Vergaberechtsexperte Martin Schiefer und Wilfried Lehner, Bereichsleiter der Finanzpolizei, erklären im Grazetta-Interview, warum Ketten von Subunternehmen schlecht für die Compliance sind und wie die beiden die kriminelle Energie mancher Marktteilnehmer bekämpfen wollen.
GRAZETTA • Sie verbindet das Engagement für Compliance oder rechtskonformes Verhalten im Wirtschaftsleben. Wie sehen die rechtlichen Grundlagen aus? MARTIN SCHIEFER • Unsere Kanzlei beschäftigt sich mit öffentlichen Auftragsvergaben. Seit 2018 fordert das Vergaberecht rechtskonformes Verhalten, vor allem in Bezug auf Transparenz und Nachvollziehbarkeit. Unternehmen können sich für Aufträge der öffentlichen Hand nur dann qualifizieren, wenn sie in der Vergangenheit nicht gegen das Strafrecht, das Verwaltungs- oder das Arbeitsrecht verstoßen haben. Illegale Praktiken, wie zum Beispiel unlauterer Wettbewerb oder Kickback-Zahlungen, disqualifizieren einen Auftragswerber. Für die öffentliche Hand, für Bund, Länder und Gemeinden, ist es aber nicht so einfach, zu prüfen, ob sich die Bieter tatsächlich auch an die Regeln halten. Ein Instrument, mit dem man Gesetze umgehen kann, ist die Bildung von Subunternehmensketten. Dieses Instrument macht es für die öffentlichen Auftraggeber enorm schwierig, diese Unternehmen zu überprüfen. Zumal es mit den Neuen Medien für Unternehmen um vieles leichter geworden ist
, sich gegenseitig zu warnen. Wir wollen, dass der Staat Gesellschaftsgründungen relativ leicht zulässt. Aber je einfacher das ist, umso leichter ist auch Sozialbetrug möglich.WILFRIED LEHNER • Einfache Unternehmensgründungen erleichtern es betrügerischen Gruppen, den Markt zu verzerren, indem sie Schwarzgeld generieren, mit dem sie Kickback-Zahlungen leisten oder Löhne schwarz auszahlen. Wenn jemand also Steuerpflichten umgeht und keine Arbeitgeberbeiträge zahlt und sich einen großen Teil der Lohnkosten erspart, hat er einen unglaublich großen Wettbewerbsvorteil. Es wäre verheerend, wenn solche Organisationen die Oberhand gewinnen würden.
Welche Möglichkeiten gibt es, diesen illegalen Praktiken auf die Spur zu kommen?
WL • Die Finanzpolizei kann relativ schnell erkennen, ob jemand zum Beispiel das Ausländerbeschäftigungsgesetz verletzt, ob es eine Übertretung des Lohn- und Sozialbetrugsbekämpfungsgesetzes gibt, oder ob eine strafrechtliche Verurteilung vorliegt. Wir stellen aber fest, dass Ketten von Subunternehmen gebildet werden, mit denen man diese problematischen Bereiche auslagern kann. An der Spitze ist alles sauber, und weiter unten kumulieren dann die Probleme. Diese Ketten zu überprüfen, ist eine Herkulesaufgabe. Der Auftraggeber ist verpflichtet
MS • In Deutschland gilt seit Anfang 2023 das sogenannte Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz, das Unternehmen ab 3.000 Mitarbeiter dazu verpflichtet, vom Rohstoff, bis zum fertigen Produkt, von der Lieferung bis zum Einbau, zu prüfen, wer die Partner in der gesamten Wertschöpfungskette sind. Diese Prüfungen sollten wir in Österreich auch strenger handhaben. Denn der Generalunternehmer ist ja meist nicht der, der gegen das Gesetz verstößt, sondern eher der dritte oder vierte Subunternehmer. Das sind dann jene, die kreativ werden und sich so zu Vorteilen verhelfen.
Kann man Branchen ausmachen, in denen illegale Praktiken zum Problem geworden sind?
WL • Man muss das Bau- und das Baunebengewerbe nennen. Allgemein kann man sagen, dass es um personalintensive Branchen geht. Dort, wo viel Technik eingesetzt wird, haben wir weniger Probleme. Umgehungen von Gesetzen zahlen sich in personalintensiven Branchen, wie Reinigung, Security und Eventagenturen, einfach mehr aus. Problematisch wird es auch in Branchen, in denen es kurzfristige Beschäftigung gibt oder in denen mit Arbeitskräfteüberlassung gearbeitet wird. Je personalintensiver Branchen sind, umso größer ist der Preisdruck und umso problematischer wird es. Wenn ein Unternehmen mittels illegaler Praktiken den Preis drückt, verzerrt das den Markt erheblich.
Werden in wirtschaftlich problematischen Zeiten diese Praktiken häufiger werden?
