Grazetta

Spitz auf Knopf

Die Wahlen zum Europäischen  Parlament, die in 27 Mitgliedsstaaten zwischen 6. und 9. Juni abgehalten werden, werden zur Richtungswahl: Bleibt die Europäische Union mit ihrem Green Deal weiterhin Vorreiterin beim Klimaschutz, oder wird eine Koalition aus konservativen und rechtspopulistischen Parteien versuchen, diese ambitionierte Gesetzgebung abzuschwächen oder gar zu Fall zu bringen?

Nie zuvor in der Geschichte des Europäischen Parlaments hat die Wahl einen derart großen Einfluss auf die weitere Entwicklung der Union. Denn das Brüsseler Parlament teilt in fast allen Politikfeldern die Gesetzgebungskompetenz mit den Mitgliedsstaaten. Wie Österreichs Parteien die Zukunft der Union sehen und welche Themen in den nächsten fünf Jahren ganz oben auf der Agenda stehen sollen, darüber haben Bernd Brodtrager (ÖVP), Dominik Szecsi (SPÖ), Lambert Schönleitner (Die Grünen), Georg Mayer (FPÖ) und Philipp Pointner (NEOS) am Runden Tisch in der GRAZETTA – Redaktion diskutiert.

Die Teilnehmer am Runden Tisch zur EU-Wahl: Dominik Szecsi  (SPÖ), Georg Mayer (FPÖ), Lambert Schönleitner (Die Grünen), Bernd Brodtrager (ÖVP und Philipp Pointner (Neos, v.l.)
MODERATION Barbara Hoheneder

Grazetta: Die Wahl zum Europäischen Parlament (EP) wird von vielen Beobachtern als die wichtigste bezeichnet, seit es diese Institution gibt. Teilen Sie diese Einschätzung?
GEORG MAYER (FPÖ) Wenn man die Fehlentwicklungen in Europa in Betracht zieht, dann ist es sicher eine der wichtigsten Wahlen. Dass bei Magna und AVL hunderte Menschen gekündigt werden, das ist die Folge des europäischen Green Deal, eines Gesetzespakets, das eine verirrte linke Klimamehrheit im Parlament, zu der auch die Europäische Volkspartei gehört, beschlossen hat. Diese Mehrheit gilt es zu durchbrechen.
BERND BRODTRAGER (ÖVP) Bei dieser Wahl steht einiges auf dem Spiel: Die Umfragen zeigen, dass es Stimmenzuwächse der rechten Mitte und der extremen Rechten geben wird. Für mich als Landwirt sind Europawahlen immer Schicksalswahlen, weil über 80 der Gesetze, die die Landwirtschaft betreffen, in Brüssel beschlossen werden. Und dabei geht es auch um die Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln.
LAMBERT SCHÖNLEITNER (GRÜNE) • Für Europa ist es die wichtigste Wahl seit langem, weil wir die großen Fragen wie Klimakrise und Sicherheit ohne EU nicht lösen werden können. Wenn man wie der FPÖ-Spitzenkandidat Harald Vilimsky die EU-Institutionen als Irrenhaus bezeichnet, dann ist das inakzeptabel und verantwortungslos. Und weil gerade die Kündigungen bei Magna angesprochen wurden: Es ist wesentlich für das Autoland Steiermark, dass wir bei neuen Technologien vorne mit dabei sind. Hierfür braucht es Rechtssicherheit.
DOMINIK SZECSI (SPÖ) Das kann ich nur unterstreichen. Der Großteil der Gesetze kommt aus Brüssel und deshalb ist die EP-Wahl die wichtigste Wahl in ganz Europa. Wenn der Green Deal verwässert wird, wie FPÖ und ÖVP es fordern, dann verlieren wir eine gute gesetzliche Grundlage, auf der die Unternehmen arbeiten und jene Technologien entwickeln können, die für die Transformation wichtig sind. Alles andere würde den Wohlstand in Österreich gefährden.
PHILIPP POINTNER (NEOS) Europa ist der größte Raum des Rechtsstaats, der Demokratie und der Freiheit. Ich gehöre einer Generation an, die diese Freiheit genießen durfte. Und diese Freiheit, diese Werte sind unter Beschuss. Wenn wir in nationale Eigeninteressen zurückfallen, werden wir in einer hochtechnisierten Welt keine Chance mehr haben. Was für uns so selbstverständlich ist, muss auch für nachkommende Generationen selbstverständlich bleiben. Das heißt, dass wir gerade jungen Menschen erklären, warum Europa für sie wichtig ist. Und das bedeutet Bildung. Bildung sollte die fünfte Grundfreiheit in Europa werden, – ganz im Sinne der Europäischen Charta der Grundrechte.

