Grazetta

Unter Beschuss

Immer mehr Menschen stehen der Jagd in Österreich kritisch gegenüber. Die Proponenten eines jagdkritischen Volksbegehrens und die Jägerschaft stehen sich unversöhnlich gegenüber. Denn es geht um die Macht im Wald.

Es gibt sie immer noch, die Treibjagden, auf denen zahlende Jagdgäste auf Hasen und Wildschweine schießen, die nur dafür gezüchtet und gefüttert worden sind. Die Videos der Tierschützer sind nichts für schwache Nerven und sie haben die Jagd in Verruf gebracht. Das zeigt eine Umfrage des Linzer market-Instituts recht deutlich: Gerade einmal für 27 Prozent der Befragten ist die Jagd 2023 eine gute Sache, 2015 waren es noch 42 Prozent gewesen. „Die Zustimmung zur Jagd sinkt pro Jahr um zwei Prozent“, sagt Geschäftsführer Werner Beutelmeyer. Er verbindet die Ergebnisse seiner Umfrage mit einer eindringlichen Warnung an die Jägerschaft und rät zu einer Neuorientierung: „Das Beschwören der Tradition und das Vermeiden von ‚heißen‘ Themen bringen uns nicht weiter, sondern manövrieren uns immer tiefer in die Sackgasse.“

Dass die Jagd kein unumstrittener Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens in Österreich mehr ist, zeigt auch ein Volksbegehren für ein einheitliches Jagdgesetz in Österreich, das eine Allianz aus Tierschützern, Tierärzten, Waldbesitzern, Jägern und Wissenschaftlern auf den Weg gebracht hat. „Die geltenden Jagdgesetze entsprechen nicht dem verantwortungsvollen Umgang mit Wildtieren, der hohe Bestand an Rehen und Hirschen bringt unsere Wälder in Gefahr“, sagt Mitinitiator Franz Puchegger, Obmann des Ökologischen Jagdverbands.

„Der hohe Bestand
an Rehen und
Hirschen bringt die
Wälder in Gefahr.“

FRANZ PUCHEGGER
Obmann Ökologischer Jagdverband

Was Puchegger und seine Kollegen vorschlagen, ist nichts weniger als ein Paradigmenwechsel bei der Jagd. Ökologische Ziele, wie der Schutz des Waldes und bedrohter Tierarten, soll ihrer Meinung nach schwerer wiegen, als das Recht der Jäger auf ihre weidmännische Leidenschaft.

Was für den jagdlichen Laien nach selbstverständlichen Forderungen klingt, sorgt
in der Jägerschaft für beträchtlichen Zorn: „Das Volksbegehren ist völlig überflüssig“, sagt Herbert Sieghartsleitner, Österreichs oberster Jagdfunktionär. Den Proponenten gehe es nicht um die Sache, sondern um „persönliche Abrechnungen“. Dass Jagd emotionalisiert, liegt auf der Hand. Immerhin geht es um das Töten von Tieren, das man nicht sehen will, auch wenn man ihr Fleisch isst. Die Jagd macht Tod sichtbar und das ist Teil des Problems. Hinzu kommt, dass wir Tieren heute zusprechen, fühlende Wesen zu sein, die Schmerz, Angst und Trauer empfinden. „Seit den 1970er Jahren ändert sich unsere Wahrnehmung der Tiere“, bestätigt der Grazer Tierethiker und Theologe Kurt Remele. „Erkenntnisse der Verhaltens- aber auch der Gehirnforschung haben dazu einen wesentlichen Beitrag geleistet.“ Tiere haben aus ethischer Sicht ein Recht darauf, dass Menschen ihre Interessen und ihre Freiheit respektieren. Was auch Konsequenzen für die Organisation der Jagd haben muss, wie der emeritierte Grazer Universitätsprofessor betont. Ob man aus ethischer Sicht das Recht habe, ein Tier zu töten, hängt aus seiner Sicht von den Umständen ab. „Erlegt man ein Tier, weil man sein Fleisch zum Überleben braucht, was heute ja nicht mehr der Fall ist, ist das etwas ganz anderes, als wenn man die Jagd als Sport oder als Festveranstaltung betreibt“, sagt er. „Jagd als gesellschaftliches Ereignis ist nicht mehr zeitgemäß.“ Die Frage, was bei der Jagd erlaubt sein kann und was nicht, ist rechtlich heikel. Denn das Jagdrecht ist seit je her mit Eigentum verbunden. Im Feudalismus war die Jagd dem Adel vorbehalten, erst mit der bürgerlichen Revolution des Jahres 1848 erhielten Grundbesitzer das Recht, in ihren Wäldern Wild zu erlegen. Die Bindung des Jagdrechts an den Grundbesitz gilt noch heute, weshalb viele Forderungen des Volksbegehrens, wie zum Beispiel nach einer drastischen Reduktion des Wildbestands, von den Jägern als Eingriff in die Eigentumsrechte, und damit in ein wesentliches Grundrecht kritisiert wird. In Österreich ist Jagdgesetzgebung Ländersache, eine Zuständigkeit, die seit 1929 in der Bundesverfassung steht. Österreichs geltende Jagdgesetze stammen aus der Zeit nach 1945, Elemente des Reichsjagdgesetzes von Hermann Göring fänden sich darin noch immer, wie Franz Puchegger vom Ökologischen Jagdverband behauptet: „Die Einteilung von nützlichen und schädlichen Tieren, wie Iltis, Marder und Fuchs, ist dafür ein Beispiel.“ Aber auch jagdliche Begriffe, wie zum Beispiel die „Waidgerechtigkeit“ gehen auf das NS-Gesetz zurück.

