Vom Apotheker zu einem der größten Anbieter von Nahrungsergänzungsmitteln in Europa: Dieter Gall erklärt im Grazetta-Interview, wie man sich auf diesem schwierigen Markt behauptet und warum er sich als Unternehmer leidenschaftlich für seine Heimatstadt Judenburg engagiert.
GRAZETTA • Nahrungsergänzungsmittel sind Ihr Kerngeschäft. In dieser Branche machen viele Anbieter recht atemberaubende Heilversprechen. Sie gehen einen anderen Weg.
DIETER GALL • Sie sprechen da ein sehr spezielles Thema an. Die Frage ist, inwieweit man einen Konsumenten sinnvoll informieren kann. Wenn mich als Anbieter ein Kunde fragt, welches Nahrungsergänzungsmittel ich empfehlen würde, dann darf ich ihm diese Frage nicht beantworten. Wenn mich derselbe Kunde aber in der Apotheke fragt, dann muss ich seine Frage beantworten. Als Apotheker hat man eine gesetzliche Beratungspflicht. Es stimmt schon, dass es auf dem Markt Produkte gibt, bei denen es keine genauen Angaben zu den Inhaltsstoffen gibt. Da liest man oft die Angabe „enthält auch“. Als Pharmazeut kann ich nur sagen, wenn so geringe Mengen an Inhaltsstoffen enthalten sind, dann kann das keine Wirkung haben. Von unseren Produkten bin ich aber überzeugt, dass die Dosierung so gewählt ist, damit sie etwas bewirkt. Es kommt in der Branche der Nahrungsergänzungsmittel eben darauf an, dass im Unternehmen Pharmazeuten und Fachleute am Werk sind, die wissen, was sie tun. Aber es stimmt schon, in dieser Branche gibt es einen großen Graubereich.
Sind die gesetzlichen Bestimmungen ausreichend, um Konsumenten vor unseriösen Anbietern zu schützen?
DG • Die Rechtslage ist ausreichend. Man hat das Arzneimittelgesetz entsprechend reformiert: Wenn ein Nahrungsergänzungsmittel wie ein Arzneimittel aussieht, aber keine Wirkung hat, dann kann der Vertrieb verboten werden. Für die Behörden ist dies aber nicht leicht durchzusetzen: Man kann auf Amazon vieles anbieten. Weil dieser Internethändler keinen nationalen Firmensitz hat, sind den Behörden die Hände gebunden.
In der Nahrungsergänzungsmittel-Branche kommt es darauf an, dass im Unternehmen Pharmazeuten und Fachleute am Werk sind, die wissen, was sie tun.
Sie sind bei Ihren Produkten, was die sogenannten Health Claims betrifft, sehr vorsichtig.
DG • Das ist notwendig, weil man in einem heiß umkämpften Segment arbeitet. Auch wir haben es immer wieder mit Klagen zu tun, unsere Anwalts- und Gerichtskosten betragen in Deutschland allein pro Jahr rund 200.000 Euro. Es gibt spezialisierte Anwaltskanzleien, die nichts anderes tun, als Anbieter zu verklagen, in der Hoffnung, dass sich die beklagte Partei die Verfahrenskosten nicht leisten kann. Diese Methode bezeichnet man als juristisches Marketing. Man versucht, den Konkurrenten mit juristischen Mitteln aus dem Markt zu drängen.
Sie führen nicht nur das Unternehmen Gall Pharma, sondern auch noch mehrere Apotheken. Die Apothekerkammer klagt immer wieder, dass Apotheken wirtschaftlich mit dem Rücken zur Wand stehen.
DG • Das stimmt schon. Es gibt in Österreich zwar den Gebietsschutz, aber in den letzten Jahrzehnten sind die Margen, die wir für die Abgabe eines Medikaments bekommen, immer kleiner geworden. Wenn man bedenkt, dass wir zu Wochenenddiensten verpflichtet sind, wo ein Pharmazeut in der Apotheke anwesend sein muss und man vielleicht einen Umsatz von 500 Euro macht, dann ist das wirtschaftlich nur noch schwer zu stemmen. Bei Arzneimitteln sind Hersteller, Großhändler und Apotheker preislich reglementiert. Als ich 1981 mit dem Großhandel angefangen habe, habe ich 20 Prozent Aufschlag gehabt, heute sind wir bei einem Aufschlag zwischen sieben und neun Prozent.