In welche Richtung soll sich die Europäische Union entwickeln?
POINTNER (NEOS) Wir sind für die Errichtung der Vereinigten Staaten von Europa. Das ist das konstruktive Gegenmodell zur FPÖ. Wir müssen den nationalen Satan überwinden, der immer nur Leid gebracht hat. In den Vereinigten Staaten von Europa sollte der Präsident der Europäischen Kommission direkt von den Bürgern gewählt werden.

„Meine Generation hatte das Glück, ein grenzenloses Europa in Frieden und Wohl-stand zu erleben. Doch diese Freiheiten sind massiv in Gefahr. Europa wird angegriffen – von innen durch die Nationalisten und von außen durch die Machtinteressen Putins und Trumps. Wir NEOS sind die einzige Partei Österreichs, die sich für Europa einsetzt. Und zwar für ein noch besseres Europa. Uns geht es um Sicherheit und grenzenlose Bildung. Ich selbst bin als glühender Europäer zu NEOS gekommen und davor als Dirigent voll Stolz und Bewunderung über unseren vielfältigen Kontinent gereist. Mit meiner Entscheidung für NEOS und für die Vereinigten Staaten von Europa möchte ich Vorbild sein – vor allem für die Jugend. Die EU-Wahl am 9. Juni 2024 entscheidet maßgeblich über die Zukunft für die nächsten Generationen.“

PHILIPP POINTNER
NEOS

MAYER (FPÖ) Dieser Vorschlag ist
ein Verrat an der Republik Österreich. Der Nationalstaat ist kein Satan. Es gibt das Subsidiaritätsprinzip in den Verträgen, wonach Entscheidungen, wenn möglich, so nahe am Bürger getroffen werden. Nur das ist totes Recht. Weil die EU sich für zuständig erklärt, wo sie gar nicht zuständig ist. SPÖSpitzenkandidat Andreas Schieder will auf EU-Ebene für Steuergerechtigkeit sorgen. Steuern sind keine europäische Zuständigkeit und das soll auch so bleiben.
SZECSI (SPÖ) Schädlichen Steuerwettbewerb zu verhindern, das sollte eine Aufgabe der EU sein. Konzerne übersiedeln in Länder, in denen sie weniger Steuern zahlen. Das heißt, sie versteuern den Umsatz, den sie in Österreich gemacht haben, in einem anderen Land und Österreich schaut durch die Finger. Das zu verhindern, sollte Aufgabe der EU sein. Notwendig sind auch soziale Mindeststandards in Europa, um Lohndumping zu verhindern. Wir verlieren in der EU pro Jahr 825 Milliarden Euro durch Steuertricks. Dieses Geld fehlt uns dann für wichtige Projekte wie den Ausbau des Schienennetzes.
SCHÖNLEITNER (GRÜNE) Die Mitgliedschaft in der Union hat uns gewaltig nach vorne gebracht. Zum Beispiel beim Naturschutz. Wenn man sieht, was in den letzten Jahren an EU-Fördermitteln in den Naturschutz geflossen ist, das wir nur aus den Mitteln des steirischen Budgets nie geschafft. Eine Weiterentwicklung braucht es auch in der Wirtschaftspolitik. Wir sind für eine Harmonisierung des Steuerrechts. Eine Gemeinsame Währung ohne diese beiden vergemeinschafteten Politiken halten viele Ökonomen für grob fahrlässig.

