Die Stärkung regionaler Wirtschaftsräume gilt als Voraussetzung für Nachhaltigkeit und Lebensmittelsicherheit. Pandemie und Krieg verstärken den Wunsch nach Produkten aus der eigenen Heimat.
Wer in den letzten Wochen Werbespots gesehen hat, dem wird aufgefallen sein, dass die Supermarktketten einander geradezu überbieten mit Bildern von glücklichen Tieren, idyllischen Höfen und naturnahen Lebensmitteln aus der Region. Die Konzerne reagieren damit auf den Trend zu regionalen Produkten, der mit Covid und Krieg nur noch stärker geworden ist. Mit Regionalität verbinden die Konsumenten höhere Qualität, eine bessere Umweltbilanz und einen Beitrag zum Wirtschaftsstandort. Regional gilt als sympathisch, nachhaltig und vertraut, wie das IMAS-Institut in einer Umfrage im Auftrag des Genossenschaftsverbands vor zwei Jahren erhoben hat. „Regionalität ist eine von acht Kategorien, die einen Markt zu einem ‚Sinnmarkt‘ machen“, sagt der Trend- und Zukunftsforscher Matthias Horx. Für einen Markt also, der nahe ist, gut und vertraut.
Wie sich dieser Sehnsuchtsort geographisch, wirtschaftlich und politisch definieren lässt, ist da schon um einiges schwieriger. „Es macht mehr Sinn, eine Region nicht strikt politisch-geographisch, sondern sozial bzw. funktional zu definieren“, sagt der Grazer Wirtschaftssoziologe Dirk Raith. Er arbeitet gerade an dem vom Klima- und Energiefonds geförderten „CoopsForFood“-Projekt, das Wege aufzeigen soll, wie man den Zugang zu gesunder Ernährung sozial gerechter machen kann. Für diese funktionale Definition von Regionalität gibt es eine Faustregel: „Je unmittelbarer oder grundlegender ein Bedürfnis ist, umso kleinräumiger sollte es befriedigt werden“, sagt Raith. „Für einige wenige, komplexe und aufwändige Dinge wird es immer noch Sinn machen, sie global zu erzeugen.“
„Je unmittelbarer oder
grundlegender ein
Bedürfnis ist, umso
kleinräumiger sollte es
befriedigt werden.“
DIRK RAITH
Wirtschaftssoziologe
Der Wirtschaftssoziologe Raith ist davon überzeugt, dass sich das Prinzip Globalisierung überlebt hat und von einer Re-Regionalisierung der Wirtschaft abgelöst werden müsse. Eine These, die Pandemie und Krieg gleichsam täglich zu bestätigen scheinen.
Für viele Konsumenten steht Regionalität vor allem auch für Nachhaltigkeit. Raith mahnt in diesem Zusammenhang zur Vorsicht: „Regional ist nicht gleichbedeutend mit nachhaltig“, behauptet er und nennt ein Beispiel: Aus ökologischer Sicht sei es günstiger, Tomaten mit dem LKW quer durch Europa zu schicken, als im Alpenraum Glashäuser mit fossilen Brennstoffen zu beheizen, damit hier die Tomaten reifen. „Nachhaltig ist aber beides nicht“, sagt Raith. Gescheiter sei es da schon, nur noch Gemüse zu essen, das gerade Saison hat, um damit die Wertschöpfung in der Region zu halten. Damit der Konsument aber auch die Chance hat, sich bewusst für saisonale Produkte aus der Region zu entscheiden, muss die Kennzeichnung verbessert werden. Die Landwirtschaftsminister Deutschlands und Österreichs, Cem Özdemir (Grüne) und Elisabeth Köstinger (ÖVP), verlangen von der EU-Kommission einen Gesetzesvorschlag, der eine Herkunftskennzeichnung EU-weit verpflichtend macht. Die Brüsseler Behörde favorisiert eine freiwillige Lösung. Deutschland und Österreich geht es mit der verpflichtenden Kennzeichnung in erster Linie auch darum, die Position der Landwirte in der Lebensmittelversorgungskette zu stärken. Die verpflichtende Herkunftsbezeichnung sei eine „Zukunftssicherung“ für die Bauern, argumentiert Özdemir.
