Das Wort Genuss kann viele Bedeutungen haben. Die Vorsitzende der Tourismusregion Graz, Sylvia Loidolt, die beiden Wirtinnen Sandra Loidolt und Maria Möstl und Seminarbäuerin Sandra Hillebrand sind sich allerdings einig: Für sie ist es der Genuss auf dem Teller und im Glas, der die Menschen zusammenbringt.
GRAZETTA • Frau Loidolt, Frau Möstl: Sie beide sind bzw. waren viele Jahre in der Gastronomie tätig. Haben sich die Ansprüche der Gäste im Laufe der Jahre verändert?
SYLVIA LOIDOLT • Die Ansprüche haben sich immer wieder verändert. Ich erinnere mich an eine Zeit, in der nur eine gehobene Küche gefragt war. Heute werden wieder bodenständige Gerichte bestellt. Ich koche so, wie schon meine Urgroßmutter gekocht hat. Eine Flecksuppe oder Klachlsuppe ist etwas ganz Besonderes für die Gäste.
MARIA MÖSTL • Ich sehe das genauso. Eine Zeit lang war nur die Haubenküche gefragt. Heute servieren wir alte, traditionelle Gerichte, wie Rindsrouladen oder Sülze. Natürlich gibt es auch Gäste, die die Nase rümpfen, wenn man ihnen Beuschel anbietet. Viele sind aber auch gerührt, weil diese Gerichte bei ihnen Kindheitserinnerungen wecken.
SANDRA HILLEBRAND • Bei uns im Gemüseladen ist es eher so, dass die Leute mutiger werden. Es gab eine Zeit, da wurden nur Erdäpfel, Paradeiser und Salat gekauft. Heute sind auch Süßkartoffeln, Pastinaken oder aktuell Spargel gefragt.
Hier am Tisch sitzen zwei aktive und eine Wirtin im „Unruhezustand“. Gibt es kein Konkurrenzdenken bei Ihnen?
SYLVIA LOIDOLT • Ganz im Gegenteil. Aber ich gebe Ihnen recht: Früher hat man so gedacht. Maria und ich arbeiten schon seit vielen Jahren zusammen und haben sogar ein gemeinsames Event unter dem Motto „Das Beste aus Semriach“ aufgezogen. An einem Abend wurde im Semriacherhof und an einem Abend im Häuserl im Wald Semriach ein Sieben-Gänge-Menü mit Weinbegleitung serviert.
MARIA MÖSTL • Wir wurden damals mit Argusaugen beobachtet, weil man nicht verstehen konnte, wie wir die jeweils andere in den eigenen Betrieb lassen konnten. Heute erinnern sich die Gäste noch oft an das Event zurück. Wir haben nämlich bewiesen, dass man Gerichte auf Haubenniveau mit Produkten aus Semriach zaubern kann. Es war auch deshalb so toll, weil die Bauern aus der Umgebung sehr stolz waren, ihre Produkte anliefern zu können.
SANDRA HILLEBRAND • Das ist auch das Schöne an dieser Runde. Wir sitzen hier als Wirtinnen und Bäuerin zusammen und können aufzeigen, dass unsere Arbeit Hand in Hand geht und wie wertvoll unsere heimischen Produkte sind.
SANDRA LOIDOLT • Im November werden wir „Das Beste aus Semriach“ nach längerer Pause erstmals im Semriacherhof wieder veranstalten. Ich habe den Betrieb im Jänner dieses Jahres von meiner Mutter übernommen und möchte den regionalen Gedanken der steirischen Küche auch in fünfter Generation unbedingt weiterführen.
Sylvia Loidolt (r.) ist die Vorsitzende der Tourismusregion Graz. Im Jänner 2024 übergab sie den Semriacherhof an ihre Tochter Sandra Loidolt. Hausgemachte Speisen und ein eigener Rot- und Weißwein unter dem Titel „Rebenskunst“ erwarten die Gäste.
Sowohl im Semriacherhof als auch im Häuserl im Wald Semriach wird mit regionalen Zutaten gekocht. Warum ist Ihnen die Verwendung von heimischen Produkten so wichtig?