BRODTRAGER (ÖVP) Man muss betonen, wieviel uns der Beitritt zur EU gebracht hat: Seit 1995 haben sich die Exporte vervierfacht, das Bruttoinlandsprodukt hat sich verdoppelt. Künftig müssen die großen Fragen wie Migration, Sicherheit und Klimaschutz auf europäischer Ebene entschieden werden. Was den Green Deal und die Renaturierung angeht, da reguliert die EU zu viel, die Maß-nahmen schießen über das Ziel hinaus. Das ist auch der Grund, warum Österreich bei der Renaturierung nicht zugestimmt hat.
SZECSI (SPÖ) Das stimmt doch nicht, Kollege Brodtrager. Die Gesetzesvorlage ist sehr klar und die Wissenschaft sagt uns, dass wir Flächen in den Naturzustand zurückbringen müssen, um das Artensterben zu stoppen. Das ist auch im Interesse der Landwirtschaft und der Versorgungssicherheit.
SCHÖNLEITNER (GRÜNE) Was mich in der Europadebatte am meisten irritiert, ist die Annäherung der ÖVP an Positionen der FPÖ in dieser Frage.
MAYER (FPÖ) Man kann doch nicht so weltfremd sein. Vor vier Monaten haben 5.000 Bauern mit ihren Traktoren in Brüssel und Straßburg demonstriert. Vielleicht geben wir einfach einmal zu, dass die EU da auf dem falschen Dampfer ist.
BRODTRAGER (ÖVP) Die Bauern haben protestiert, weil sie im eigenen Land wenig Unterstützung bekommen und durch viele europäische Einschränkungen Einkommen verlieren, Kollege Mayer. Weil wir es nicht geschafft haben, die Qualitätsstandards so festzuschreiben, dass wir im Wettbewerb gleiche Produktionsvoraussetzungen vorfinden. Billigprodukte machen den Markt für unsere Landwirte kaputt. Dagegen haben die Bauern protestiert.
SCHÖNLEITNER (GRÜNE) Und warum polemisiert dann die ÖVP gegen das Renaturierungsgesetz?
BRODTRAGER (ÖVP) Dass wir in der Frage der Renaturierung die FPÖ kopieren, ist Schwachsinn. Der Unterschied ist, dass wir uns mit den Auswirkungen solcher Gesetze auseinandersetzen. Es geht bei diesem Gesetz um fehlende Verhältnismäßigkeit, fehlende Finanzierung und unklare Umsetzungsmaßnahmen. Es geht um Existenzen. Ich führe einen landwirtschaftlichen Betrieb im Raabtal. Dort haben unsere Urgroßeltern feuchte Flächen entwässert, um auf diesen Flächen Lebensmittel produzieren zu können. Wenn diese Flächen wegfallen, steht der landwirtschaftliche Betrieb und damit auch die Lebensmittelversorgung auf dem Spiel.
POINTNER (NEOS) Das Problem sind tatsächlich die Preise. Man kann auch von der Forstwirtschaft nicht mehr leben. Den Fichtenwald, wie wir ihn kennen, wird es in absehbarer Zeit nicht mehr geben. Wie gehen wir gesamteuropäisch damit um? Es geht um eine Bewusstseinsänderung, die man nur über Bildung erreicht. Wir brauchen Bildung, die den Nationalismus in Frage stellt.

Der FPÖ­-Spitzenkandidat Harald  Vilimsky will in Europa auf den roten Knopf drücken. Ist damit der Austritt  Österreichs aus der EU gemeint?
MAYER (FPÖ) Der Austritt Österreichs aus der EU ist für uns kein Thema. Aber schauen wir uns an, was beschlossen wurde. Das Verbot von Verbrennermotoren bis 2035 zum Beispiel. Das ist verheerend, wenn man bedenkt, dass AVL Motoren entwickelt, die weniger als einen Liter Diesel verbrauchen.