Tierethiker Kurt Remele: „Jagd als gesellschaftliches Ereignis ist nicht mehr zeitgemäß.“

Dass es in der Gesetzgebung diese Kontinuität gibt, bestreitet auch Kathrin Bayer nicht. Die Rechtsanwältin ist eine Expertin für Jagdrecht, die regelmäßig Symposien zu diesem Thema organisiert. Von einer Ver einheitlichung und Reform des Jagdrechts im Sinne des Tier- und Naturschutzes, wie es das Volksbegehren vorschlägt, hält Bayer trotzdem nichts: „Es gibt gute Gründe, die Jagd in der Zuständigkeit der Bundesländer zu belassen, denn die Unterschiede, was den Wildbestand und das Klima betreffen, sind groß.“ Wegen dieser regionalen Unterschiede gebe es ja auch neun verschiedene Naturschutzgesetze, argumentiert sie. Dass damit auch einheitliche Standards für den Tierschutz, wie zum Beispiel das Verbot von besonders grausamen Jagdmethoden, wie die Jagd auf säugende Muttertiere, sinnlos wären, dem widerspricht Franz Puchegger mit Nachdruck. „In der Steiermark dürfen Dachse, Füchse, Iltisse und Stein- und Baummarder ganzjährig bejagt werden“, sagt er. „Wird ein Muttertier erlegt, verhungern die Jungen qualvoll.“ Womit er den Finger auf einen weiteren Punkt legt, der zu den Besonderheiten der Jagdgesetzgebung gehört. Das Tierschutzgesetz findet auf die Jagd keine Anwendung. Stattdessen fordern die Jagdgesetze „Waidgerechtigkeit“, also den verantwortungsbewussten Umgang mit Tieren ein. „Illegale Praktiken, wie das Aufstellen von Fallen, sind eine Übertretung des Verwaltungsrechts“, erklärt Anwältin Kathrin Bayer. „Das Jagdgesetz gibt den Jagdverbänden zudem Disziplinarmöglichkeiten, wie das Entziehen der Jagdberechtigung.“ Dass geltendes Recht jedoch nicht immer zum Ende grausamer Praktiken führt, zeigt das Beispiel Gatterjagd in Niederösterreich, Salzburg und im Burgenland. Wildtiere, wie Hirsche und Wildschweine werden dafür in eingezäunten Waldstü cken gehalten und bejagt. Eine Chance, den Jägern zu entkommen, haben sie nicht. Im Burgenland wurde die Gatterjagd vor zwei Jahren verboten, die Gatter sollten bis Februar dieses Jahres abgebaut werden. Das Problem ist nur: Die Gatter stehen noch immer. Vielleicht auch deshalb, weil sie den im Burgenland noch immer mächtigen Familien Esterházy und Mensdorff-Pouilly gehören. Das ärgert auch Herbert Sieghartsleitner, Präsident von Jagd Österreich: „Für mich ist das keine zukunftsfähige Form der Jagd, sondern eine Nutzungsform, die mit Jagd nicht viel zu tun hat.“ Sieghartsleitner ist Bergbauer mit Eigenjagd im oberösterreichischen Molln. Das Erlegen eines Hirschs wegen seines stattlichen Geweihs oder das Erlegen von Feldhasen zu hunderten ist seine Sache nicht. „Diese Formen bringen die Jagd in Verruf“, sagt er.