Während der Corona-Pandemie waren die Apotheken besonders gefordert. Wurde der Einsatz entsprechend gewürdigt?
DG • In der Pandemie haben die Apotheken bewiesen, dass sie für die Bevölkerung da sind. Wir haben uns alle bemüht, die Vorgaben der Politik zu erfüllen. Leicht war das nicht gerade. Denken Sie an die Entscheidung der Politik, dass Arbeitnehmer getestet sein mussten. Am Donnerstag haben wir das aus der Zeitung erfahren. Am Montag darauf trat die Regel in Kraft. In der Regenbogenapotheke in Graz sind die Leute am Samstag im halben Center West in der Schlange gestanden, um sich testen zu lassen. Wir haben uns bemüht, das Optimale für die Bevölkerung umzusetzen. Ein anderes Beispiel dafür, wie die Politik Maßnahmen erlassen hat, ohne sich über die Umsetzung Gedanken zu machen, war die Entscheidung, Patienten sollten einen Dreimonatsbedarf ihrer Medikamente auf einmal abholen können. Innerhalb von zwei Tagen ist unser System zusammengebrochen.
Lieferengpässe gibt es bei Medikamenten aber auch heute noch. Woran liegt das?
DG • Wir haben tatsächlich massive Probleme, bestimmte Arzneimittel zu bekommen. Das liegt am dualen System. Und das funktioniert so: Ein Hersteller legt in den Verhandlungen mit der Krankenversicherung eine bestimmte Preisvorstellung auf den Tisch: Sagen wir 1.400 Euro. Die Versicherung sagt: Ich zahle die Hälfte und wenn du das nicht akzeptierst, dann ist dein Medikament eben nicht mehr auf der Liste der Arzneimittel, die auf Kassenkosten verschrieben werden können. Der Hersteller wird den Preis also akzeptieren. Das führt dazu, dass in Österreich die Medikamente spottbillig sind. Wenn aber in Deutschland für dasselbe Medikament ein höherer Preis bezahlt wird, dann kann man sich ausrechnen, wohin der Hersteller liefern wird.
Ein Großteil unserer Medikamente wird heute in China und in Indien hergestellt. Während der Pandemie wurden Stimmen laut, dass man die Produktion zurück nach Europa holen müsste.
DG • Wenn heute Politiker nach der Erfahrung der Pandemie fordern, die Arzneimittelproduktion zurück nach Europa zu holen, dann muss man schon fragen, warum wir in Europa keine Produktion mehr haben. Es liegt einfach am Preis. Wenn man bereit ist, für ein in Europa hergestelltes Arzneimittel deutlich mehr zu bezahlen als für eines aus Asien, dann wird es diese Produktion wieder geben. Ich kann aber nicht auf strenge europäische Auflagen bestehen und das beim Preis nicht berücksichtigen.
Wenn ich Sie richtig verstehe, sind Sie im Grunde Ihres Herzens Apotheker geblieben.
DG • Ja sicher. Und ich bin es auch immer gewesen. Wenn ich als Pharmazeut ein Nahrungsergänzungsmittel herstelle, dann will ich überzeugt sein, dass ich damit auch etwas bewirke. Der Patient steht für mich im Vordergrund. Deshalb stellen wir auch Kleinserien und Varianten her, die andere Hersteller nicht anbieten. Wenn ein Patient in eine Apotheke mit einem Problem kommt, werde ich versuchen, mit einem unserer Produkte zu helfen, auch wenn das für mich wirtschaftlich nichts bringt. Wir müssen zwar, wie jeder andere Betrieb auch, Gewinne machen, aber in unserer Branche sollte es neben dem Thema Gewinn auch noch andere Themen geben. Ich bin mit Leib und Seele Apotheker und Pharmazeut.