„In Zeiten globaler Krisen und politischer Spannungen ist ein starkes, ökologisches Europa unsere Chance für eine bessere Zukunft. Eine aktive Klima- und Transformationspolitik sichert die Zukunftsmärkte, die für unsere wirtschaftliche Sicherheit entscheidend sind. Wir Grüne sind überzeugt davon: Erneuerbare statt fossiler Brennstoffe, Ja zu Gleichstellung und sozialer Gerechtigkeit, und volle Leidenschaft für das europäische Friedensprojekt. Das gemeinsame Europa steht für Demokratie und Menschenrechte – und klar, es ist nicht alles perfekt. Deshalb müssen wir gut auf unser Europa aufpassen und es weiter stärken. Bei der Wahl am 9. Juni entscheidet sich, ob wir den Weg Richtung Klimaschutz, Wohlstand und Demokratie weitergehen oder dem Druck von Nationalismus und Gewalt nachgeben. Es gibt keine Alternative zu einer Weiterentwicklung der Zusammenarbeit in der EU. Klimasicherheit und wirtschaftliche Sicherheit können nur auf einem breiten europäischen Fundament gebaut werden.“

LAMBERT SCHÖNLEITNER
Grüne

BRODTRAGER (ÖVP) Das Ausstiegsszenario der FPÖ ist für mich nicht vom Tisch. Die FPÖ hat zweimal den Antrag gestellt, die EU-Beitragszahlungen Österreichs auszusetzen. Ein Stopp der Zahlungen wäre das Ende der Europäischen Union.
MAYER (FPÖ) Wir haben das gemacht, weil im Europa Parlament Beschlüsse gefasst werden, wo man sich an den Kopf greift.
POINTNER (NEOS) Die FPÖ will den Green Deal stoppen, das meint Vilimsky mit dem roten Knopf.
SCHÖNLEITNER (GRÜNE) Wir werden den Klimawandel nur europäisch bewältigen können. Ein wichtiges Ziel ist Kostenwahrheit im Verkehrssektor, da hat die EU zu wenig erreicht. Wir brauchen einen massiven Ausbau der Bahnverbindungen in Europa und ein europäisches Zugticket. Gerade in der Umweltgesetzgebung wird viel davon abhängen, wohin sich die ÖVP und ihre Schwesterparteien orientieren: nach rechts außen und hin zur konstruktiven Mitte.
BRODTRAGER (ÖVP) Das ist Unsinn. Uns geht es schlicht und einfach um praktikable Lösungen.
SCHÖNLEITNER (GRÜNE) Warum spricht VP-Spitzenkandidat Reinhold Lopatka dann davon, dass Österreich die Vorzeigeregion für den Verbrenner sein soll?
BRODTRAGER (ÖVP) Lopatka hat gesagt, dass die Politik nicht vorgeben soll, in welche Richtung sich Innovation entwickeln soll. Gerade die Steiermark ist Vorreiterin bei der Forschung zu grünen Verbrennern. Ein Mix aus Wasserstoff- und Elektroantrieben macht eine nachhaltige und unabhängigere Zukunftsentwicklung aus. Wenn wir nur auf E-Mobilität setzen, begeben wir uns in die Abhängigkeit von China.

MAYER (FPÖ) Die Kommission setzt nur auf E-Mobilität. So viel Energie werden wir aber nicht haben, um die gesamte Mobilität auf elektrisch umzustellen. Es sei denn, wir setzen auf Atomenergie.

