Grazetta

Keine Lust aufs Altenteil

Rund 100.000 Österreicher arbeiten nach ihrer Pensionierung weiter. Und nicht immer spielen finanzielle Notwendigkeiten dabei eine Rolle. Vor allem die Generation der Babyboomer will auch nach 65 im Berufsleben mitmischen. Experten gehen von bis zu 40.000 Personen pro Jahrgang aus.

Das ist er also, der letzte Arbeitstag. Die Kollegen haben eine kleine Feier ausgerichtet, man verabschiedet sich und erklärt, dass einem in der Pension sicher nicht langweilig werden wird. Man hat sich ja so viel vorgenommen. Eine große Reise machen, für die bisher die Zeit fehlte. Mehr Zeit mit Familie und Freunden verbringen und tausend Kleinigkeiten erledigen, die viele Jahre liegen geblieben sind.

Nach gut einem Jahr ist die Garage aufgeräumt, der Garten auf Vordermann gebracht und die alten Fotos sind digitalisiert. Und plötzlich merkt man, dass etwas fehlt. „Das Gefühl, einen Beitrag zu leisten, gebraucht zu werden, das geht einem ab“, sagt Ingrid Korosec, Präsidentin des Österreichischen Seniorenbunds.

Was vielen fehlt, sind auch die sozialen Kontakte. Das sagt der Organisationsentwickler und „Teilzeit-Pensionist“ Wolfgang Feichtenschlager, der in Oberösterreich die erste Jobbörse für Menschen über 60 Jahre entwickelt hat. „Ich habe viele Gespräche mit Pensionisten geführt. Dabei habe ich erkannt, dass Viele Arbeit als sinnstiftend erfahren, dass sie weiterhin etwas leisten wollen.“ Seit Jänner 2023 ist seine Jobbörse 60plus online. Feichtenschlager will mit dieser Plattform Menschen die Möglichkeit geben, „ihre Erfahrung in Form einer bezahlten Beschäftigung einzubringen.“

Dass Menschen über 60, die Generation der Baby Boomer, heute gerne länger im Berufsleben bleiben wollen, hat mehrere Gründe: Zum einen hat sich die Arbeitswelt verändert, körperlich oder psychisch fordernde Jobs sind weniger geworden, zum anderen ist die Lebenserwartung in den letzten Jahrzehnten gestiegen. Bei Frauen lag sie 2022 bei 83,5 Jahren (79 Jahre 1990), bei Männern bei 78,8 (72,8 Jahre 1990). Was diese Durchschnittswerte jedoch nicht ausweisen: Die Lebenserwartung des untersten Einkommensfünftels ist um sieben Jahre niedriger als jene von Personen im obersten Fünftel. „Früher haben Menschen nach Pensionsantritt eine durchschnittliche Restlebenszeit von zehn Jahren gehabt“, betont Feichtenschlager. „Heute gewinnen wir einen ganzen Lebensabschnitt hinzu.“ Das heißt, man verbringt rund 20 Jahre in Pension. Und das hat Auswirkungen auf die Finanzierbarkeit des Pensionssystems. Das gewerkschaftsnahe Momentum-Institut geht davon aus, dass die Pensionierung der Baby Boomer, der Generation der zwischen 1950 und 1964 Geborenen, bis 2035 zum größten Anstieg bei den Pensionsausgaben führen werde. Der Pensionsaufwand betrug im Jahr 2023 mehr als 42 Millionen Euro, das ist ein Plus von knapp neun Prozent gegenüber dem Jahr 2022. Die Ausfallshaftung des Bundes, also der Anteil, der aus dem allgemeinen Budget dazugezahlt werden muss, betrug 2023 6,8 Milliarden Euro, ein Plus von 14 Prozent gegenüber 2022.

„Dass ein Pensionist
vom Einkommen
weiterhin Beiträge zur Pensionsversicherung
zahlt, ist nicht einzusehen.“

INGRID KOROSEC
Präsidentin des Seniorenbunds

Die Pensionierungswelle verschärft aber auch den Arbeitskräftemangel: „Bis 2040 werden wir 250.000 zusätzliche Arbeitskräfte brauchen“, sagt Kurt Egger vom Wirtschaftsbund.