Man kann als Unternehmer nicht immer nur Dinge von der Stadt verlangen, man muss auch etwas zurückgeben.“
Sie kämpfen mit viel Engagement für die Belebung des Stadtkerns von Judenburg.
DG • Judenburg kämpft, wie viele andere Städte auch, mit dem Leerstand von Geschäftslokalen. Vor ein paar Jahren hat man illegal ein Einkaufszentrum am Stadtrand errichtet, das man im Nachhinein legalisiert hat. Das hat der Innenstadt nicht gutgetan. Gemeinsam mit der Stadt Judenburg, anderen Unternehmen und Banken habe ich als Mitgesellschafter deshalb im alten Stadtturm von Judenburg ein Planetarium errichtet. Das wird zwar nie Gewinn abwerfen, aber die Innenstadt attraktiver machen. Das Planetarium bringt jährlich 30.000 Besucher in die Stadt. Ich nehme mir heraus, mich in die Geschicke der Stadt einzumischen. Man kann als Unternehmer nicht immer nur Dinge von der Stadt verlangen, man muss auch etwas zurückgeben. Man hat eine gewisse Verpflichtung. Gerade in Judenburg war die Stadtpolitik über Jahre hinweg dominiert von parteipolitischem Hickhack.
Sie haben anscheinend keine zu hohe Meinung von der politischen Kultur im Land.
DG • Ich beobachte mit Sorge, dass kleine Gruppen die Diskussion vereinnahmen. Nehmen wir aktuell die Klebeaktivisten oder während der Pandemie die Coronaleugner. Sie sorgen dafür, dass kleine Minderheiten mit radikalen Methoden versuchen, der Mehrheit eine Meinung aufzuzwingen und verhindern so, dass man sich nicht sachlich kritisch äußern kann, ohne in den gleichen Topf geworfen zu werden. Was mich aber auch irritiert, ist das Verhalten mancher Politiker, die glauben, mit zweierlei Maß messen zu können: Für die Bürger den Lockdown und für sie selbst Champagner bei Veranstaltungen. Politiker haben eine gewisse Vorbildfunktion, unabhängig von der Parteizugehörigkeit. Diese Einsicht ist in dramatischer Art und Weise abhandengekommen.
Was macht die Glaubwürdigkeit einer Führungspersönlichkeit aus?
DG • Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Auch bei uns gibt es immer wieder Diskussionen über Arbeitsabläufe und wie man sie so effizient wie möglich gestaltet. In so einem Fall setze ich mich neben die Mitarbeiterin und sage: Du machst es so, wie du glaubst, und ich mache es so, wie ich es für richtig halte. Und dann schauen wir. Wenn ich in der halben Zeit fertig bin, müssen wir nicht weiter diskutieren. Wenn ich länger brauche, ist das Thema für mich erledigt.
Sie werden nächstes Jahr 65 Jahre alt. Woher nehmen Sie die Kraft für Ihre Umtriebigkeit?
DG • Für mich ist der Beruf mein Hobby. Ich habe mich nie zwingen müssen, in den Betrieb zu gehen. Mir macht die Arbeit auch Spaß. Ich werde nächstes Jahr in Pension gehen, aber aufhören zu arbeiten werde ich nicht. Ich bin dann nicht der einzige Pensionist im Betrieb. Zwei Damen haben von sich aus angegeben, dass sie in der Pension weiterarbeiten wollen. Eine dritte Mitarbeiterin hat sich während der Pandemie entschieden, in Teilzeit weiterzuarbeiten. Ich habe mich darüber gefreut, weil diese älteren Damen ihren jüngeren Kolleginnen zeigen, dass Arbeit viel mehr bedeutet, als nur Geld zu verdienen. Sie kann erfüllend und ein Mittel gegen Einsamkeit sein.
Sie haben vor einem Jahr in Ihrem Unternehmen die Vier-Tage-Woche eingeführt. Hat sich dieses Arbeitszeitmodell bewährt?