An der Grenze zu Europa tobt ein  grausamer Krieg, was bedeutet das für die Außen­ und Sicherheitspolitik der EU?
SZECSI (SPÖ) Europa muss sich von den USA emanzipieren und handlungsfähig werden. Man stelle sich vor, Donald Trump wird im November erneut zum US-Präsidenten gewählt. Dann werden wir ohne eine intensivere Zusammenarbeit jedes Mal den Kürzeren ziehen. Wir müssen die sicherheitspolitische Zusammenarbeit auf europäischer Ebene stärken. Wenn die Ukraine fällt, dann sind auch die baltischen EU-Staaten in Gefahr. Die Zusammenarbeit muss aus unserer Sicht aber im Rahmen der Neutralität Österreichs geschehen. Denn an der Neutralität ist nicht zu rütteln.
SCHÖNLEITNER (GRÜNE) Wenn Europa mit China und den USA auf Augenhöhe sein will, dann werden wir eine gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik brauchen. Das heißt eine europäische Verteidigungsarmee und eine EU- Verteidigungsstrategie. Das Vetorecht sollte aufgegeben werden. Ich verstehe nicht, warum die FPÖ gegen das Luftverteidigungssystem Sky Shield ist.

„Die FPÖ steht für eine Politik, die sich an den tatsächlichen Bedürfnissen und Sorgen der Bürger orientiert. Wir kämpfen für eine Rückkehr zu den Grundsätzen der Subsidiarität, bei der Entscheidungen so nah wie möglich am Bürger getroffen werden. Unser Engagement für die Wiederherstellung der nationalen Souveränität, die Stärkung der Grenzsicherheit und die kritische Überprüfung von EU-Regulierungen zeigt, dass wir bereit sind, die Interessen Österreichs in Brüssel stark zu vertreten.“

GEORG MAYER
MEP FPÖ

MAYER (FPÖ) Die EU ist kein Verteidigungsbündnis, das ist die NATO. Österreichs Neutralität ist immerwährend und das mit gutem Grund. Sky Shield ist im Wesentlichen ein NATO-Projekt, deshalb lehnen wir eine Teilnahme ab. Wir werden in Europa nie in Frieden leben können, wenn wir mit dem russischen Bären nicht zu einem Zusammenleben finden. Die EU sollte Friedensverhandlungen initiieren.
SZECSI (SPÖ) Einspruch: Sky Shield ist ein reines Verteidigungsinstrument. Zu behaupten, dass wir durch ein Verteidigungssystem in einen Krieg gezogen werden, ergibt keinen Sinn. Auch die neutrale Schweiz ist Teil dieses Projekts.

Warum sollte Russland auf ein Vermittlungsangebot der EU eingehen?
SCHÖNLEITNER (GRÜNE) Es ist doch ganz einfach: Wenn die Ukraine zu kämpfen aufhört, dann existiert sie nicht mehr. Wo kann es da ein Entgegenkommen an Russland geben? Wenn das Völkerrecht verletzt wird, dann muss man einschreiten.
POINTNER (NEOS) Die EU ist eine Werte- und Rechtsunion. In einer Situation, in der Unrecht geschieht, bezieht der Neutrale automatisch Stellung, wie es der südafrikanische Geistliche und Menschenrechtsaktivist Desmond Tutu formuliert hat. Und das gilt auch für die EU. Nachdem Österreich sich aus freien Stücken nach dem Zweiten Weltkrieg zur Neutralität verpflichtet hat, muss es möglich sein, die Neutralität einer Neubewertung zu unterziehen.

Bernd Brodtrager (l.) und Philipp Pointner:  Kritik am FP-Versuch, den Green Deal zu stoppen.