MS • Wir gehen davon aus, dass das zunehmen wird. Wir sehen aber auch, dass sich bereits viele Unternehmen aus öffentlichen Vergabeverfahren zurückziehen, weil der Aufwand zu groß geworden ist und weil sie wissen, dass sie beim Preis ohnehin nicht mithalten können. Das liegt auch daran, dass eine vertiefte Angebotsprüfung nicht wirksam durchgeführt wird. Der öffentliche Auftraggeber hat dafür schlichtweg nicht die Instrumente, die Polizei oder Finanz haben. Die öffentliche Hand und die Behörden sollten daher engmaschiger kooperieren, damit man alles ausschöpfen kann, was der Rechtsstaat ermöglicht.
Wie könnte das aussehen?
MS • Bei der Überprüfung eines potenziellen Auftragsnehmers braucht es eine betriebswirtschaftliche Betrachtung des Unternehmens, seiner wirtschaftlichen Situation und seines Marktumfelds. Der Einkäufer spielt dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle. Einen großen Beitrag können aber auch Whistleblower leisten. Seit August 2023 verpflichtet das Hinweisgeberschutzgesetz Unternehmen, interne Meldekanäle einzurichten. Zudem schützt es Hinweisgeber, die Missstände aufdecken, vor Kündigung. Ich kann nur jedem Unternehmen raten, diese Richtlinie umzusetzen. Der Skandal um fingierte Rechnungen bei den Vorarlberger Krankenhäusern ist von einem Hinweisgeber aufgedeckt worden. Das zeigt, wie wirksam dieses Instrument ist. Ich bin davon überzeugt, dass kriminelle Netzwerke kein Vorarlberger Einzelfall sind.
WL • Auch die Finanzpolizei stellt fest, dass mithilfe von Scheinfirmen Schwarzgeld produziert wird. Man beschafft sich eine Rechnung, die in der eigenen Buchhaltung als Aufwand aufscheint, man bezahlt die Scheinfirma und erhält den Betrag im Plastiksackerl und in Bar abzüglich einer gewissen Gebühr zurück. Mit diesem Schwarzgeld kann man dann Überstunden schwarz bezahlen oder Personen Boni zukommen lassen, um sich bei Auftraggebern Vorteile zu verschaffen. Die Bargeldtransfers sind nämlich unsichtbar. Was uns aber manchmal trotzdem auf die Spur bringen kann, sind Meldungen von auffälligen Geldtransaktionen durch Banken an das Bundeskriminalamt und an das Amt für Betrugsbekämpfung. Ich gebe ein konkretes Beispiel: Ein Unternehmen hat bei einem Bankomaten der eigenen Bank fünfmal am Tag, vierzehn Tage lang 20.000 Euro abgehoben. Insgesamt wurden 1,2 Millionen Euro behoben. Das fällt den Behörden natürlich auf. Kickback-Zahlungen sind schon schwerer nachzuvollziehen. Da braucht es dann polizeiliche Ermittlungen, Hausdurchsuchungen oder Betriebsprüfungen. Da kann man schon sehen, ob ein Unternehmen eine Leistung, für die es bezahlt worden ist, überhaupt erbringen konnte, oder ob es sich um eine Scheinrechnung handelte.
Warum ist die Bekämpfung von Scheinunternehmen schwierig?
MS • Wir haben es oft mit Scheinunternehmen aus dem Osten Europas zu tun. Jemand gründet eine Firma in Mazedonien, wenn er erwischt wird, liquidiert er das Unternehmen und gründet seine Firma am nächsten Tag in Nordmazedonien neu. Bis ein Rechtshilfeersuchen durch ist, ist der längst über alle Berge. Dagegen muss man etwas tun.
Welche Instrumente bietet das Vergaberecht im Kampf gegen Geldwäsche?
MS • Das Vergaberecht fordert die Einhaltung der ESG-Kriterien (Environmental Social Governance) ein. Diese Kriterien können Vergaben in der Region fördern. Regionale Auftragnehmer sind leichter zu kontrollieren. Fallen dem Bankmitarbeiter vor Ort komische Transaktionen auf, lassen sich betrügerische Praktiken leichter bekämpfen. Bei einer internen Revision fiel zum Beispiel einem Mitarbeiter auf, dass in der Filiale unverhältnismäßig viele anonyme Sparbücher eröffnet worden sind. Dann kam Corona und plötzlich wurden viel weniger Sparbücher eröffnet. Die Bank konnte erheben, dass die Sparbücher alle von einem Hüttenwirt eröffnet wurden, der darauf sein Schwarzgeld geparkt hatte.
Ist die Gastronomie besonders anfällig für solche Praktiken?
WL • In Tourismusbetrieben hat man private Kunden. Schwarzgeld kann relativ leicht generiert werden. Wir kennen ja alle den berühmten Satz: Brauchen Sie eine Rechnung? Als Finanzpolizist antworte ich dann: Ich nicht, aber Sie.
Ein anderes marktverzerrendes Instrument ist die Bildung von Kartellen. Wie beurteilen Sie die Lage in dieser Hinsicht?