Das sind Zahlen, die die Diskussion über die Anhebung des Pensionsantrittsalter, das derzeit für Männer bei 65 und für Frauen bei 60 Jahren liegt, befeuern. Die Bundesregierung hat deshalb beschlossen, das Pensionsantrittsalter von Frauen bis 2033 schrittweise auf 65 Jahre anzuheben. Kurt Egger sieht vor allem in der Annäherung des faktischen an das gesetzliche Pensionsantrittsalter die wichtigste Aufgabe: „Dem nähern wir uns schrittweise an.“

Dass arbeitende Pensionisten den Arbeitskräftemangel entschärfen könnten, glaubt Egger nicht. Dass man dieses Potenzial aktivieren müsse, das hält der ÖVP-Nationalratsabgeordnete für sinnvoll. Er verweist auf den Beschluss der schwarz-grünen Bundesregierung, die seit 1. Jänner 2024 die Dienstnehmerbeiträge zur Pensionsversicherung für arbeitende Pensionisten übernimmt. Und zwar bis zur Höhe der doppelten Geringfügigkeitsgrenze, die derzeit bei 1.036 Euro liegt. Die Maßnahme ist zeitlich beschränkt und läuft nach derzeitigem Stand Ende 2025 aus. „Mit dieser kurzfristigen Maßnahme erspart man sich rund 104 Euro pro Monat“, erklärt Michael Bauernhofer, Referent Sozialversicherungsrecht der Arbeiterkammer Steiermark. „Um Menschen bis zum gesetzlichen Pensionsantrittsalter in Beschäftigung zu halten, braucht es auch gesundheitsförderliche Maßnahmen.“

„Frauen, die lange Teilzeit gearbeitet haben, haben eine so geringe Pension, dass sie dazuverdienen müssen.“

MICHAEL BAUERNHOFER
Referent Sozialversicherungsrecht, Arbeiterkammer Steiermark

Dass eine Ersparnis von 104 Euro nicht ausreichen wird, um das Arbeiten in der Pension attraktiver zu machen, bezweifelt Kurt Egger. „Das ist nur ein erster Schritt“, sagt er und verweist auf das Wahlprogramm der ÖVP für die Nationalratswahl Ende September. „Wer in der Regelpension arbeitet, der soll nur noch den Beitrag zur Unfallversicherung zahlen. Alle anderen Versicherungen werden ohnedies von der Pension abgedeckt.“

Ingrid Korosec vom Seniorenbund fordert seit vielen Jahren mit Nachdruck finanzielle Anreize für Personen im Unruhestand. „Dass ein Pensionist vom Einkommen weiterhin Beiträge zur Pensionsversicherung zahlt, ist nicht einzusehen“, sagt sie. „Mit den zusätzlichen Beiträgen bekommt man nur eine zu vernachlässigende Erhöhung der Pension.“ Sie überlegt daher, die Rechtmäßigkeit juristisch prüfen zu lassen.

Vorstellen kann sich die kämpferische Politikerin aber auch Maßnahmen im Bereich der Besteuerung und bei den Absetzbeträgen. Zum Beispiel, indem die Pension nicht als Einkommen gezählt wird. Unterstützung bekommt Korosec dabei auch von Wolfgang Feichtenschlager. „In Österreich sind Landwirte, Künstler und Leistungssportler in der Einkommenssteuer pauschaliert“, erklärt er. „Das wäre ein Modell für arbeitende Pensionisten.“ Feichtenschlager rechnet ein Beispiel vor: Wer im Monat 1.000 Euro zur Pension dazuverdient, also 14.000 Euro zusätzliches Jahreseinkommen hat, sollte darauf 20 Prozent Einkommensteuer zahlen. Die ersten 11.000 Euro sind steuerfrei. Für die restlichen 3.000 Euro wären dann 600 Steuern fällig. Seiner Meinung nach wäre das ein faires Modell, das zudem verhindern würde, dass die Menschen schwarz arbeiten würden.