SZECSI (SPÖ) Wir bekennen uns ganz klar zur Neutralität. Neutralität bedeutet aber nicht, keine Meinung zu haben. Ganz im Gegenteil: Besonders wenn in der Welt Unrecht geschieht, hat Österreich eine lange und stolze Tradition, sich dagegen auszusprechen und als Vermittler aufzutreten.
MAYER (FPÖ) Wichtig wäre es, Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland möglich zu machen. Dann müssen sich die beiden Kriegsparteien ausschnapsen, mit welcher Lösung sie beide leben kön nen. Und die gibt es, da bin ich sicher. Krieg ist keine Lösung. Was Länder wie Frankreich machen, das ist Kriegstreiberei.
BRODTRAGER (ÖVP) Die FPÖ plakatiert Selenskyi und Van der Leyen küssend mit dem Text Kriegstreiberei. Wissen Sie, welches Wort Sie hier verwenden, Kollege Mayer? Es ist das Wort von Dimitri Peskow, dem Pressesprecher Putins. Er ist es, der Europa Kriegstreiberei vorwirft.
SZECSI (SPÖ) Es ist doch ganz einfach: Russland ist der Kriegstreiber. Putin hat die Ukraine angegriffen. Der Krieg ist nur dann vorbei, wenn Russland aus der Ukraine abzieht. Sonst erlauben wir einem protofaschistischen Regime, sich in der Ukraine auszubreiten.

„Europa soll in Zukunft mehr dafür da sein, auf die großen Fragen unserer Gesellschaft – Frieden, Migration, Klimaschutz, Binnenmarkt oder Lebensmittelversorgungsicherheit – eine Antwort zu geben. Was in den Mitgliedsstaaten gelöst werden kann, soll auch bei den Mitgliedsstaaten bleiben. Gerade die Land- und Forstwirtschaft war in dieser Periode von überbordenden Überregulierungen, Gesetzen und Rechtsakten aus Brüssel betroffen, die eine Umsetzung in den Regionen und auf landwirtschaft-lichen Betrieben teilweise unmöglich machen. Als Jungbauer und politischer Vertreter der Mitte meine ich, dass Gesetzesbeschlüsse für die Gesellschaft nur dann Sinn machen, wenn wir uns vor Entscheidungsprozessen auch mit Folgeabschätzungen beschäftigen und Direktbetroffene nicht zurücklassen. Das ist mein Verständnis von Nachhaltigkeit.“

BERND BRODTRAGER
ÖVP

„Wir brauchen Europa, um die großen Aufgaben dieses Jahrhunderts zu lösen. Besonders die Klimakrise kann nur auf europäischer Ebene bekämpft werden. Die größten Klimaschädiger müssen besonders in die Pflicht genommen werden, nämlich Großkonzerne und Superreiche. Sie müssen ihren Beitrag zum Klimaschutz durch faire Steuern und sinnvolle Regulierung leisten. Die Bürger der EU, die jeden Tag hart arbeiten, dürfen nicht die Geschädigten von Klimaschutzmaßnahmen sein. Hier zeigt sich wieder: Klimaschutz ist auch eine große soziale Frage. Menschen, die weniger Geld haben, leiden nämlich am meisten unter der Klimakrise. Deswegen ist soziale Treffsicherheit bei Klimamaßnahmen absolut notwendig. Nur so schaffen wir effektiven Klimaschutz!“

