Krimis boomen im Fernsehen ebenso wie auf dem Buchmarkt. Warum uns Kriminalfälle faszinieren und worauf es bei einer guten Geschichte ankommt, Grazetta hat sich bei Insidern umgehört.
Es ist Sonntagabend und auf der Straße ist nichts los. Im ORF-Hauptabendprogramm läuft nämlich gerade „Tatort“. Die Folge „Dein Verlust“ mit Harald Krassnitzer und Adele Neuhauser in den Hauptrollen sahen in Österreich am 10. März dieses Jahres 858.000 Zuseher, fast zehn Prozent der Bevölkerung, wenn man die Kinder nicht mitrechnet. Mit 29 Prozent Reichweite war die Folge auch in Deutschland unangefochtener Tagessieger. Der „Tatort“ ist in Zeiten von Netflix und Amazon Prime wohl das letzte große öffentlich-rechtliche Fernsehereignis, das die Nation rund ums TV-Lagerfeuer versammelt.
Der Kriminalautor Andreas Pittler ist der Sache mit unserer Lust an Mord und Totschlag auf den Grund gegangen: „Der Mensch hat ein großes Bedürfnis an Nervenkitzel“, sagt er. „Dieses Prickeln will er aber nicht in einer realen Situation am eigenen Leib verspüren, sondern aus sicherer Distanz.“ Hinzu kommt, dass man im Gegensatz zu den Tragödien im wirklichen Leben wisse, dass am Ende der Mörder gefasst und das Gute siegen wird. Pittler hat über die Geschichte der Kriminalliteratur das Buch „Immer wenn sie Krimis schrieben“ geschrieben. Was die imaginierten Fälle von jenen des realen Lebens unterscheidet, hat seiner Meinung nach sehr oft mit der Komplexität des Verbrechens zu tun: Im wirklichen Leben werden Menschen Opfer von Tätern aus dem Familienkreis oder dem engen persönlichen Umfeld. Im Kriminalroman werde zumeist eine gefinkelte Handlung konstruiert. Zum Beispiel mit Rückgriffen auf längst vergangene Kränkungen, die den Täter Jahre später zum gnadenlosen Rächer werden lassen. „Je brutaler er dann seine Peiniger ins Jenseits befördert, umso sicherer kann sich der Leser sein, dass das alles erfunden ist“, betont der Krimi-Experte. Das würden auch die Verkaufszahlen belegen: „Die unrealistischsten Geschichten verkaufen sich am besten. Krimis, die tatsächliche Mordfälle beschreiben, sind viel weniger erfolgreich.“ Dem Genre des Hard Crime, wie die Fachwelt die besonders blutrünstigen Geschichten nennt, haben sich in den letzten Jahrzehnten vor allem skandinavische Autoren wie Stieg Larsson mit seiner Millennium-Trilogie und Karin Fossum einen Namen gemacht. Gut bedient werden aber auch Leser, die es gern weniger blutig haben. „Wirklich beliebt sind auch sogenannte Cosy Crimes, aber auch sogenannte Regio-Krimis“, erklärt Petra Asprion, Pressemitarbeiterin des deutschen Gmeiner Verlags, neben dem Emons der größte Verlag für Krimis im deutschsprachigen Raum.
„Der Mensch hat
ein großes Bedürfnis
an Nervenkitzel.“
ANDREAS PITTLER
Krimiautor
Eine, die mit dem Genre Regio Krimi in Österreich große Erfolge feiert, ist die Steirerin Claudia Rossbacher. Ihre Serie mit Kommissar Sascha Bergmann und Sidekick Sandra Mohr und später Anni Sulmtaler erreichen Auflagen im fünfstelligen Bereich, verlegt wird auch sie vom Marktführer Gmeiner. „Serien wie die Steirer-Krimis leben von zwei entscheidenden Zutaten: Von sympathischen Hauptdarstellern und einer Region, die Heimat sein kann oder Sehnsuchtsort“, erklärt Asprion. Das bestätigt auch Krimi-Experte Pittler: „Der Leser kennt die Gegend, in der die Handlung spielt, er erkennt im Gasthaus zum Schwarzen Adler im Roman den Braunen Bären im Nachbardorf und freut sich darüber.“ Populär seien die Regio-Krimis aber auch bei Touristen. Dem hat Pittler mit seinem jüngsten Buch „Kärntner Ritterspiel“ Rechnung getragen, das rund um die Kärntner Burg Hochosterwitz spielt. „Wenn im Museumsshop der Burg dann ein Krimi liegt, der hier spielt, dann kauft man den eben.“
Genauso vielfältig wie die Handlungsorte der populären Romane sind aber auch deren Helden. Wichtig ist deren Persönlichkeit: Man denke nur an Agatha Christies Hercule Poirot. Der stets makellos gekleidete, exzentrischen Belgier ermittelt in „Der Tod am Nil“ oder in „Mord im Orient Express“. In den Verfilmungen unübertroffen verkörpert von Sir Peter Ustinov, löst Poirot seine Fälle mit messerscharfem Verstand und unübertroffener Eleganz.
