Corona wird das Leben, wie wir es kannten, verändern. Der Manager Michael Eichberger und der Psychotherapeut Philipp Streit erklären im Gespräch mit der Grazetta, in welche Richtung es gehen könnte.
Corona ist ein historischer Moment, in dem die Zukunft ihre Richtung ändert. So charakterisiert der Zukunftsforscher Matthias Horx den Einschnitt, den das Auftreten des Virus verursacht hat. Waren es bislang politische Umbrüche, wie Krieg oder Revolution, die die Verhältnisse auf den Kopf gestellt haben, so ist es heute ein unsichtbares Etwas, das unsere Existenz auf einschneidende Art und Weise verändert. Was davon bleiben wird und welche Lehren wir aus den Wochen des teilweisen Shutdown ziehen sollten, da gehen die Meinungen auseinander. Michael Eichberger ist Geschäftsführer der österreichischen Niederlassung der Bitzer GmbH, einem internationalen Unternehmen, das Kompressoren für Kühlanlagenherstellt. Der Grazer ist im Konzern auch für Digitalisierung zuständig. Wer ihn trifft, begegnet einem überraschend entspannten Menschen. „Corona hat uns vor Augen geführt, dass man sich nicht zu Tode arbeiten muss und dass es auch anders geht“, sagt er. Seine Mitarbeiter hat er ins Homeoffice geschickt. „Ich war überrascht, wie effizient meine Mitarbeiter in den letzten Wochen gearbeitet haben“, stellt er fest. „Was auch daran liegt, dass ich auf eigenverantwortliches und selbstständiges Arbeiten bei der Personalauswahl immer großen Wert gelegt habe.“ Manager müssten lernen, bei der Personalauswahl nicht nur auf fachliches Wissen zu setzen, sondern auch auf Fähigkeiten, wie vernetztes Denken und Lösungskompetenz. „Vertrauen in die eigenen Mitarbeiter wird wichtiger werden“, ist er überzeugt.
Hinzu komme, dass Corona gerade im Bereich der Digitalisierung wie ein Brandbeschleuniger gewirkt habe: „Worüber wir früher monatelang diskutiert haben, das war jetzt plötzlich in einer Woche möglich.“ Eichberger sieht aber auch, dass dieser Turbo große gesellschaftliche Folgen haben wird. „Wer sich rechtzeitig den neuen technischen Möglichkeiten gestellt hat, der gehört heute zu den Gewinnern der Krise.“ Das gilt aber seiner Meinung nach auch für den Umgang mit der Globalisierung. Eichbergers Unternehmen mit seinen 72 operativen Standorten und 19 Produktionsstätten folgte schon vor Jahren dem Grund-satz von Unternehmensgründer Peter Schaufler. „Denke global, aber handle lokal“, diese Maxime hatte Schaufler seinem Unternehmen verordnet. Heute erweist sich diese Strategie als Segen. Unterbrochene Lieferketten, stillstehende Produktionsanlagen, diese Probleme hat Bitzer trotz seiner weltweiten Präsenz nicht. „Wir haben uns bewusst dafür entschieden, die Produktionsstandorte in Europa nicht zu schließen, obwohl die in China hergestellten Kompressoren um einiges billiger sind“, sagt Eichberger. „Dass man Schweinedärme für die Wurstherstellung nach Asien schickt, um sie dort reinigen zu lassen, um sie dann wieder nach Deutschland zur Weiterverarbeitung zu transportieren, das ist nur ein Beispiel für eine Entwicklung, die vollkommen aus dem Ruder gelaufen ist.
Dass viele Unternehmen ihre Produktionen wiedernach Europa verlagern werden, glaubt Eichberger dennoch nicht. „Dafür ist wohl die Gier zu groß“, sagt er lakonisch. Umso überzeugter ist der Manager jedoch von den Auswirkungen der Krise auf unsere Einstellung zur Arbeit. „Die Krise hat uns gezeigt, dass unorthodoxe Methoden funktionieren können“, konstatiert er. „Für mich bedeutet diese Erfahrung, dass man den Mut haben muss, die Arbeitswelt neu zu denken.“ Mehr Flexibilität in der Arbeitsgesetzgebung, mehr Eigenverantwortung der Mitarbeiter und intelligente Lösungen, wie man privates und berufliches Leben unter einen Hut bringen könnte, seien das Gebot der Stunde. Vieles, was man vor Corona für absolut notwendig erachtet hat, habe sich als durchaus verzichtbar herausgestellt. Eichberger glaubt jedoch nicht, dass es rasch zu einer Entspannung auf dem Arbeitsmarkt kommen werde. „Die gesellschaftlichen Auswirkungen von Corona sind heute nicht absehbar“, sagt er. „Die Digitalisierung ist ja die vierte industrielle Revolution und das bedeutet, dass es für viele Menschen keine Arbeit mehr geben wird. “Er plädiert daher für eine bedingungslose Grundversorgung, wie er das nennt.
