Grazetta

„MEHR GELD für MEHR ARBEIT“

Wirtschaftsbund-Generalsekretär Kurt Egger spricht im GRAZETTA-Interview über Maßnahmen gegen den Arbeitskräftemangel und  erklärt, warum die 32-Stunden- Woche nicht funktionieren kann.

GRAZETTA  Obwohl die Arbeitslosigkeit in Österreich leicht steigt, klagen Unternehmen immer noch darüber, dass sie keine Fachkräfte bekommen. Woran liegt das?
KURT EGGER • Der Wirtschaftsbund hat einen Stellenmonitor, der monatlich erhebt, wie viele offene Stellen es in Österreich gibt. Er zeigt, dass wir trotz der schwierigen wirtschaftlichen Situation noch immer 200.000 offene Stellen haben und das konstant seit einigen Monaten und trotz steigender Arbeitslosigkeit. Offene Stellen verursachen einen doppelten volkswirtschaftlichen Schaden: Unternehmer können weniger Wertschöpfung erzielen, weil sie ihre Produkte oder Dienstleistungen nicht anbieten können. Und dem Staat entgehen Steuereinnahmen. Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung schnürt man damit ein perfektes Sorgenpaket, denn bis 2040 benötigen wir noch einmal zusätzliche 350.000 Arbeitskräfte. Wenn wir keine Maß-nahmen ergreifen, fehlen uns dann 550.000 Arbeitskräfte. Das ist für die Wirtschaft nicht tragbar und gefährdet unseren Wohlstand.

Eine schrittweise Reduktion der Wochenarbeitszeit auf 32 Wochenstunden, wie das SP-Chef Andreas Babler vorschlägt, ist also völlig unrealistisch?
KE • Babler hat seinen Vorschlag einfach nicht zu Ende gedacht. Bei sinkender Produktivität und der derzeitigen wirtschaftlichen und politischen Lage sind das utopische Wunschvorstellungen. Die 32-Stunden-Woche würde den Arbeitskräftemangel verdoppeln, und dann geht es nicht mehr nur um heimische Betriebe, sondern auch um das öffentliche Leben, um Spitäler, Schulen, die Pflege und um die Polizei. In Österreich gibt es 800.000 Beschäftigte im öffentlichen Dienst, eine generelle Verkürzung der Arbeitszeit hätte drastische Folgen für unsere Gesellschaft. Man kann sich nur fragen, wie sich das Babler vorstellt. Man kann einen Polizisten ja nicht auf zwei Kreuzungen gleichzeitig stellen.

Welche Instrumente halten Sie für  sinnvoll, um dem Arbeitskräftemangel entgegenzuwirken?
KE • Man muss an vielen verschiedenen Schrauben drehen. Erstens muss es attraktiver werden, mehr zu arbeiten. 50 Prozent der arbeitenden Menschen können sich vorstellen, zwei und mehr Stunden pro Woche mehr zu arbeiten, wenn es sich finanziell auszahlt. Eine logische Schlussfolgerung ist, dass man Überstunden geringer besteuern muss. Eine zweite Schraube ist die Kinderbetreuung. Hier hat die Bundesregierung mit den 4,5 Milliarden für den Ausbau der Kinderbetreuung einen wichtigen Schritt gesetzt. So schaffen wir echte Wahlfreiheit für Eltern, die dadurch die Möglichkeit bekommen, Vollzeit zu arbeiten. Drittens müssen wir es attraktiver machen, länger, also über das Regelpensionsalter hinaus, im Erwerbsleben zu bleiben. Viele Babyboomer, die jetzt das Pensionsalter erreichen, würden gerne länger arbeiten. Länger zu arbeiten, muss sich aber auch lohnen. Wir brauchen daher dringend eine geringere Besteuerung und die Abschaffung der Pensionsbeiträge für arbeitende Pensionisten.

„Die durchschnittliche Arbeitszeit in Österreich ist von 33 auf 30 Stunden gesunken.“
KURT EGGER, Wirtschaftsbund-Generalsekretär

Wären flexible Arbeitszeiten nicht auch ein Weg, ältere Arbeitnehmer auch nach dem 65. Lebensjahr in Beschäftigung zu halten?
KE • Wenn jemand, der das Pensionsalter erreicht hat, weiterhin 15 oder 20 Stunden arbeiten will, dann können die Betriebe sich das selbstständig und flexibel mit den Arbeitnehmern ausmachen. Da braucht es keine zusätzlichen bürokratischen Vor schriften. Wie das Modell im Detail aussehen könnte, sollte man diskutieren. Wir wissen aus Umfragen, dass Menschen länger arbeiten, wenn es sich finanziell lohnt.