DOMINIK SZECSI
SPÖ

Die EU hat vor wenigen Monaten ein Migrations­ und Asylpaket beschlossen, das für gemeinsame Standards bei der Behandlung von Flüchtlingen sorgt und für eine gerechtere Verteilung der Schutzsuchenden. Wie beurteilen Sie diese Einigung?
POINTNER (NEOS) Das Asylpaket ist ein Schritt in die richtige Richtung. Wir müssen die Zuwanderung so steuern, dass sie in einem für Europa gesellschaftlich verträglichen Rahmen bleibt. Das bedeutet Auffanglager und Registrierung der Flüchtlinge an den Außengrenzen. Aber auch ein faires Verteilungssystem. Dieser positive Schritt wird dazu beitragen, jenen den Wind aus den Segeln zu nehmen, die Ängste schüren, dass jeder, der um Asyl ansucht, eine Bedrohung ist. Diese Menschen müssen aber integriert werden. Und das geht nur mit Bildung. Deshalb appelliere ich an die ÖVP im Land, mehr Geld in die Elementarbildung zu investieren.
BRODTRAGER (ÖVP) Man muss zwischen legaler und illegaler Migration unterschieden. Ich erinnere daran, dass wir in Österreich einen Fachkräftemangel haben. Zum Beispiel im Bereich der Pflege. Hier brauchen wir legale Zuwanderung. Illegale Migration kann nur auf europäischer Ebene geregelt werden. Aktuell kontrollieren elf von 27 Mitgliedsstaaten ihre Außengrenzen. Es muss das Ziel sein, die Außengrenzen der EU gut zu schützen. Stichwort funktionierendes Schengen-System. Dann haben wir innerhalb der Union auch die Freiheiten, von denen wir immer reden. Asylverfahren an den Außengrenzen, ein System der verpflichtenden Solidarität und die gemeinsame Bekämpfung der Schlepperbanden, das sind sehr wichtige Dinge. Die FPÖ hat übrigens diesem gemeinsamen Asyl- und Migrationspaket nicht zugestimmt.
SZECSI (SPÖ) Wenn wir in der EU eine Wertegemeinschaft sind, dann müssen wir diese Werte auch leben. Dazu gehört, dass wir das Sterben an den Außengrenzen beenden müssen. Natürlich hat jeder Staat ein legitimes Interesse daran zu wissen, wer zu uns kommt. Dafür braucht es aber auch legale Fluchtrouten. Uns Sozialdemokraten fehlen beim vorliegenden Deal Integrationsmaßnahmen. Und was die gerechte Verteilung von Flüchtlingen auf die Mitgliedsstaaten betrifft: Dass sich manche Staaten mit 20.000 Euro von der Aufnahme eines Flüchtlings freikaufen können, das halte ich für perfide. Aber eines ist auch klar: Wenn es in jedem Mitgliedsstaat andere Standards in der Betreuung gibt, dann werden Flüchtlinge dorthin gehen, wo sie am besten unterstützt werden. Da muss die EU zu einer Vereinheitlichung kommen. Glaubt irgendjemand, dass Menschen gerne ohne Beschäftigung und ohne Perspektive in einer Unterkunft sitzen? Nein. Voraussetzung für Integration ist darum ein ausreichendes Angebot, die Landessprache zu erlernen, Arbeit zu finden und sich eine Existenz aufzubauen. Das fehlt in dem Paket.

SCHÖNLEITNER (GRÜNE) Wir Grüne sind für eine effiziente Kontrolle der Außengrenzen, aber auch für legale Fluchtrouten. Wir brauchen in diesem Bereich mehr Professionalität. Wir sind zwar mit dem Migrations- und Asylpaket nicht vollkommen glücklich, aber es ist ein erster Schritt. Es können nicht zwei oder drei Länder in Europa die ganze Last tragen. Und was die 20.000 Euro betrifft: Das sollte schon ein Betrag sein, der wehtut. Wichtig ist uns, die Integration voranzubringen. Man sollte in diesem Zusammenhang aber auch sagen, dass der Klimawandel die Hauptursache für Flucht ist.
MAYER (FPÖ) Wenn man halb Kalkutta aufnimmt, darf man sich nicht wundern, wenn man selbst zu Kalkutta wird. Wir werden also nicht alle aufnehmen können. Menschen, die schutzbedürftig sind, werden aufgenommen, so wie es in Österreich Tradition hat. Aber von den acht Millionen Menschen, die in den letzten Jahren nach Europa gekommen sind, haben zwei Drittel kein Aufenthaltsrecht. Die müssen zurückgebracht werden. Man braucht ein effizienter Außengrenzschutz und eine Bekämpfung der Schlepper und NGOs, die die Flüchtlinge nach Italien bringen. Die italienische Regierung macht vor, wie man das macht.

Dominik Szecsi: „Neutralität  bedeutet nicht, keine Meinung zu haben.“

Fotos: Michaela Pfleger, Istock.com

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