Aus freien Stücken und ohne Gegenleistung für andere da zu sein, das ist der Kern des Ehrenamts. Warum freiwilliges Engagement für die Gesellschaft wichtig ist und warum Menschen ihre Freizeit für das Gemeinwohl opfern, zeigen Begegnungen mit der Freiwilligen Feuerwehr Autal und mit Frauen in der Flüchtlingsbetreuung.
Wir wollen für andere da sein, ohne dafür eine Gegenleistung zu erwarten.“ Das ist die Antwort, die drei Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr Autal auf die Frage geben, was Ehrenamt für sie bedeutet. Stefanie Kristan, Kommandant Joachim Rauschenberg und Georg Hoff-mann sagen das mit fast denselben Worten. Und sie tun es ein wenig verlegen, ganz so, als müsste man darüber eigentlich gar keine Worte verlieren. „Es ist halt auch ein gutes Gefühl, wenn man nach einem Einsatz heimkommt, bei dem alles geklappt hat. Da ist man schon stolz drauf“, ergänzt Georg Hoffmann.
Für die Feuerwehr opfern die drei einen Großteil ihrer Freizeit. Sie absolvieren regelmäßige Übungen und Fortbildungen, kümmern sich um das Gemeinschaftsleben und um die Finanzen. Und sie müssen natürlich viel für ihre Fitness tun. „Zwei Monate Arbeitszeit gehen da im Jahr schon drauf“, sagt Kommandant Rauschenberg.
Geht ein Notruf ein, ertönt die Sirene. Der Pager der Feuerwehrleute schlägt an. Und dann muss es schnell gehen. Innerhalb von drei Minuten müssen die Feuerwehrler beim Rüsthaus sein. Das heißt, sie müssen in der Arbeit alles liegen und stehen lassen. Was nicht immer ganz leicht ist. „Zwischen sieben Uhr früh und zwei Uhr Nachmittag ist das schwierig“, erklärt der Kommandant. „Da kann man oft nur mit einer Handvoll Kameraden ausfahren.“ Weil die anderen zu weit weg sind, oder die, wie im Fall der Krankenschwester Stefanie Kristan, im Operationssaal gerade unabkömmlich sind. Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr brauchen in jedem Fall die Erlaubnis ihres Arbeitgebers. Ein schwerer Verkehrsunfall, ein überfluteter Keller oder ein Brand: Im Ernstfall muss jeder Handgriff sitzen. Angst darf keine Rolle spielen, Respekt vor Gefahren schon: „Die Ausbildung und die regelmäßigen Übungen sorgen dafür, dass man weiß, was man tut“, sagt Kristan. „Und man hat ja immer einen oder zwei Partner dabei“, ergänzt Hoffmann. „Weil man gefährliche Situationen zusammen meistern muss, schweißt uns das zusammen. Wir sind schon wie eine große Familie.“
Die Familie der ehrenamtlich Tätigen ist groß: 3,4 Millionen Menschen leisten in Österreich freiwillige Arbeit im Dienst der Gemeinschaft. In der Steiermark sind es mehr als eine halbe Million. Die offizielle Definition von Freiwilligenarbeit ist sperrig: Sie steht für „eine Arbeitsleistung, die freiwillig geleistet wird, der kein monetärer Gegenfluss gegenübersteht und deren Ergebnis Personen außerhalb des eigenen Haushalts zufließt“.
Ehrenamt ist der Kitt, der die
Gesellschaft zusammenhält.“
BETTINA HEUSER
Freiwilligenmanagerin Caritas
Bettina Heuser organisiert bei der Caritas Steiermark den Bereich Freiwilligenarbeit. Ihre Definition von Ehrenamt benennt deren eminent gesellschaftspolitischen Bedeutung mit eingängigeren Worten: „Ehrenamt ist der Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält. Es geht um einen Bereich, der nicht der Logik des Geldes, sondern der Menschlichkeit unterworfen ist.“ Sie ist für 1.535 Ehrenamtliche zuständig, die sich in Einrichtungen der Caritas Steiermark langfristig engagieren. Hinzu kommen 3.500 Freiwillige, die sich punktuell und kurzfristig einbringen.
Viele Bereiche des öffentlichen Lebens würden ohne die Leistungen der Ehrenamtlichen nicht funktionieren: Ob es nun um lebensrettende Einsatzorganisationen wie Rotes Kreuz oder die Bergrettung geht, um die Betreuung älterer oder benachteiligter Menschen bei Sozialorganisationen wie der Volkshilfe, oder um die zahlreichen Sportvereine und um die Blasmusik.
Gerade weil es um so vielfältige Leistungen geht, haben mehrere Studien versucht, die wirtschaftliche Bedeutung dieses Sektors zu bewerten. Eine Studie aus dem Jahr 2016 bezifferte den Wert der Freiwilligenarbeit auf 5,7 Milliarden Euro pro Jahr. Eine von der Stadt Wien in Auftrag gegebene Untersuchung aus dem Jahr 2019 geht allein für die Stadt Wien von Leistungen im Wert von 680 Millionen Euro aus. Wobei man diese ökonomische Bewertung mit Vorsicht betrachten sollte, wie die Autoren vom Kompetenzzentrum für Non-Profit-Organisationen und Social Entrepreneurship betonen: „Eine systematische Erfassung der Arbeit ist schwierig“, räumen sie ein.