Was müssen Kindergärten leisten, damit Frauen leichter von Teilzeit auf Vollzeit umsteigen können?
KE • Längere und flexiblere Öffnungszeiten wären wichtig, aber auch eine Betreuung an Wochenenden sollte überdacht werden. Man denke nur an die Beschäftigten in der Gastronomie. Die flächendeckende Qualität darf aber nicht außeracht gelassen werden. Einige unserer Unternehmen haben dazu sehr praktikable Vorschläge, die aber an gesetzlichen Hürden scheitern. Kooperationen von Firmen, die eigene Kindergärten eröffnen wollen, müssen ausgebaut werden. Bisher ist es nicht möglich, sein Kind in den Betriebskindergarten einer anderen Firma zu geben, weil dann ein Sachbezug fällig wird. Der Gesetzgeber zeigt sich hier inzwischen zu Änderungen bereit.

Ein Vorschlag, um den Arbeitskräftemangel zu entschärfen, wäre, bei Teilzeitbeschäftigung anzusetzen. Sehen Sie da Möglichkeiten?
KE • In diesem Bereich gibt es zwei Stellschrauben: Die Senkung der Teilzeitquote und die durchschnittliche Arbeitszeit unselbstständig Beschäftigter in Österreich. In den letzten Jahren ist die Arbeitszeit von 33,4 Stunden auf knapp 30 Stunden gesunken. Wenn es uns gelingen würde, wieder auf durchschnittlich 33 Stunden zu kommen, wären fast alle Probleme gelöst. Die Tendenz geht aber in die andere Richtung. 1,2 Millionen Menschen arbeiten in Österreich in Teilzeit, ein Drittel davon hat keine Betreuungspflichten. Wenn die Menschen immer weniger arbeiten, gerät die Finanzierung des Sozialsystems in Gefahr.

Haben Sie das Gefühl, dass es in Österreich mit der Arbeitsmoral nicht allzu weit her ist?
KE • Das glaube ich nicht. Viele Menschen in Österreich können sich bei gerechter Incentivierung vorstellen, mehr zu arbeiten. Und es werden ja auch fast 200 Millionen Überstunden jährlich geleistet. Die Überstunden sollten von der Steuer befreit werden, damit den Menschen mehr netto im Börserl bleibt.

Wenn wir zurückkehren zu Ihrer Rechnung, dass die durchschnittliche Arbeitszeit in Österreich von 33 auf 30 Stunden zurückgegangen ist und dass zwei Millionen Beschäftigte bereit wären, zwei oder mehr Stunden pro Woche mehr zu arbeiten, dann wäre wohl das Problem gelöst, oder?
KE • Ja, damit könnte man die fehlenden 200.000 Arbeitskräfte nach jetzigem Stand wettmachen. Zumindest auf dem Papier. Weitere Erleichterungen wird auch die Rot-Weiß-Rot-Karte schaffen, denn ohne Zuzug von qualifizierten Arbeitskräften wird es auf Dauer nicht gehen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang aber, dass wir uns aussuchen, wer nach Österreich kommt, und dass keine Einwanderung aufgrund unseres guten Sozialsystems stattfindet.

Die Wirtschaftsforschung geht davon aus, dass die Wirtschaft 2024 moderat wachsen wird. Was erwarten Sie?
KE • Ich bin davon überzeugt, dass wir nächstes Jahr wieder einen leichten wirtschaftlichen Aufschwung erleben werden. Wir haben eine sehr kleinstrukturierte Unternehmenslandschaft. Die letzte Krise hat gezeigt, dass sich die österreichischen Betriebe schnell auf neue Situationen einstellen. Nicht umsonst haben wir nach der Covid-Pandemie ein Wirtschaftswachstum von knapp fünf Prozent gehabt. Ich gehe davon aus, dass wir gut durch diese Krise kommen werden.  

Foto: Philipp Lipiarski

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