„Bis 2040 werden wir 250.000 zusätzliche Arbeitskräfte brauchen.“

KURT EGGER
Generalsekretär Wirtschaftsbund

Dass die Steuer tatsächlich ein Hindernisgrund für viele ist, ein Dienstverhältnis einzugehen, hat auch mit der Art und Weise zu tun, wie die Steuer zu leisten ist. „Wer dazuverdient, muss eine Arbeitnehmerveranlagung durchführen. Die Nachzahlung können für böse Überraschungen sorgen“, warnt AKExperte Bauernhofer. „Wir raten daher dazu, den Zuverdienstrechner auf der Homepage der Arbeiterkammer zu verwenden.“

Auch deshalb, weil nicht alle Pensionisten aus reinem Vergnügen arbeiten, wie Bauernhofer betont. „Gerade Frauen, die lange Teilzeit gearbeitet haben, weil sie sich um die Kinder oder um pflegebedürftige Angehörige kümmern mussten, haben eine so geringe Pension, dass sie dazuverdienen müssen.“ Sie erhalten Pensionen zwischen 970 und 1.300 Euro, also Leistungen unter der Armutsgrenze von derzeit 1.572 Euro. Die Durchschnittspensionen in Österreich verdeutlichen das Problem: Frauen erhalten 1.645 Euro, Männer 2.596 Euro. Laut Statistik Austria waren 2022 235.000 Menschen in Österreich von Altersarmut betroffen. 155.000 davon waren Frauen. Wer über das gesetzliche Pensionsalter hinaus arbeitet, der bekommt befristet auf drei Jahre einen Bonus von jährlich 5,1 Prozent (bisher 4,2 Prozent). Für Frauen mit niedrigen Pensionen ist das trotzdem wohl nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein.

Gesucht werden also neue Modelle, die das Arbeiten in der Pension finanziell attraktiv machen. Obwohl das nicht so einfach ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Darauf verweist der Sozialversicherungsexperte der AK. „Wir haben es mit zwei Entwicklungen zu tun: Auf der einen Seite halten Menschen den Anforderungen der Arbeitswelt oft nicht mehr stand. Das System muss also einen früheren Pensionsantritt finanzieren“, argumentiert er. „Auf der anderen Seite verlangen Menschen, die in der Pension weiterarbeiten, ein finanzielles Entgegenkommen. Und beides muss aus demselben Topf finanziert werden.“ Ähnliches gelte seiner Meinung nach auch für die Besteuerung. „Wer mehr verdient, der muss auch einen höheren Beitrag für die Allgemeinheit leisten“, sagt er. Womit man beim Pudels Kern landet, nämlich bei der Frage der sozialen Gerechtigkeit und des Gleichheitsgrundsatzes, die nach österreichischer Usance von der Sozialpartnerschaft gelöst werden müsste.

„Menschen die Möglichkeit geben, ihre Erfahrung in Form einer bezahlten Beschäftigung einzubringen.“

WOLFGANG FEICHTENSCHLAGER Gründer der Jobbörse 60plus

Ingrid Korosec glaubt, dass eine Lösung von großem gesellschaftlichem Interesse wäre. „Wenn Menschen freiwillig in der Pension weiterarbeiten, ist das gut für die Wirtschaft , aber auch für die Menschen selbst“, sagt sie. „Ich gehe, davon aus, dass bis zu 40.000 Pensionisten pro Jahrgang weiterarbeiten wollen.“ Korosec fordert daher einen Paradigmenwechsel auf beiden Seiten, auf der der Arbeitgeber, aber auch auf der der Arbeitnehmer. „Es geht um Wertschätzung der Arbeitgeber für ihre älteren Mitarbeiter, aber auch um die Bereitschaft der Arbeitnehmer, sich weiterzubilden.“ Aber nicht nur das: Es geht auch darum, die Erfahrung und das Können der Älteren für nachkommende Generationen zu erhalten. Und dazu sind kreative Lösungen dringlicher denn je. Korosec schlägt deshalb vor, dass Unternehmen mit Mitarbeitern im Alter von 45 Jahren ein Gespräch führen, wie sie später im Betrieb am effizientesten eingesetzt werden können. Zum Beispiel, ob man sie in einem bestimmten Alter besser in der Nachwuchsschulung und weniger in der Produktion einsetzt. Lösungen gibt es viele, man muss sich nur von starren Schemata lösen. „Man muss halt flexibler werden“, sagt Korosec. „In Österreich tun wir uns damit halt ein bisserl schwer.“ 

Fotos: istock, AK, Ben Leitner, Michaela Pfleger, privat

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