Für Bettina Heuser von der Caritas sind Versuche, die Leistung der Ehrenamtlichen in Geldwert auszudrücken, ohnedies nicht zielführend. „Wäre die Gesellschaft so reich, dass sie jede freiwillig geleistete Arbeit bezahlen könnte, würde uns etwas fehlen“, erklärt sie. „Nämlich genau das, was das Besondere dieses Engagements ausmacht: Die Qualität, dass jemand aus freien Stücken für einen anderen Menschen da ist.“
Freiwilligenarbeit ist so etwas wie das Sozialkapital der Gesellschaft, sie stärkt Gemeinschaften und die Effizienz einer Gesellschaft, heißt es im Freiwilligenbericht. Gäbe es die Ehrenamtler nicht, viele Organisationen müssten ihre Leistungen einschränken.
Aber wer sind nun die mehr als drei Millionen Menschen in Österreich, die regelmäßig für andere da sind? Der Freiwilligenbericht hat sich diese Menschengruppe genauer angesehen. Auffallend sind Unterschiede zwischen den Geschlechtern: Männer engagieren sich mehrheitlich eher in Sport- und in Rettungsorganisationen, Frauen eher im sozialen und religiösen Bereich. Das bestätigt auch Barbara Gross von der Volkshilfe Steiermark: „Der typische Ehrenamtliche ist immer noch weiblich und engagiert sich vor allem dort, wo Menschen leben und wohnen.“
Sieht man sich den Bildungshintergrund der Freiwilligen an, zeigen sich auch hier signifikante Merkmale: Je höher der Bildungsgrad, umso größer der Anteil jener, die sich freiwillig engagieren: 63 Prozent der Akademiker, aber nur 34 Prozent der Pflichtschulabsolventen ohne Ausbildung leisten freiwillige Arbeit. Was Experten damit erklären, dass erst ökonomische Sicherheit Menschen den Freiraum verschaffe, unentgeltlich für andere da zu sein.
Patenschaft- Projektleiterinnen
Katerina Malchenko
und Lisa Fröch
von der Caritas Steiermark (v.l.).
Wie bereichernd es ist, für andere da zu sein, das betont auch Barbara Gruber. Sie begleitet seit Ende letzten Jahres Swetlana Lohvynovska, die mit ihrem Sohn vor dem Krieg in der Ukraine geflüchtet ist. Die beiden lernten einander im Rahmen des Projekts „Malala im Museum –Patenschaft von Frau zu Frau “ kennen. Malala ist eine Initiative der Caritas in Kooperation mit dem Universalmuseum Joanneum, die Österreicherinnen mit geflüchteten oder zugewanderten Frauen in einer Patenschaft miteinander verbindet. Gemeinsam bewältigen die Frauen all jene Schwierigkeiten, die auf Frauen wie Swetlana Lohvynovska in Österreich zukommen, seien es nun Behördenwege, Unterstützung beim Deutsch lernen oder bei der Verarbeitung von Kriegstraumata. Lisa Fröch und Katerina Malchenko betreuuen diese Buddy-Projekte der Caritas. Neben Malala gibt es auch ein Projekt, das sich speziell an aus der Ukraine geflüchtete Männer und Frauen richten.
Stefanie Kristan und
Georg Hoffmann von der
Freiwillige Feuerwehr Autal:
Einsatzbereit in drei Minuten.
Das Patenschaftssystem ist so einfach wie genial: Fröch und Malchenko suchen nach perfekten Matches zwischen Freiwilligen und Flüchtlingen. Dann werden die beiden einander vorgestellt und Fröch und Malchenko schauen, ob zwischen den beiden die Chemie stimmt. „Bei Barbara und Swetlana war nach fünf Minuten klar, dass die beiden perfekt zueinander passen“, sagt Fröch. Wer den beiden nach einem halben Jahr gegenübersitzt, der trifft zwei Freundinnen, die füreinander da sind und dabei viel Spaß miteinander haben. Auch wenn die beiden manchmal noch den Google Translator brauchen für die Verständigung. Das Projekt Malala, benannt nach der pakistanischen Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai, hat neben ganz praktischen Hilfestellungen auch das Ziel, die Selbstbestimmung von Frauen zu stärken und sie durch Empowerment vor geschlechtsspezifischer Gewalt zu schützen.
Aus der Patenschaft für eine geflüchtete Frau wurde Freundschaft:
Swetlana Lohvynovska und Barbara Gruber (v.l.).
Dass Freiwilligenarbeit gerade bei der Unterstützung geflüchteter Menschen das Mittel der Wahl ist, betont auch Stadtrat Kurt Hohensinner, der in der vergangenen Periode für das Ehrenamt in Graz verantwortlich war.
Der typische Ehrenamtliche
im Sozialbereich ist weiblich.
BARBARA GROSS
Präsidentin der Volkshilfe Steiermark
Probleme mit dem Nachwuchs haben fast alle Organisationen. Auch die Feuerwehr. „Wenn uns von zehn Mitgliedern der Feuerwehrjugend zwei erhalten bleiben, müssen wir froh sein“, sagt Feuerwehrkommandant Joachim Rauschenberg. Ähnliches berichtet auch Bettina Heuser von der Caritas: „Die Hilfsbereitschaft nimmt zwar nicht ab, aber es wird schwieriger, Menschen für langfristiges Engagement zu gewinnen“, sagt sie. „Das kurzfristige Engagement nimmt zu.“ Und fügt hinzu, wie viele Asylwerber und Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine sich als Freiwillige melden.
In einem Punkt sind sich die Freiwilligen der Feuerwehr und der Caritas einig. Das Ehrenamt ist eine große Bereicherung auch für die Freiwilligen selbst. Sie erleben Gemeinschaft und Freundschaft in einer Zeit, in der dies rare Güter geworden sind.
Fotos: Sabine Hoffmann, MiasPhotoart, Volkshilfe, Stadt Graz/Fischer, Sophie Ederer