SYLVIA LOIDOLT • Weil ich es nicht anders kenne. Meine Großmutter hatte schon ein Gasthaus mit eigener Hausfleischerei und eigenem Gemüsegarten in Semriach. Ich bin es seit meiner Geburt gewöhnt, dass man nur mit regionalen, frischen Produkten kocht. Ich habe die Philosophie, dass ich dem Gast nur das verkaufe, was ich selbst essen würde.
SANDRA LOIDOLT • Wir haben im vergangenen Jahr unseren Tennisplatz entfernt. Wir werden dort einen Gemüsegarten anlegen. Wir verwenden auch hier im Gastgarten für unsere Beete und Obstbäume keine Spritzmittel. Es kommen ausschließlich biodynamische Präparate zum Einsatz, damit auch die Kinder der Gäste hier im Garten alles probieren können.
SYLVIA LOIDOLT • Sie finden bei uns in der Küche keine Convenience-Produkte, außer Pommes Frites, die kaufen wir zu. Ob Apfelstrudel oder Gnocchi, alles wird von Hand gemacht. Mir persönlich ist es lieber, ein Gericht ist ausverkauft, als dass ich es tiefgefroren lagere.
Sandra Hillebrand vom Genuss Bauernhof Hillebrand in Premstätten ist Obfrau der steirischen Seminarbäuerinnen. Rund 40 aktive Seminarbäuerinnen sind in der Steiermark unterwegs und bieten Workshops und Kochkurse für Erwachsene und Kinder an.
MARIA MÖSTL • Das schätzen die Gäste auch sehr. Ein simpler Backhendlsalat aus frischen, heimischen Zutaten bringt viele zum Schwärmen. Da frage ich mich immer, was die Leute sonst so serviert bekommen.
SANDRA HILLEBRAND • Ich glaube das wäre auch ein wichtiger Ansatz für die Zukunft. Der Gast muss beim ersten Blick in die Speisekarte erkennen, dass hier in diesem Gasthaus ausschließlich mit regionalen, saisonalen Produkten gekocht wird.
Maria Möstl führt das Häuserl im Wald Semriach in vierter Generation. Das Gasthaus ist für seine authentisch steirischen Gerichte aus regionalen Zutaten bekannt.
Frau Hillebrand, Sie sind Obfrau der steirischen Seminarbäuerinnen. Was ist Ihr Hauptanliegen in dieser Position?
SANDRA HILLEBRAND • Wir sind Botschafterinnen der heimischen Lebensmittel. Wir wollen zeigen, welche großartigen Produkte wir in der Steiermark haben, wer hinter diesen Erzeugnissen steht und was man daraus kochen kann. Wir setzen speziell bei Kindern an und machen deshalb Workshops in Volksschulen. Wenn Schulküchen vorhanden sind, kochen wir dort gemeinsam mit den Kindern. Es gibt auch Vorträge für Erwachsenen, bei denen wir erklären, was alles in industriell gefertigten Produkten steckt. Viele sind schockiert, wenn sie erfahren, dass manche Fruchtjoghurts Sägespäne enthalten. Dabei gibt es im Supermarkt Naturprodukte ohne Zusätze. Man muss nur mit offenen Augen durch das Geschäft gehen.
SANDRA LOIDOLT • Wir bekommen Milch, Brot und Käse von einem heimischen Bauern. Es ist ein Irrglaube, dass diese Lebensmittel so viel teurer sind. Ich glaube, wenn man die Menschen aufklärt, sind sie gerne bereit, für ein besseres Produkt ein paar Cent mehr auszugeben.
SANDRA HILLEBRAND • Wichtig wäre es auch, den eigenen Kindern zu erklären, warum man im Winter die Erdbeeren im Supermarkt nicht kauft. Von den Schulen bekommen wir oft das Feedback, dass die Kinder nach unseren Workshops ihre Eltern darüber aufgeklärt haben, dass diese Erdbeeren im Regal nicht aus der Steiermark sind. Sie verstehen den Zusammenhang durchaus.
SYLVIA LOIDOLT • Ich glaube sogar, dass die Kinder das nicht als Verzicht wahrnehmen. Die Freude ist umso größer, wenn es dann endlich wieder Erdbeeren gibt. Alles, was ständig und immer verfügbar ist, verliert schon bald an Wert.
Fotos: Michaela Pfleger