Grazetta

„Naturschutz ist MENSCHENSCHUTZ“

Naturschutz-Landesrätin Ursula Lackner (SPÖ) erklärt im GRAZETTA-Interview, wie der Bodenverbrauch gestoppt werden kann und warum jedes Dach zum Sonnenkraftwerk werden wird.

GRAZETTA Mit welchen Maßnahmen kann der Bodenverbrauch gestoppt und die Biodiversität erhalten bleiben?
URSULA LACKNER • Die Steiermark ist ein sehr vielfältiges Bundesland mit unterschiedlichsten Kultur- und Naturlandschaften. Sie sind nicht nur Lebensraum unzähliger Tier- und Pflanzenarten, sondern auch Aufenthaltsraum von Menschen. Nur in einem intakten Ökosystem können auch unsere Kinder und Enkel ein gutes Leben führen. Deswegen ist Naturschutz auch immer Menschenschutz. Diese Prämisse haben wir in unserer politischen Arbeit verankert. Noch nie haben wir so viel Geld für den Naturschutz ausgegeben wie heuer. 2024 sind es zehn Millionen Euro. Das entspricht einer Verdoppelung seit 2021. Wir haben mittlerweile 61 Europaschutzgebiete, wir haben ein Wildnisgebiet eingerichtet, einen Biosphärenpark etabliert und vieles mehr.

Naturschutz-Landesrätin Ursula Lackner: „Bereits verbaute Flächen zurückbauen.“

Kritiker behaupten, dass die Steiermark beim Bodenverbrauch im Spitzenfeld liegt.
UL • Die aktuellen Daten des Umweltbundesamts weisen aus, dass die Steiermark im Mittelfeld liegt. Das soll nichts beschönigen, denn für uns ist klar: Wir müssen noch viel sorgsamer mit unserem Boden umgehen. 2022 haben wir daher das Raumordnungsgesetz reformiert und festgelegt, dass sich Städte und Gemeinden künftig von innen nach außen entwickeln müssen und nicht umgekehrt. Einkaufszentren dürfen nicht mehr auf der grünen Wiese außerhalb der Siedlungszentren entstehen und jedes Dach muss zum Sonnenkraftwerk werden. Wir haben auch einen Ortskernschwerpunkt mit einem neu eingerichteten Ortskernkoordinator geschaffen, der Gemeinden dabei unterstützt, wieder mehr Leben in die Zentren zu bringen. 2024 starten wir mit einer Entsiegelungsoffensive, mit der bereits verbaute Flächen zurückgebaut werden können. So bringen wir mehr Grün in unsere Städte und Gemeinden. Das ist gut für die Lebensqualität, die Wasserversickerung und macht heiße Sommertage erträglicher.

Welche Rolle spielen Schutzgebiete wie der Biosphärenpark?
UL • Schutzgebiete dienen als großflächige Kernlebensräume, in denen Tiere und Pflanzen dauerhafte Bestände aufbauen können. In Österreich steht etwa ein Drittel des Landes unter Naturschutz, in der Steiermark sind es 46 Prozent. In den sieben Naturparks liegt der Fokus darauf, die Natur durch „Nützen zu schützen“. Das heißt, mit der Natur wird verträglich umgegangen, sie kann aber zum Beispiel landwirtschaftlich genützt werden. Wir haben aber auch Gebiete, die sehr streng geschützt sind. Dazu gehört der im vergangenen Herbst erweiterte Nationalpark Gesäuse und das Wildnisgebiet Lassingtal. Das sind wichtige Fortschritte im Naturschutz.

Naturschutz steht immer im Spannungsfeld mit wirtschaftlichen Interessen, wie man am Beispiel Wolf sieht. Ertragen wir also nur noch eine gezähmte Natur?
UL • Es geht um einen guten Ausgleich. Im konkreten Fall zwischen dem Schutz der Weidetiere und dem Schutz der Wildtiere. Das kann uns nur gelingen, wenn wir alle Betroffenen an den Tisch holen und gemeinsam Lösungen entwickeln. Wir haben einen guten Weg gefunden. Weil Sie davon sprechen, ob unsere Gesellschaft nur die „gezähmte Natur“ aushalte: Ich glaube ja und nein. Es braucht Orte, an denen Natur verwaltet wird. Aber es braucht auch Orte, an denen sich die Natur frei entwickeln kann, wie im 3.500 Hektar großen Wildnisgebiet Lassingtal. Gemeinsam mit dem Gebiet Dürrenstein auf der niederösterreichischen Seite haben wir den letzten Urwald des Alpenbogens unter strengen Schutz gestellt und somit einen Bereich geschaffen, in dem Natur im wahrsten Sinn des Wortes wild sein darf.

Wie kann ein Kompromiss zwischen  Windpark und Naturschutz aussehen?
UL • Es kommt auf einen guten Mittelweg an. Die Steiermark liegt an der Spitze, wenn es um Windkraft geht. Und auf das sind wir sehr stolz. Wenn wir aus Öl und Gas aussteigen wollen, müssen wir jede nachhaltige Energiequelle nutzen. In der Steiermark sind wir in der Wind- und Sonnenkraft deshalb mit einem gut durchdachten System vorgegangen. Wir haben uns genau angesehen: Wo macht es Sinn – auch aus naturschutzfachlicher Sicht – Anlagen zu errichten. Mit diesen sogenannten Vorrangzonen sagen wir, wo der Ausbau passieren darf. Wir bringen ihn in geordnete Bahnen und sagen auf der anderen Seite auch, welche Flächen dafür unter strengem Schutz stehen.

Was haben Sie mit dem Projekt „Natur-Verbunden“ vor?
UL • „NaturVerbunden“ ist das vielleicht wichtigste Naturschutzprojekt seit Jahren. Mit diesem Projekt schmieden wir ein Bündnis aus Landwirtschaft, Jägern, Städten, Gemeinden und Naturschutz. Es geht darum, die steirischen Schutzgebiete besser miteinander zu vernetzen. Denn Tier- und Pflanzenarten müssen sich genetisch austauschen können, um gesunde Bestände bilden zu können. Dafür brauchen sie sogenannte Trittsteinbiotope. Diese kann man sich wie die Felder auf einem Spielbrett vorstellen: Zwischen Start und Ziel muss es sichere Felder geben. Umgelegt auf den Naturschutz sind das zum Beispiel Wildblumenwiesen, intakte Wälder, Hecken oder Blühstreifen entlang von Straßen, die als Verbindungen fungieren. Mit dem Projekt „NaturVerbunden Steiermark“ wollen wir diese Bereiche schaffen. Das geht nur mit einem breiten Bündnis. Davon profitieren nicht nur Tiere und Pflanzen, sondern auch Menschen. Denn ein intaktes Ökosystem sorgt für Erosionsschutz und für fruchtbare Böden.  

Foto: Land Steiermark/Purgstaller

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