Früher einmal haben Politiker nach Amtsantritt eine Schonfrist von 100 Tagen erhalten. Daran hält sich heute niemand mehr. Weder politische Gegner noch die Corona-Pandemie. Die schon gar nicht. Kaum jemand weiß das besser als die steirische Gesundheitslandesrätin Juliane Bogner-Strauß (ÖVP). Nach zwei Monaten im Amt begann die Corona-Pandemie. Eine Zeit extremer Herausforderung für Juliane Bogner-Strauß. Bis heute.
Es ist ein riesengroßes Ressort, das Juliane Bogner-Strauß in der Landesregierung zu verantworten hat: Zur Gesundheit kommen noch die Bereiche Pflege, Bildung und Gesellschaft dazu. In der öffentlichen Wahrnehmung hat es den Anschein, als binde die Corona-Pandemie die gesamten Kapazitäten des Ressorts von Juliane Bogner-Strauß. Ein Irrtum. Denn Juliane Bogner-Strauß kann auf zahlreiche politische Erfolge verweisen, die in den letzten beiden Jahren gelangen. Abseits der Corona-Politik. So ist etwa der sogenannte
Verstärkungs-Pool für die Kinder-, Bildungs-und Betreuungseinrichtungen startklar. Dort, wo es notwendig ist, kommen ab 2022 zusätzliche Betreuer zum Einsatz.
In den Schulen sind die Fortschritte in der Digitalisierung jetzt deutlich spürbar: Neben
den Laptops, die der Bund auslieferte, teilte auch das Land zusätzliche Geräte aus. Auch im Pflegebereich sei unter der medialen Oberfläche viel passiert, sagt Juliane Bogner-Strauß. Drei Beispiele von vielen, die neben der Bekämpfung der Corona-Krise nur durch einen politischen Kraftakt möglich wurden. Juliane Bogner-Strauß als politische Vierkämpferin.
„Aus der Corona- Pandemie haben wir
gelernt: Wir brauchen in den Spitälern
eine Art Schleusensystem.
Im neuen Leitspital Liezen werden wir das bereits umsetzen.“
GRAZETTA • Die Corona-Pandemie hat nicht nur Ärzte, sondern auch das Pflegepersonal bis an die Belastungsgrenze – oft sogar darüber hinaus – gefordert. Das hat den Pflegeberuf nicht unbedingt attraktiver gemacht. Wie wirkt sich das auf den ohnedies schon beträchtlichen Mangel an Pflegekräften aus?
JULIANE BOGNER-STRAUSS • Ich möchte mit einem großen Dankeschön anfangen. In der Pflege – und nicht nur dort – wird während der Corona-Pandemie Außerordentliches geleistet. Ja, es ist derzeit extrem schwierig. Man darf aber nicht vergessen, dass der Pflegeberuf in seiner ganzen Vielfalt auch sehr viele erfüllende Seiten hat.
Drohen diese positiven Aspekte in der öffentlichen Wahrnehmung derzeit nicht unterzugehen?
JBS • Wir haben bereits eine Pflegekampagne gemacht, in der auch Jugendliche zu Jugendlichen davon gesprochen haben, wie vielfältig und schön dieser Beruf ist. Mit der erwähnten Vielfalt meine ich auch, dass man den Pflegeberuf sehr gut an die verschiedenen Lebensabschnitte anpassen kann. Man kann im Krankenhaus auf Normalstationen oder Intensivstationen arbeiten, mit Nachtdiensten, aber auch ohne solche. Wir benötigen Pflegepersonal in den Pflegewohnheimen und in der mobilen Pflege – ich kann gar nicht das gesamte Spektrum aufzählen. Wir starten im Frühjahr 2022 den „Dialog Pflege“. Unter anderem wollen wir in Erfahrung bringen, warum wir an manchen Standorten kaum oder überhaupt keine Personalprobleme haben, an anderen aber schon. Wir haben auch viel in der Ausbildung gemacht. Nach Änderung der Ausbildungsverordnung ist die Diplomausbildung für das Pflegepersonal an die Fachhochschulen gewandert. Da hatten wir einen sehr detaillierten Bedarf- und Entwicklungsplan. Allerdings wurden wir überrascht, dass die Nachfrage nach Ausbildung zur Pflegeassistenz und Pflegefachassistenz so gering war. Also haben wir wieder die Schule für Gesundheits-und Krankenpflege geöffnet. Ich möchte mich nicht im Detail verlieren, aber schon noch erwähnen, dass jetzt eine modulare Ausbildung für alle drei Qualifikationen möglich ist.