Bauernmärkte: Höhere Einkommen durch Direktvermarktung.
Die Rahmenbedingungen für die regionale Lebensmittelproduktion werden in Brüssel definiert. Das Grundsatzdokument der Kommission „Vom Hof auf den Tisch“ soll die europäische Agrarpolitik (GAP) ökologischer machen und das Einkommen der Bauern verbessern. Denn trotz Direktzahlungen aus der GAP ist das Einkommen der Primärerzeuger in den letzten Jahren rückläufig und zwar spürbar. Manche Berechnungen gehen von einem Rückgang von bis zu zehn Prozent in drei Jahren aus. Was unter anderem auch damit zu tun hat, dass mehr als die Hälfte aller Lebensmittel in der Europäischen Union in Supermärkten und Diskontern verkauft wird. Die drei größten lebensmittelverarbeitenden Betriebe der EU haben einen Marktanteil von 50 Prozent. Experten bezeichnen dies als „Macht-Asymmetrie“ zwischen Bauern und Markt.
Ein Weg, für die eigenen Produkte einen besseren Preis zu lukrieren, ist die Direktvermarktung. In Österreich ist dies trotz der großen Beliebtheit von Bauernmärkten und Hofläden noch immer ein Minderheitenprogramm. Gerade einmal fünf Prozent der Höfe leben von der Direktvermarktung. Zum Vergleich: In Griechenland sind das 29 Prozent, in der Slowakei 19 Prozent. An der Direktvermarktungsmarke „Gutes vom Bauernhof“ sind 1.600 Betriebe in Österreich und 781 in der Steiermark beteiligt. Mehr als ein Drittel der direkt verkauften Produkte sind Fleisch und Fleischereierzeugnisse, 28 Prozent entfallen auf Milch und Milchprodukte, nur sieben Prozent auf Getreide, Gemüse und Backwaren.
„Wenn man sich um
die Belebung von Ortszentren
bemüht, dann ist
das auch ein Impuls zur
Belebung der Wirtschaft.“
SANDRA HÖBEL
Geschäftsführerin der
Landentwicklung
Steiermark.
Sandra Höbel ist Geschäftsführerin der Landentwicklung Steiermark. Die Einrichtung bemüht sich seit 25 Jahren darum, Regionen wirtschaftlich, aber auch sozial und kulturell zu stärken. „Zwischen all diesen Komponenten gibt es eine starke Wechselbeziehung“, sagt Höbel. „Wenn man sich um die Belebung von Ortszentren bemüht, dann ist das auch ein Impuls zur Belebung der Wirtschaft.“ Das Büro für Landentwicklung dreht daher nicht nur an einer Schraube, sondern an vieren: „Regionale Entwicklung bedeutet, für einen attraktiven Lebensraum zu sorgen, den sozialen Zusammenhalt zu stärken, nachhaltiges Wirtschaften zu ermöglichen und die Wertschöpfung in der Region zu steigern“, erklärt Höbel. „Und darum, Zusammenhänge deutlich zu machen.“ Etwa dann, wenn das letzte Lebensmittelgeschäft im Ort mit dem Zusperren droht. „Man kann halt nicht seine Wocheneinkäufe beim Diskonter auf der grünen Wiese machen und beim Nahversorger im Ort nur noch die Milch holen“, sagt Höbel. „Von einem Liter Milch wird der nämlich nicht leben können.“ Optimistisch ist Sandra Höbel trotzdem. „Mit der Pandemie und dem Krieg verschieben sich die Wertigkeiten gerade sehr.“
Fotos: Privat, Landentwicklung Steiermark, istock.com / sanjeri, istock.com / nd3000