Der Salat aus dem eigenen Garten und das Ei von den Hühnern hinterm Haus: Überzeugte Selbstversorger, Mikrolandwirte und bäuerliche Quereinsteiger entwickeln neue nachhaltige und ertragreiche Formen der Landwirtschaft.
Wachse oder weiche“, dieses eherne Gesetz gilt in der Landwirtschaft seit vielen Jahrzehnten. Wer seine Flächen nicht erweitern, die Zahl der Milchkühe nicht erhöhen, und seine Produktion nicht steigern kann, dem droht früher oder später das wirtschaftliche Aus.
Ein Blick in die Agrarstrukturerhebung belegt dies: 2020 gab es in Österreich knapp 156.000 landwirtschaftliche Betriebe, um 6,3 Prozent weniger als 2013. Noch deutlicher wird dieser Trend, wenn man den Vergleichszeitraum erweitert: 1960 wurden in Österreich 245.000 Höfe im Vollerwerb geführt, 2016 war davon nur noch ein Viertel übrig.
Gegen diese Entwicklung formiert sich in den letzten Jahren eine Bewegung, die sich gegen die Industrialisierung der Landwirtschaft und der Lebensmittelproduktion stemmt. Getragen von ökobewegten Städtern ebenso wie von innovativen Landwirten sucht diese Bewegung nach Wegen, wie Nahrungsmittel ohne den ressourcenintensiven Einsatz von Maschinen und Düngemitteln hergestellt werden können.
Ein vielversprechender Ansatz dafür ist das sogenannte Market Gardening: Dieser Begriff steht für den intensiven Gemüseanbau auf kleinen Flächen ohne Einsatz von mineralischem Dünger und schädlichen Pflanzenschutzmitteln. „Wir verfolgen einen biointensiven Ansatz, also die effiziente Bewirtschaftung von kleinen Flächen mit hohem Ertrag“, erklärt Wolfgang Palme, Leiter der Abteilung Gemüsebau an der Höheren Bundeslehr- und Versuchsanstalt Schönbrunn. Dass das funktioniert, stellen Palme und seine Gärtner auf dem Gelände von Kaiserin Sisis ehemaliger Kammermeierei unter Beweis. Die Beete im Wiener Augarten werden anders behandelt als im konventionellen Anbau. Sie werden nur ganz leicht umgestochen, damit die Organismen im Boden erhalten bleiben. Palme bezeichnet das Arbeiten ohne schwere Traktoren und mineralische Dünger als handwerkliche Form der Bewirtschaftung und als Rückkehr zur Einfachheit. Was aber nicht bedeutet, dass diese Form des Gemüseanbaus nur etwas für Romantiker ist. Im Gegenteil: Das Market Gardening ist wirtschaftlich durchaus effizient, auch deshalb, weil es ganzjährig betrieben werden kann. „Es gibt 77 Gemüsesorten, die man im Winter anbauen kann, ohne die Flächen zu beheizen“, sagt Palme. „Manche Salatsorten halten Temperaturen bis zu minus elf Grad aus.“
Market Gardening Experte Wolfgang
Palme: „Intensiver Gemüseanbau auf kleinen Flächen ist sogar im Winter möglich.“
Wie ertragreich diese Form des Gemüseanbaus ist, machen Orfeas Fischer und Sara Knapp seit ein paar Jahren im deutschen Weiersdorf vor: Auf einer Fläche von 2.500 Quadratmetern machen die beiden mit ihrem Gemüse einen Jahresumsatz von 250.000 Euro. Eine entscheidende Voraussetzung für die Wirtschaftlichkeit sei die enge Bindung zu den Kunden, betont Palme. Ob Gemüsekisterl im Abo, Verkaufsstand am bäuerlichen Wochenmarkt oder Abnahmevereinbarungen mit der Gastronomie, der kleinräumige, biologische Gemüseanbau funktioniert dann, wenn die Verbindung zu den Konsumenten eng und partnerschaftlich ist.
Christina Spari im Mietgarten Werndorf: „Neue Wertschätzung für Lebensmittel in der Mikrolandwirtschaft.“
Die Selbstversorger
Ähnlich gewirtschaftet wie im Wiener Augarten wird auch auf dem Hof von Julius und Christina Spari in Werndorf bei Graz. Das Ehepaar betreibt auf dem ehemaligen Pferdehof einen sogenannten Mietgarten für Menschen, die ihr Gemüse selbst anbauen wollen. Bei den Sparis kann man Flächen von 25 bis 65 Quadratmetern für die Dauer der Saison von April bis Oktober mieten. Die Sparis bereiten die Beete vor, der Pächter muss sich um Saatgut und Jungpflanzen kümmern. Zwei Brunnen und ein Geräteschuppen stehen den Selbstversorgern zur Verfügung. 20 Pächter haben die Sparis derzeit, Familien aus der Stadt mit kleinen Kindern ebenso wie ältere Menschen, die das Garteln zu ihrem Hobby und Fitness-Programm gemacht haben. „Bei uns arbeiten aber auch viele junge Menschen, die aus Überzeugung Selbstversorger werden wollen“, berichtet Julius Spari. „Wir wollen auf unseren Feldern Menschen die Möglichkeit geben, Mikrolandwirtschaft zu betreiben.“ Das Ziel sei nicht die makellos gerade Karotte, sondern eine neue Wertschätzung für Lebensmittel. In Sparis Mietgärten kommen die Leute zusammen, um Pflanzen zu tauschen und Wissen zu teilen. „Der Erfahrungsaustausch zwischen den Pächtern ist besonders für die Anfänger wichtig“, sagt Spari. „Man muss mit Rückschlägen leben und trotzdem geben bei uns nur ein oder zwei Pächter pro Saison auf.“ Bei den Sparis liegen Parzellen jedenfalls nicht brach. Denn der Garten ist ausgebucht, Interessierte kommen auf die Warteliste.