„Es gibt gute Gründe,
das Jagdgesetz in der
Zuständigkeit der
Länder zu lassen.“

KATHRIN BAYER
Jagdrechtsexpertin

Sieghartsleitner ist mit seiner Ablehnung von grausamen Jagdmethoden eigentlich mit den Proponenten des Volksbegehrens auf einer Linie. Dass er das Volksbegehren trotzdem vehement ablehnt, hat andere Gründe: Ein wichtiger ist die Debatte um den Wildbestand in Österreich. Die Proponenten des Volksbegehrens halten den für viel zu hoch: „Der Wald verträgt ein bis zwei Stück Rotwild auf 100 Hektar. In Österreich sind es 15 bis 20 Tiere“, sagt Ökojäger Puchegger. Das Volksbegehren will den Bestand von Rotwild, Rehen und Wildschweinen reduzieren , indem man die Fütterung schrittweise einstellt. Die durchschnittlichen Abschusszahlen der vergangenen fünf Jahre verschaffen einen brauchbaren Eindruck darüber, wie viele Tiere den Wald bevölkern: 270.000 Rehe, 110.000 Hasen, 50.000 Hirsche und 30.000 Wildscheine wurden erlegt. Im Vergleich zum Jahr 1955 hat sich die Zahl annähernd verdreifacht. Ein Zurückfahren des Wildbestands und seines wirtschaft lichen Ertrags ist für den Jagdverband absolut indiskutabel. Auch wenn die Forstbesitzer davor warnen, dass das Wild die Verjüngung des Waldes gefährdet. Laut Österreichischem Waldbericht 2023 ist der Wildbestand „für eine gesunde Waldverjüngung schon jetzt zu hoch“. Auf 420.000 Hektar sei die Verjüngung des Waldes durch Verbiss geschädigt. Besonders gefährlich sei das für die Schutzwälder, die mehr als 40 Prozent des Waldes ausmachen. „Sie sind in vielen Regionen Österreichs in keinem guten Zustand. Nur ein Drittel ist gesund“, heißt es im Waldbericht. Aber kann man Rehe und Hirsche allein dafür verant wortlich machen? Auch hier scheiden sich die Geister. Rechtsexperten Kathrin Bayer nennt auch andere Ursachen: „Das Wild kommt durch die menschliche Nutzung des Waldes zunehmend unter Druck“, betont sie und räumt ein, dass man angesichts des Klimawandels den Wildbestand neu verhandeln wird müssen. Ob es zwischen den Initiatoren des Volksbegehrens und der organisierten Jägerschaft zu einem Kompromiss kommen kann , steht in den Sternen. Die Jäger haben mächtige Verbündete in Politik und Wirtschaft.  

DIE KERNFORDERUNGEN DES VOLKSBEGEHRENS

→ Längere und einheitliche Schonzeiten für das Wild
→ Gezüchtete Tiere dürfen nicht für die Jagd ausgesetzt werden
→ Verbot der Tötung von Haustieren (Hunde, Katzen)
→ Bundesweite Jagdkarten
→ Ökologische Grenzen respektieren, Verbot Wildfütterung ab 2030
→ Verbot von Bleimunition

Fotos: istock / EXTREME-PHOTOGRAPHER, Suzy Stöckl, Jagd Österreich, Shutterstock, privat, Susanne Bayer

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