Am wohl anderen Ende der Persönlichkeitsskala hat Claudia Rossbacher ihren Helden Sascha Bergmann angesiedelt. Bergmann ist der geborene Zyniker, er macht Witze hart an der Grenze zur Geschmacklosigkeit, er legt, wie weiland Inspektor Columbo mit seinem zerknautschten Trenchcoat, wenig Wert auf seine äußere Erscheinung. Richtig liebe Typen sind da schon die Kommissare der „Rosenheim Cops“ aus dem Fernsehen, die zwischen Schweinsbraten und Kaffeeplausch ihre Fälle quasi im Vorbeigehen lösen. Die bayrischen Cops ermitteln seit 2002 für das ZDF, 23 Staffeln mit 554 Episoden und sechs Sendungen in Spielfilmlänge wurden gedreht.
Krimis sind also gut fürs Geschäft. Ganz gleich, ob es sich um Bücher oder um TV-Filme handelt. Spannungsliteratur ist gut für 15 Prozent des Buchmarkts in Österreich. Jedes vierte verkaufte Buch ist ein Krimi. Das Genre leistet daher einen großen Beitrag zur Rettung des stationären Buchhandels, sagen Kenner der Branche. Der Marktführer Gmeiner Vertag widmet 85 Prozent seines Programms diesem Genre. „Ab einer Verkaufsauflage von 2.500 bis 3.000 Stück ist ein Krimi für uns ein rentables Geschäft“, sagt Petra Asprion von Gmeiner. „Bei Regio-Krimis sind 5.000 Stück ein sehr guter Wert.“
„Ab einer Verkaufsauflage
von 2.500 bis 3.000 Stück
ist ein Krimi für uns ein
rentables Geschäft.“
PETRA ASPRION
Gmeiner Verlag
Was aber nicht bedeutet, dass es leicht wäre, solche Auflagen zu erreichen. Asprion und Pittler sagen übereinstimmend, wie wichtig es ist, dass Autoren Präsenz zeigen. „Auch Rossbachers erstes Buch ‚Steirerblut‘ war nicht sofort ein Erfolg“, betont Pittler. „Es stand Spitz auf Knopf, ob das Konzept aufgeht. Rossbacher hat viel persönlichen Einsatz gezeigt, sie ging auf Lesetour und ließ kein Interview für die Lokalpresse aus.“ Rossbachers Ochsentour habe sich gelohnt. Wichtig sei sie auch deshalb, weil das Gedränge am Markt überhandnimmt. „Es gibt inzwischen vier oder fünf Autoren, die Triest-Krimis schreiben“, erklärt Pittler. „Da verlieren die Kunden den Überblick und kaufen dann möglicherweise gar keinen.“ Pittler, Autor der in Wien verorteten, erfolgreichen Bronstein Krimis, hat sich diese Lektion zu Herzen genommen. Er ist privat und literarisch von Wien nach Kärnten übersiedelt. „In Kärnten gibt es gerade einmal drei Krimiautoren. Mediale Aufmerksamkeit für ein Buch bekommt man hier leichter als in Wien.“
In Österreich allein kämpfen 100 Krimiautoren darum, verlegt und gelesen zu werden. Der Gmeiner Verlag hat 700 Autoren unter Vertrag. Was die Ambition vieler junger Autoren nicht zu bremsen scheint, obwohl nur die wenigsten vom Schreiben leben können. Wem es in den Fingern juckt, sich selbst an der Gattung Kriminalroman zu versuchen, dem gibt Andreas Pittler ein paar gute Tipps: „Der Leser muss die Chance haben, den Täter zu erraten, auch wenn man es ihm so schwer wie möglich machen muss. Und der Täter muss im ersten Viertel des Texts vorkommen.“ Na dann, gutes Gelingen.
Fotos: ORF, Drava Verlag, Gmeiner Verlag, Allegro Film, Pexels