TIPPS FÜR SELBSTVERSORGER
Von Marie Diederich
→ Anfänger beginnen mit einer Fläche von 20 Quadratmetern mit dem Anbau von unempfindlichen Gemüsesorten, den sogenannten Selbstläufern.
→ Fortgeschrittene Selbstversorger brauchen eine Fläche von 60 Quadratmetern. Mit einem guten Anbauplan lassen sich drei bis vier Ernten pro Jahr einfahren. Wer zudem seine eigenen Kartoffeln haben will, braucht mehr Platz.
→ Anbauparzellen sollten mit Kompost und Mulch pflegeleicht gemacht werden. Eine gute Mulchschicht schützt den Boden vor Austrocknung und Beikräutern.
→ Wer neben Gemüseanbau auch Tierhaltung betreiben will, dem rät Diederich zu „Einsteiger-Tieren“ wie Hühnern und Kaninchen.
Hofnachfolger
Ein Grund, warum die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe so stark zurückgeht, hat auch mit der Hofnachfolge zu tun. Sinkende Einkommen, stark steigende Energiepreise und klimabedingte Mindererträge sind die Hauptursachen, dass sich Söhne und Töchter von Landwirten gegen die Weiterführung des elterlichen Betriebes entscheiden. „47 Prozent der über 55-jährigen Landwirte haben keine gesicherte Nachfolge für ihren Betrieb“, sagt Lisa Altersberger-Kenney. Sie hat mit ihren Studienkollegen an der Universität für Bodenkultur im Zuge einer Studie festgestellt, dass es so etwas wie ein Missing Link gibt zwischen älteren Betriebsführern und Menschen, die gerne in die Landwirtschaft einsteigen möchten. 2021 ging ihre Website „Perspektive Landwirtschaft “ online, auf der Landwirte ohne Nachfolger ihren Betrieb präsentieren und Übernahme-Interessenten ihr Profil hochladen können. „Zwei Drittel der an einer Hofübernahme Interessierten sind sogenannte weichende Erben, also Kinder von Landwirten, die auf die Weiterführung des Betriebs zugunsten eines anderen Familienmitglieds verzichtet haben“, erklärt Altersberger-Kenney. „Nur ein Drittel sind Quereinsteiger, viele davon mit einer landwirtschaftlichen Ausbildung.“
Perspektive-Landwirtschaft-
Mitbegründerin Lisa Altersberger-
Kenney: „Unterstützung bei der
außerfamiliäre Hofübergabe.“
www.perspektive-landwirtschaft.at
Um die zehn sogenannte außerfamiliäre Hofübergaben vermittelt die Perspektive Landwirtschaft pro Jahr. Der Verein stellt bei der Übergabe auf Wunsch auch eine Mediatorin zur Verfügung. „Die Übergabe eines Betriebes, auf dem man sein ganzes Leben gearbeitet hat, ist nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine emotionale Angelegenheit“, sagt Altersberger-Kenney. „Da muss vieles geklärt werden.“ Ein zentraler Punkt ist die Bezahlung: Wird eine Leibrente und ein Wohnrecht vereinbart oder zahlt der Übernehmer den Übergeber aus. Letzteres ist mit den steigenden Verkehrswerten der Höfe für die Übernehmer schwieriger geworden und für die Übergeber attraktiver.
Welches wirtschaft liche Modell auch immer vereinbart wird, wer einen Hof übernimmt, der muss in diese Rolle hineinwachsen. Wer vom Leben am eigenen Hof träumt, dem rät Altersberger-Kenney erst einmal zu einem Reality Check: „Mit einem Praktikum erlebt man den Alltag auf einem Bauernhof und sieht, ob man tatsächlich so leben will“, sagt sie. Eine landwirtschaftliche Fachausbildung ist ein weiteres Plus auf dem Weg zum bäuerlichen Leben. Altersberger-Kenney hofft, mit ihrer agrarischen Dating-Site viele Höfe retten zu können. „Es ist doch auch für Hofübergeber schöner, wenn ein Hof von jemanden weitergeführt wird, der mit Freude am Werk ist“, sagt sie.
Fotos: supercontent, perspektive-landwirtschaft, spari, löwenzahn verlag, istock.com