DG • Ja und nein. Als Arbeitgeber bin ich zufrieden, der Großteil der Mitarbeiter auch. Auch wenn es nicht leicht war, das Modell in unseren Schichtbetrieb zu integrieren. Wir haben uns für ein System eines langen und eines kurzen Wochenendes entschieden: Das Problem ist, dass die Arbeitsgesetze an dieses Modell nicht angepasst sind. Eine schwangere Frau darf nicht länger als neun Stunden arbeiten. Es geht mit der Vier-Tage-Woche eine gewisse Flexibilität verloren.
GALL PHARMA: VON VASELINE ZUM EUROPÄISCHEN PLAYER Seit 40 Jahren produziert Dieter Gall in Judenburg Nahrungsergänzungsmittel auf höchstem Qualitätsniveau. Im Sortiment hat das Unternehmen 950 Rezepturen. Mit seinen 100 Mitarbeitern, die große Mehrheit sind Frauen, produziert Gall Pharma pro Jahr 550.000 Packungen mit 35 Millionen Kapseln. Das Judenburger Unternehmen gehört damit zu den größten Anbietern in Europa. Zum Unternehmen gehören die deutschen Großhandelsfirmen Hecht Pharma GmbH und Bios Medical Service sowie die Leitner Lifecare GmbH, die Blütenessenzen und Bachblüten vertreibt. Dieter Gall, der Sohn einer Apothekerfamilie, hat das Unternehmen Gall Pharma 1981 gegründet. Eigentlich aus einer Not heraus: Eine Tubenfüllmaschine hatte sich nicht gelohnt, Gall begann, Vaseline abzufüllen und unter dem Namen der Stadtapotheke Judenburg zu verkaufen. Weil das nicht so gut ankam, gründete er kurzerhand das Unternehmen Gall Pharma. Die Spezialität des Unternehmens ist seine Flexibilität. Auf Wunsch werden auch kleine Mengen hergestellt, wenn die Kunden sie verlangen. „Es gibt nichts, was es nicht gibt“, so lautet das Firmenmotto. In den 1990er Jahren begann Dieter Gall mit dem Import von Nahrungsergänzungsmitteln, die damals in Österreich nicht so leicht erhältlich waren. Gall hatte eine Marktlücke entdeckt. In der Folge stellte er die Nahrungsergänzungsmittel selbst her. Bei Gall Pharma produziert man aber nicht nur Produkte, die unter dem eigenen Markennamen vertrieben werden. Das Unternehmen versteht sich auch als Produktentwickler. Die Produkte werden im Private Labeling hergestellt, die Apotheke verkauft das Produkt also unter dem eigenen Namen und mit der gewünschten Verpackung. Hergestellt und bedruckt werden die Verpackungen ebenfalls in Judenburg. Weil diese Druckerei eigentlich geschlossen werden sollte, hat sie Gall inzwischen übernommen. Auch wenn er sich davon wirtschaft lich nicht so viel erwartet. Es gehört zur Unternehmensphilosophie, lokale Betriebe zu unterstützen und die Wertschöpfung in der Region zu halten. Auch die Entwürfe für die Verpackungen kommen aus dem eigenen Haus. Zu Gall Pharma gehört auch die Medienagentur „Murtal 1“, die für Grafik und Design sorgt. Wer sich hingegen um die eigene Schönheit und das Wohlbefinden sorgt, findet in der Drogerie Junek am Judenburger Hauptplatz alles, was das Herz begehrt. Zudem lockt hier eine Energie- und Naturheilpraxis mit Bachblüten-Beratungen und Raindrop-Energetik. Für die Produktlinie „Pater Severin Naturprodukte“ wird in Mariahof bei Neumarkt ein neuer Produktionsstandort aufgebaut, an dem die Tropfen, Tees und Sirupe hergestellt werden. Eine geplante Schauproduktion soll dann auch neue Touristen ins Murtal locken.
FOTOS: Conny Leitgeb