Wir haben fast zwei Jahre Corona-Pandemie hinter uns. Welche Lehren haben sich daraus für die steirische Spitalslandschaft ergeben?
JBS • Wir haben gemerkt, dass wir baulich einiges verändern müssen. Jedes Spital hat
unzählige Ein- und Ausgangstüren – völlig ungeeignet in Pandemiezeiten. Wir brauchen
eine Art Schleusensystem. Im neuen Leitspital Liezen werden wir das bereits umsetzen. Ganz deutlich haben wir auch gesehen, dass Qualität vor Quantität kommen muss. Das ist für die Diskussion über die Bettenanzahl wichtig.
Ein Teil der politischen Opposition kritisiert, dass die Bettenanzahl nicht reduziert, sondern aufgestockt werden müsste…
JBS • Die Bettenanzahl im Regionalen Strukturplan Gesundheit wurde ja nicht umsonst reduziert. Die Belagsdauer ist bei vielen Erkrankungen kürzer als noch vor 10, 20 Jahren. Wir müssen Intensivstationen trennbar machen. Das gelingt in kleinen Spitälern oft nicht. Das geht nur in spezialisierten größeren Einheiten mit speziell ausgebildetem Personal. Während der Corona-Pandemie ist immer wieder nach mehr Intensivbetten gerufen worden. Die Betten allein nützen nichts, wir brauchen auch das Personal dazu. Und noch eine Erkenntnis
ist wichtig: Den Kampf gegen eine Pandemie gewinnt man nicht im Krankenhaus, sondern vor den Toren des Krankenhauses. Das müssen wir in die zukünftigen Strukturen einfließen lassen.
Die Gleichstellungsstrategie des Landes Steiermark ist ein Herzensanliegen von mir. Wichtig ist, dass die alten Rollenbilder aufgebrochen werden.
In der Steiermark gibt es seit geraumer Zeit eine politische Diskussion über die Anzahl
der Pflegewohnheime. Kritiker meinen, es gebe zu viele private gewerbliche Träger.
Was sagen Sie diesen Kritikern?
JBS • Es geht darum, dass die Bewohner, also die zu Pflegenden, bestmöglich aufgehoben
sind. Ob das jetzt private gemeinnützige oder private gewerbliche oder öffentliche
Pflegewohnheime sind, sehe ich nicht als relevant an. Wichtig ist: Wie geht es den Menschen in diesen Häusern? Wie werden sie betreut? Wie werden die Menschen gepflegt?
Das ist das Allerwichtigste – und das ist unabhängig davon, wer jetzt gerade der Träger ist. Es gibt ein ganz klares Normkostenmodell in der Steiermark, es werden alle Träger finanziell ganz gleich behandelt. Auch die anderen Standards sind durch Verordnungen exakt festgelegt. Wir haben übrigens auch eine Studie gemacht, welche Pflegewohnheime bisher am besten durch die Corona-Pandemie gekommen sind. Und da hat sich gezeigt: Bezüglich der Träger hat es keine Unterschiede gegeben, wohl aber auf Grund der Größe der Häuser. Je größer ein Haus ist, desto leichter kann sich eine Infektion ausbreiten.
Vor rund drei Jahren ist die Schul- verwaltung in Österreich reformiert worden. Vereinfacht gesagt: Statt des Landesschulrates gibt es jetzt eine Bildungsdirektion, in der die Verwaltungsaufgaben des Bundes und des Landes zusammengeführt werden. Hat sich das bisher bewährt?
JBS • Was die Corona-Pandemie angeht,
war diese Bündelung ein absoluter Glücksfall. Es gibt eine Schulbehörde, die den Gesamtüberblick hat, die Informationen an alle Schulen in der Steiermark weiter gibt. Die Bildungs- direktion weiß Bescheid über das
Test-und Infektionsgeschehen. Die Informationen darüber, wie es den Kindern geht, laufen in einer Hand zusammen. Das sind sehr, sehr positive Erfahrungen mit der neuen Schul-behörde. Für eine Gesamtbilanz ist die Zeit nach drei Jahren aber noch zu früh.
