Grazetta

Mit dem VERGABERECHT gestalten

Der Anwalt Martin Schiefer ist einer der führenden Vergaberechtsexperten Österreichs. In seinem Spezialgebiet gibt es viele Möglichkeiten, ökologische, soziale und wirtschaftliche Ziele zu verwirklichen.

GRAZETTA  Das Vergaberecht gilt als sehr streng regulierte Rechtsmaterie. Sie sagen, dass das Gesetz durchaus kreativ sei und dass man damit gesellschafts- und wirtschaftspolitische Anliegen fördern kann.

Vergaberechtsanwalt Martin Schiefer: „Klimagerechte
Maßnahmen ins Vergaberecht übersetzen.“

MARTIN SCHIEFER Mit dem Vergaberecht hat die öffentliche Hand ein Instrument in der Hand, mit dem man steuern kann – bei Lieferaufträgen wie Dienstleistungen. Es ist die Pflicht der öffentlichen Hand, mit Steuergeld nicht nur wirtschaftlich zweckmäßig und sparsam umzugehen. Sie muss Zweckmäßigkeit auch neu definieren. Maßnahmen, die für die Bekämpfung des Klimawandels wichtig sind, muss man ins Vergaberecht übersetzen. Ich beschäftige mich derzeit sehr intensiv mit Lieferketten, Kreislaufwirtschaft und Lebenszykluskosten. Das sind drei Begriffe, die im Vergaberecht gestreift werden, aber für die Bekämpfung des Klimawandels essenziell sind. Ein weiteres Beispiel sind die ESG-Kriterien, also Kriterien für ökologisches, soziales und verantwortliches Handeln.

Bedeutet das, dass bei einer Auftragsvergabe durch die öffentliche Hand nicht nur der günstigste Preis entscheidend ist?
MS Wir haben immer die Diskussion Bestpreis versus Bestangebot. Der billigste Preis ist nicht automatisch der beste, aber der billigste Preis kann auch der beste sein. Elemente wie Nachhaltigkeit sollten eingebunden werden. Wir haben während der Corona-Krise gesehen, wie wichtig Regionalität sein kann. Wenn in Kärnten Muren abgehen, wer stellt dann die Bagger zur Verfügung? Es sind die Unternehmen aus der Region. Wir werden das Vergaberecht also global, aber auch regional denken müssen.

Mit der EU-Vergaberichtlinie als Grundlage des österreichischen Gesetzes müssen Anbieter aus den 27 Mitgliedsländern die Gelegenheit haben, an Ausschreibungen teilzunehmen. Wie kann man dafür sorgen, dass regionale Anbieter dabei nicht den Kürzeren ziehen?
MS Wenn man Regionalität mit Klimaschutz in Verbindung bringen kann, geht es leichter. Aber es muss sachlich gerechtfertigt sein. Durch die Verknüpfung mit den Kriterien Klimaschutz, Stärkung des sozialen Zusammenhalts, verstärkte Compliance, habe ich Instrumente, mit denen man Regionalität fördern kann.

Macht die Einbeziehung der ESG-Kriterien ein Vergabeverfahren schwieriger?
MS Im Gegenteil, sie erleichtern die Sache. Wir haben durch die Klimafit-Programme endlich Vorgaben, die es uns erlauben, neben dem Preis auch CO2-Einsparungen als Bewertungskriterium heranzuziehen. Man kann also den CO2-Fußabdruck finanziell bewerten. Man darf nicht vergessen, je klimaschädlicher produziert wird, desto höhere Strafzahlungen werden fällig.

Das erfordert aber vom Vergaberechtsanwalt eine sehr genaue Kenntnis der einzelnen Branchen.
MS Das Vergaberecht ist für Berater so spannend, weil man tiefe Einblicke in viele Branchen erhält.

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Das Vergaberecht gilt als sehr kompliziert. Der Auftraggeber formuliert einen Auftrag so präzise wie möglich und die Bieter legen ein entsprechendes Angebot. Was ist daran so kompliziert?
MS Vergaberecht hat viel mit Hausverstand und viel mit Transparenz zu tun. Immer dann, wenn ein Auftraggeber seine Anforderungen transparent formuliert, ist er im Vergabeverfahren auf der sicheren Seite. Es gibt aber die Tendenz, jeden einzelnen Fall mit einer eigenen Regelung zu versehen. Das macht die Sache so kompliziert. Als ich mit dem Gesetz zu arbeiten begonnen habe, hatte es knapp 100 Paragraphen, heute sind es 382. Immer dann, wenn der Europäische Gerichtshof oder der Verfassungsgerichtshof ein Urteil fällt, wird versucht, den Richterspruch in das Gesetz zu integrieren. Das wäre meiner Meinung nach nicht notwendig. Dafür gibt es die Kommentare zum Vergabegesetz. Mit dieser Praxis verliert man den Telos, also die Zielsetzung dieses Gesetzes, aus den Augen. Diese Praxis entspricht eher der angelsächsischen Tradition des Case Law. Wir sollten aber darauf achten, dass man die europäische Gesetzestradition nicht aus den Augen verliert.

Sie beschäftigen sich aber auch intensiv mit Whistleblowing und Compliance.
MS Ich finde es gut, dass wir es mit immer mehr nachprüfender Kontrolle zu tun haben. Ich nenne nur das Beispiel COFAG. Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig Transparenz ist. Man muss jedem Auftraggeber dringend raten, seine Vergaben nicht unter der Decke zu machen, sondern seine Wünsche und Anliegen offen darzulegen. Bei der COFAG stellt sich jetzt die Frage, wie die Beraterverträge geschlossen wurden. Damit wird man sich beschäftigen müssen. Damit will ich aber nicht sagen, dass es schlecht wäre, Berater beizuziehen. Die Verwaltung kann nicht alles leisten, wie die Finanzprokuratur behauptet.

Warum liegen Ihnen Whistleblower so sehr am Herzen?
MS Whistleblowing sollte nicht als Vernaderung sondern als Qualitätssicherung gesehen werden. Das Hinweisgebergesetz, das Whistleblower schützt, ist ein wichtiger Schritt. Je früher man in einem Unternehmen auf Missstände hingewiesen wird, umso schneller kann man reagieren. Vor kurzem hat ein Whistleblower aufgedeckt, dass bei Vergaben immer die gleichen Unternehmen eingeladen wurden, die in einer gewissen Reihenfolge die Aufträge bekommen haben.

Können Whistleblower in Österreich auf ähnliche Sympathie zählen wie der wohl Prominenteste unter ihnen, der Australier Julian Assange, der Kriegsverbrechen der USA in Afghanistan und im Irak aufgedeckt hat?
MS Whistleblower wurden vor ein paar Jahren noch als Nestbeschmutzer gesehen. Dieses Image ändert sich gerade. Wenn man Whistleblower belohnt oder ihnen Erleichterungen gewährt, dann bekommen sie ein anderes Image. Man muss aber, was die Compliance-Vorschriften betrifft, mit Fingerspitzengefühl vorgehen, damit Zwischenmenschliches nicht komplett ausgeblendet werden muss. Nicht jeder Kaffee, den man miteinander trinkt, ist eine Bestechung. Ich plädiere für etwas mehr Unaufgeregtheit. Denn nicht jede falsche Vergabeentscheidung ist automatisch ein Verstoß gegen die Compliance. Das gilt auch für die Aufarbeitung der Pandemie. 

Fotos: Cornelia Leitgeb

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