Auch Philipp Streit, Klinischer Kinder- und Jugendpsychologe und Psychotherapeut kann Corona durchauspositive Seiten abgewinnen. „Die Menschen sind im Umgang miteinander höflicher und achtsamer geworden“ sagt er. Was ihn nicht überrascht hat. „Menschen gehen gerade in einer Krise aufeinander zu. Das ist der erste Reflex, weil man sich bemüht, sich eine sichere Umgebung zu schaffen.“ Der Einschätzung vieler, dass vor allem Kinder und Jugendliche sehr unter dem teilweisen Shutdown gelitten hätten, stimmt Streit nur mit Einschränkungen zu: „Kinderbekommen zunächst eine engere Bindung an ihre nächsten Bezugspersonen. Kinder und Jugendliche entdecken ihre Eltern neu Das gelingt aber nur dann gut, wenn es zu Hause eine gewisse Kontinuität gibt, wie der israelische Psychologe Haim Omer sagt.“ Wie die Kinder das Social Distancing erlebten, hänge stark von der Haltung ihrer Eltern ab. Strahlendiese Zuversicht aus, gehen diese aktiv mit der Situation um, oder sehen sich diese als Opfer, diese Haltungen wirken stark auf Kinder ein. „Wenn es zu Hause nicht gut geht, werden bestehende Trennungsängste und Unsicherheiten verstärkt“, sagt er. Streit hat aber auch hochschwierige Kinder erlebt, deren Hyperaktivität oder Unkonzentriertheit sich im teilweisen Shutdown zum Teil gemildert hätte.
Streit plädiert in jedem Fall aber dafür, an gewissen Vorschriften wie Maskenpflicht und Abstandsregeln festzuhalten: „Diese Regeln sind nicht nur medizinisch sinnvoll, sie erinnern uns auch an die Notwendigkeit, achtsam mit dem anderen umzugehen.“ Ob es gelingt, auch nach Überwindung der Corona-Bedrohung weiterhin so höflich miteinander umzugehen, wie wir es in der Krise gelernt haben, das hängt seiner Meinung nach sehr stark davon ab, ob wir dieses Verhalten über eine längere Zeit hinweg kontinuierlich einüben: „Dann wird eine neue Autobahn des Geistesaufgebaut, die Verhaltensweisen werden stabil.“
Philipp Streit plädiert aber auch für eine neue breite gesellschaftliche Diskussion darüber, wie wir in den kommenden Monaten mit dem Corona-Risiko umgehen. War in der ersten Phase die Angst vor einer Ansteckung groß genug, um die Anordnung der Regierung zu befolgen, sei es jetzt hoch an der Zeit, verschiedene Meinungen zuzulassen. „Nur wenn es jetzt eine breite Debatte gibt, werden neue Regeln und Übereinkünfte akzeptiert werden können“, sagt er. „Jetzt ist eine Vielfalt an Meinungen gefragt, an der Demokratie führt nämlich kein Weg vorbei.“ Streit glaubt nicht, dass sich die Menschen heute weniger vor Corona fürchten als zu Beginn des teilweisen Shutdown.
Aber er plädiert dafür, die Energie der Angst konstruktiv zu nutzen. Er zitiert den berühmten Neurobiologen Gerald Hütter, der einmalsagte, dass die Menschheit nicht überlebt hätte, wenn wir keine Angst haben würden. „Die Angst gehört zum Leben dazu, wir brauchen sie und es geht einzig und allein darum, wie wir mit der Angst umgehen“, präzisiert er. Wenn Streit für einen neuen gesellschaftlichen Konsens beim Umgang mit dem Virus plädiert, fordert er vor allem auch, ältere Menschen nicht nur als Gefährdete wahrzunehmen. „Auch Senioren haben ein Recht auf Selbstbestimmung, auch für sie muss eine neue Balance zwischen Schutz und Freiheitgefunden werden.“
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