Der Aktionsplan zur steirischen Gleichstellungsstrategie 2021/22 hat die Halbzeit erreicht. Was ist bisher gelungen?
JBS • Allein schon, dass wir in der Steiermark diese Gleichstellungsstrategie entwickelt und beschlossen haben, ist ein großer Erfolg. Da bin ich wirklich stolz darauf, das ist mir ein Herzensanliegen gewesen, das sage ich ganz ehrlich. Wir haben im Vorfeld unzählige Gespräche quer über die Ressorts hinweg geführt. Ich könnte jetzt zwei Dutzend Maßnahmen aufzählen, die gelungen sind.
Vielleicht zählen Sie drei Beispiele auf!
JBS • Mir ist es wichtig, dass die alten Rollenbilder aufgebrochen werden. Wir haben flächendeckende Beratungsangebote für Burschen und Männer – da haben wir jetzt den Lückenschluss geschafft. Wir haben die Frauen- und Mädchenberatungsstellen valorisiert und ihnen jetzt auch längere Förderverträge gegeben, damit sie besser planen können. Weiters machen wir geschlechterreflektierende Burschenworkshops.
Wir haben Pilotprojekte mit reflexiver Geschlechterpädagogik und Gleichstellung, weil es mir so wichtig ist, dass die Lehramtsstudierenden diese Inhalte bereits über das Curriculum an den Pädagogischen Hochschulen mitbekommen und in die Schulklassen hineintragen.
Der Pflegeberuf ist sehr vielfältig. Die Pflegekräfte können ihren Beruf sehr gut an die unterschiedlichen Lebensabschnitte anpassen. Das geht von der Tätigkeit in einer Intensivstation bis zum Einsatz in der mobilen Pflege.
Die Gleichstellungsstrategie scheint tatsächlich ein Herzensanliegen von Ihnen zu sein…
JBS • Es steht auch noch einiges an. Wir haben schon gut angefangen, zum Beispiel mit Informationen über die Väterkarenz mit Rechtsanspruch. Wir werden diese Informationen noch verstärken, da bin ich mit den Personalvertretern in gutem Austausch.
Fortsetzen werden wir auch die Workshops über Frauen in Führungspositionen. Gemeinsam mit meiner Regierungskollegin mit dem Ressort Soziales, Doris Kampus, haben wir viel zur Freiheit von Gewalt gemacht. Sehr gut wurde auch die Cybermobbing-Kampagne angenommen. Während der Corona-Pandemie hat sich ja ein Teil unseres Lebens in den Online-Raum verlagert.
JULIANE BOGNER-STRAUSS
Politische Tätigkeiten u.a.:
- seit Dezember 2019: Landesrätin für das Ressort Gesundheit, Pflege, Bildung, Gesellschaft
- 2017 bis 2019: Bundesministerin für Familien und Jugend, ab 2018 auch für Frauen
- seit November 2018: Bundesleiterin der ÖVP Frauen
Wissenschaftliche Tätigkeiten u.a.:
- 2014-2017: Assoziierte Professorin am Institut für Biochemie an der TU Graz
- 2010-2013 Assoziierte Professorin und
stellv. Instititutsleiterin im Bereich Genomik und Bioinformatik an der TU Graz - 2008: Habilitation Molekularbiologie und Genomik
Wie fällt Ihre Zwischenbilanz im Angebot von ganztägigen Bildungs- und Betreuungsformen für Kinder bis zum Schulalter aus?
JBS • Ganztägige Bildungs- und Betreuungsangebote sind vom Kleinstkind bis zum
Schulkind wichtig. In den letzten zwei Jahren haben wir sehr viele neue Kinderkrippenplätze
geschaffen. Im Kindergarten haben wir – mathematisch gesehen – einen Abdeckungsgrad
von 103 Prozent. Aber ja, auch da gibt es noch regionalen Aufholbedarf. Mein Ziel ist
ganz klar: Jedes Kind, das einen Ganztagesplatz braucht, soll ihn auch bekommen.
Fotocredit: Oliver Wolf