Der Grazer Historiker Christian Promitzer erklärt im Grazetta-Interview, warum das Verhältnis zwischen deutsch- und slowenischsprachigen Steirern lange historisch belastet war und welche Folgen die Teilung des Landes 1919 hatte.
GRAZETTA • Wie würden Sie das Verhältnis zwischen den Slowenen und den Deutschsprachigen in den beiden Teilen der historischen Steiermark/Štajerska beschreiben?
CHRISTIAN PROMITZER • Das Verhältnis ist eigentlich gut. Es war aber lange Zeit historisch belastet. Zum Teil ist es das noch heute. Dass dem so ist, zeigt schon das Problem, wie man die Deutschsprachigen in der Untersteiermark, die seit 1919 zu Slowenien gehört, bezeichnen soll. Deutsch ist ja nur die Sprache. Aber auch der Begriff Altösterreicher trifft es nicht, weil der ja auch die slowenisch Sprechenden miteinschließt. Der Hintergrund: Im 19. Jahrhundert entstehen Nationalbewegungen unter der deutschen und slowenischen Bevölkerung der Untersteiermark. Die Deutschsprachigen werden aufgrund ihrer wirtschaftlichen Stärke zur dominanten Nation, auch deshalb, weil sie sich aus allen gesellschaftlichen Schichten zusammensetzt. Die Slowenen sind Bauern und Arbeiter, es gibt nur eine sehr schmale Bildungsschicht. Man spricht von einer subalternen Nationsbildung. Die Städte wie Maribor/Marburg oder Celje/Cilli waren überwiegend deutschsprachig, das Land slowenisch. Deutsch wurde also zur Sprache des sozialen Aufstiegs.
Die Steiermark wurde von den Siegermächten des Ersten Weltkriegs geteilt. Wie hat sich diese Teilung ausgewirkt?
CP • Der Verlust der Untersteiermark war für die steirischen Eliten ein kollektives Trauma. Man muss sich nur den Text des Dachsteinlieds in Erinnerung rufen, das 1929 zur Landeshymne wurde. Da ist vom Wendenland am Bett der Sav‘ die Rede und vom Rebenland im Tal der Drav‘. Diese Regionen gehörten 1920 bereits zum jugoslawischen Königreich. Für die Grenzziehung gab es geografische und sprachliche Kriterien. Sie waren die Grundlage der Entscheidung der Siegermächte. Die Republik Deutsch-Österreich war an den Verhandlungen nicht beteiligt. Das Königreich Serbien aber schon. Aber auch die Diözesangrenzen zwischen der Diözese Graz-Seckau und der Diözese Maribor/ Marburg spielten eine Rolle. In Heiligengeist/Sveti Duh fiel die Kirche an Slowenien, die Schule daneben an Deutsch-Österreich. Bis in die 1930er Jahre sind dort noch österreichische Kinder vom Marburger Bischof gefirmt worden.
Historiker Christian Promitzer: „Deutsch wurde zur Sprache des sozialen Aufstiegs.“
Was hat die Grenzziehung für die im österreichischen Teil der Steiermark lebenden Slowenen bedeutet?
CP • Nationale Gefühle im Sinne einer gefestigten slowenischen Identität waren nur schwach ausgeprägt, obwohl die Gruppe noch relativ groß war. Ein Fünftel der Grazer Bürger hat um 1910 slowenisch gesprochen. Die große Mehrheit hat sich später zu Deutsch-Österreich bekannt. Einen Minderheitenstatus hat man nicht verlangt. Die meisten an der Grenze lebenden slowenisch Sprechenden waren sogenannte Kulturpendler: Zuhause hat man slowenisch gesprochen, in der Öffentlichkeit deutsch. Auch das Königreich Serbien, Kroatien und Slowenien hatte kein Interesse an Minderheitenrechten, weil das bedeutet hätte, der deutschsprachigen Minderheit in Slowenien die gleichen Rechte einräumen zu müssen.
Die Grenze wurde nach dem Zweiten Weltkrieg auch zu einer Systemgrenze zwischen dem kommunistischen Jugoslawien und dem demokratischen Österreich.
CP • Für Landeshauptmann Josef Krainer Senior war die Grenze zu Slowenien die Grenze der freien Welt, wie er sich ausdrückte. Der Sieg über Nazi-Deutschland hatte für die Deutschen in Slowenien verheerende Folgen. Nachdem die Nazis die Slowenen vertrieben und ausgesiedelt hatten, traf die deutsche Minderheit nach dem Sieg der Partisanen das gleiche Schicksal der Vertreibung. Ausnahmen gab es für jene, die sich den Partisanen angeschlossen hatten.
Slowenien ist seit 2004 Mitglied der EU. In der Südsteiermark engagiert sich ein Verein für den Erhalt der slowenischen Kultur in der Steiermark. Gehören die Schamgefühle der Vergangenheit an?
CP • Ich denke schon. Das Slowenische ist für viele heute so etwas wie eine Zusatzidentität. Wobei es regionale Unterschiede gibt. Rund um Bad Radkersburg/Radgona haben viele enge familiäre Beziehungen zu Slowenen auf der anderen Seite der Grenze. Deshalb wird sich hier eine slowenische Identität auch eher halten. In Leutschach und im Bergland der Soboth ist es anders. Ob in dieser Region die Assimilation nun selbstgewollt oder aufgezwungen worden war, hier sprechen nur noch alte Menschen slowenisch. Aber man sieht, dass im Westen der Steiermark wieder mehr Menschen slowenisch lernen, weil sie sich mit den slowenischen Nachbarn unterhalten können wollen.
Fotos: MiasPhotoart, Matjaž Wenzel