, wo er seine Ausbildung am Herbert Berghoff Studio fortsetzt.
Zurück in Europa ist Schmölzer auf den renommiertesten Bühnen des deutschsprachigen Raums zu sehen: Er arbeitet unter der Regie von Peter Stein, Otto Schenk und Martin Kusej. In Steven Spielbergs Film Schindlers Liste aus dem Jahr 1993 verkörpert er den SS-Mann Dieter Reeder, der Oskar Schindler Informationen zuspielt.
2023 erhält der Bauernsohn den Grimme Preis, einen der renommiertesten Film- und Fernsehpreise Deutschlands. Ausgezeichnet wurde er für seine Rolle im Kinofilm „Schlaf“: „Ein Film, den wir so gut wie ohne Geld gedreht haben“, sagt Schmölzer. „Das beweist, dass die Qualität eines Films nicht immer nur mit viel Geld zu tun hat.“
Weniger sparsam mussten wohl die Produzenten der Netflix-Serie „Empress“ sein, in der Schmölzer Kardinal Joseph Othmar Ritter von Rauscher spielt, den Beichtvater von Kaiser Franz Josef. Die mit internationaler Besetzung gedrehte TV-Serie erreichte weltweit 120 Millionen Zuseher und gewann den Emmy Award in New York.
Heute ist Schmölzer neben seinen Rollen in vielen TV-Krimis Radiohörern vor allem als Sepp Oberdengler bekannt. In diese Rolle schlüpft er auf Radio Steiermark immer am letzten Freitag des Monats und erklärt den Zuhörern die Welt: Mit scharfem Verstand, zuweilen bissig, aber immer mit steirischem Humor. „Aufpassen, der Teifl schlaft net“, warnt er seine Zuhörer am Ende jeder Folge.
Ein Satz, der gut zu seinem Heimatroman der anderen Art passt. Denn auch in dieser Geschichte geht der Gottseibeiuns um und wirkt das dunkelste Kapitel steirischer Geschichte in die Gegenwart nach. Mehr sei nicht verraten.
DAS BUCH
August Schmölzer Heimat
220 Seiten Edition Keiper 24 Euro
Fotos: Benjamin Gasser