MS • Im Vergaberecht ist der Grundsatz des Wettbewerbs verankert, also je mehr Unternehmen sich um einen Auftrag bewerben, umso besser ist es. Daher dürfen Subunternehmen und Bietergemeinschaften nicht ausgeschlossen werden. Wesentlich ist, Konstrukte auszuschließen, die den Wettbewerb behindern. In diesem Zusammenhang habe ich Wilfried Lehner kennen-gelernt. Finanzpolizeiliche Ermittlungen sind eigentlich eine gute Sache, weil sie Hygiene in den Markt bringen. Am Ende des Tages tun Lehner und ich nämlich dasselbe. Wir wollen die Wirtschaft in Österreich schützen. Wir haben alle nichts davon, wenn ein Unternehmen günstig baut und die korrekt arbeitenden Unternehmen den Bach hinuntergehen.
WL • Wir haben es mit einer Negativspirale zu tun: Wenn sich jemand mit unlauteren Mitteln einen Wettbewerbsvorteil verschafft und damit den Markt dominieren kann, drückt er die Preise und Mitbewerber aus dem Markt. Manche Gewerke driften am Bau geschlossen in die Illegalität ab, das ist erschreckend. Die Eisenverlegunternehmen sind dafür ein gutes Beispiel. Dieser Markt wird von unlauteren Subunternehmern dominiert.
Gibt es allgemein gültige Verdachtsmomente, die auf eine Kartellbildung hinweisen?
MS • In der Steiermark haben Baufirmen ein Kartell gebildet, das sich über viele Jahre hinweg die Aufträge geteilt, Preise abgesprochen und Informationen ausgetauscht hat. Damit wollte man sicherstellen, dass alle beteiligten Firmen gut gefüllte Auftragsbücher hatten. Ein Indiz auf ein Kartell sind die Arbeitsgemeinschaften, die auch dort gebildet werden, wo sie gar nicht notwendig sind. Auffällig sind auch Subunternehmer, die mehrere Konsortien steuern. Das muss man wettbewerbsrechtlich durchleuchten. Inzwischen gibt es Kartelle aber auch bei Schultaschen und Pellets. Manchmal reicht schon die Ankündigung einer Untersuchung, damit die Preise wieder um 30 Prozent sinken.
Wilfried Lehner,
Bereichsleiter Finanzpolizei:
„Wir haben es mit einer Negativspirale zu tun.“
Kann man als Auftraggeber die Finanzpolizei mit einbinden? Gibt es ein Fortbildungsangebot oder einen Leitfaden für Auftraggeber?
WL • Den gibt es derzeit noch nicht. Wir sind aber mit der Bundesbeschaffung, dem Einkaufspartner der öffentlichen Hand, im Gespräch und es gibt klare Zielsetzungen: Minimierung von Subvergabemöglichkeiten und besondere Auftragsauflagen bei besonders risikoaffinen Branchen, wie zum Beispiel der Reinigung.
Spielt die Arbeitskräfteüberlassung eine Rolle bei illegalen Praktiken?
WL • Auf jeden Fall. Die Frage ist aber schon, ob sich Auftraggeber dessen bewusst sind, welchen Risiken sie sich bei dubiosen Arbeitskräfteüberlassern rechtlich einhandeln. Unternehmen, die mit überlassenen Arbeitskräften arbeiten, haften nämlich im Falle einer Zahlungsunfähigkeit des bereitstellenden Dienstleisters für Löhne und Sozialabgaben der überlassenen Arbeitskräfte und sie sind für mögliche illegale Ausländerbeschäftigung ebenfalls strafbar.
Gibt es neue digitale Instrumente, die illegale Praktiken, wie Scheinrechnungen oder Lohndumping, erschweren können?
MS • Ja, die gibt es. Ein gutes Beispiel ist die Bau-ID, die von der Bauarbeiter-, Urlaubs- und Abfertigungskasse (BUAK) entwickelt wurde, um Sozialbetrug zu verhindern. Bauarbeiter bekommen eine Karte, mit der sie sich beim Betreten der Baustelle digital registrieren. Damit kann nachgewiesen werden, wer, wo und wie lange arbeitet und ob er gesetzeskonform angemeldet ist. Das wäre ein hilfreiches Instrument.
WL • Die Digitalisierung eröffnet zusätzliche wichtige Kontrollmöglichkeiten. Das Betrugsszenario der Teilschwarzbeschäftigung funktioniert mit digitalen Erfassungssystemen nicht mehr, da auch Arbeitszeiten durch die digitalen Registrierungspunkte nachvollziehbar werden. „Smart Enforcement“, wie das die EU nennt, verbindet vorhandene digitale Daten und wird auch in anderen Branchen für neue Kontrollmöglichkeiten genutzt. Smart Enforcement schafft so mehr Chancengerechtigkeit für copliant agierende Unternehmer.
Fotos: Michaela Pfleger