Neue Formen der Arbeit braucht das Land: Flexibler soll sie gestaltet werden, selbstbestimmter und kürzer. Das wünschen sich vor allem junge Arbeitnehmer. Die Arbeitswelt verändert sich gerade nachhaltig.
Mehr als die Hälfte der Vollbeschäftigten möchte weniger arbeiten. Jeder Fünfte würde dafür auch einen Einkommensverlust in Kauf nehmen. „Das ist ein Wert, den wir so noch nicht gesehen haben“, sagt Reinhard Raml vom Institut für empirische Sozialforschung (IFES). „Der Wunsch nach kürzeren Arbeitszeiten hat sich gegenüber 2019 verdreifacht.“ Im Auftrag der Arbeiterkammer Oberösterreich untersuchen IFES und das Politik- und Sozialforschungsinstitut SORA seit 25 Jahren die Stimmungslage bei den Arbeitnehmern. Raml spricht von einer „irrsinnigen Dynamik“, für die er eine Kombination von mehreren Faktoren verantwortlich macht. „Ein Faktor ist die Corona-Pandemie, die Kurzarbeit in vielen Unternehmen und das Home-Office“, sagt er. „Hinzu kommt, dass der Arbeitskräftemangel zusätzlich Druck auf jene ausübt, die in der Produktion oder im Büro die Arbeit der nicht vorhandenen Kollegen übernehmen müssen.“ Überstunden und eine steigende Arbeitsbelastung seien die Folge. „Arbeit ist um ein Vielfaches anstrengender geworden“, betont Raml und verweist auf die Belastungen, mit denen berufstätige, alleinerziehende Mütter im Home-Office fertig werden mussten: „Das muss man erst einmal alles stemmen: Arbeiten, den Haushalt machen und die Kinder zum Lernen und Aufgabenmachen motivieren“, sagt Raml.
„Der Wert der Freizeit ist in der
Pandemie gestiegen. Es hat sich
durch die Kurzarbeit aber auch
eine gewisse Versorgungsmentalität
breitgemacht.“
ERIC KIRSCHNER
Institut für Wirtschafts- und Innovationsforschung
an der FH Joanneum
Hinzu kommt, dass sich auch die gesellschaftlichen Werte verändern: Vor ein paar Jahrzehnten war es noch gang und gäbe, viel und hart zu arbeiten, damit man sich den Wunsch nach einem eigenen Haus oder nach einem teuren Auto erfüllen kann. Heute wiegt das Bedürfnis nach einer guten Work-Life-Balance bei vielen Menschen schwerer. Das bestätigt auch Eric Kirschner vom Institut für Wirtschafts- und Innovationsforschung an der FH Joanneum: „Der Wert der Freizeit ist in der Pandemie gestiegen“, sagt er. „Aber nicht nur das. Es hat sich durch die Kurzarbeit auch eine gewisse Versorgungsmentalität breitgemacht.“
Mächtige Arbeitskräfte
Auch er konstatiert, dass die klassischen Arbeitsformen mit 40-Stunden-Woche und der Bereitschaft, Überstunden zu leisten, wenn der Chef dies verlangt, immer unbeliebter werden. Weil viele Branchen aber mit einem akuten Arbeitskräftemangel zu tun haben, habe sich die Verhandlungsposition der Jobsuchenden massiv verbessert: „Arbeitskräfte sind mächtiger geworden“, betont Kirschner und verweist auf die Situation in der Gastronomie: „Hier können Arbeitskräfte inzwischen viele Bedingungen stellen: Freie Wochenenden, ein ansprechendes Quartier oder eine Vier-Tage-Woche.“ Inzwischen würden sich nicht mehr die Jobsuchenden bewerben, sondern die Unternehmen, die versuchen müssten, mit verschiedenen Zusatzleistungen Personal zu gewinnen.
„Mit Arbeitszeitverkürzung
Mitarbeiter motivieren.“
MARKUS KLEINDIENST
Kamper-Geschäftsführer
Vor eineinhalb Jahren hat der Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln, Gall Pharma, in Judenburg die Vier-Tage-Woche als Versuch in einer Produktionsstätte eingeführt. „Der Vorschlag, es zu probieren, kam von unserem Marketingleiter Philip Dengg“, sagt Geschäftsführer Dieter Gall. „Wir haben damit gute Erfahrungen gemacht.“ Die Anpassung der internen Arbeitsabläufe an die kürzere Woche habe aber einiges an „Hirnschmalz“ erfordert. Gelöst wurde das Problem mit der Einführung von zwei Diensträdern: Ein Team arbeitet von Montag bis Donnerstag, das andere von Dienstag bis Freitag. „Die Teams wechseln einander ab, dadurch haben alle ganze vier Tage frei“, erläutert Dieter Gall. Die anfängliche Skepsis der Mitarbeiter habe sich rasch gelegt. Auch wenn Dieter Gall mit seinem Vier-Tage-System durchaus zufrieden ist, weist er dennoch auf rechtliche Probleme hin. „Es ist nicht klar, welche Stunden als Überstunden zu entlohnen sind“, sagt er. „Der Gesetzgeber muss da dringend eine Lösung finden.“
„Überstundenregelung bei der
Vier-Tage-Woche unklar.“
KARL SCHNEEBERGER
AK-Arbeitsrechtsexperte
Dass das Arbeitszeitgesetz tatsächlich diesbezüglich unklar ist, bestätigt auch Karl Schneeberger, Arbeitsrechtsexperte der AK Steiermark. Generell sei es seit 2008 erlaubt, an vier Tagen zehn Stunden zu arbeiten, seit 2018 sogar zwölf Stunden am Tag. Dafür ist nur eine Betriebsvereinbarung oder eine Einzelvereinbarung in Unternehmen ohne Betriebsrat notwendig. „Unklar ist, was passiert, wenn am fünften Tag gearbeitet werden muss“, sagt Schneeberger. „Müssen dann nur die am fünften Tag geleisteten Stunden als Überstunden bezahlt werden oder auch für die neunte und zehnte Stunde der Vier-Tage-Woche?“ Diese Frage sei nicht ausjudiziert. „Klar ist jedoch, wenn man die Vier-Tage-Woche einführt, dann darf das nicht bedeuten, regelmäßig an fünf Tagen arbeiten zu müssen“, betont der Arbeitsrechtsexperte.
„Der Gesetzgeber hinkt
bei der Vier-Tage-Woche
hinterher.“
DIETER GALL
GF Gall Pharma
Das Unternehmen Kamper Handwerk und Bau in Tillmitsch mit seinen 130 Mitarbeitern wird mit 1. Oktober in die Vier-Tage-Woche wechseln und die Arbeitszeit für alle Mitarbeiter auf 38 Stunden bei vollem Lohnausgleich reduzieren. „In unserem Betrieb gibt es drei verschiedene Kollektivverträge, die Tischler arbeiten 40, die Bauarbeiter 39 und die Schlosser 38,5 Stunden pro Woche. Da ist eine Vereinheitlichung der Wochenarbeitszeit sinnvoll“, erklärt Geschäftsführer Markus Kleindienst. „Wir sind guter Dinge, dass wir mit der Arbeitszeitverkürzung die Mitarbeiter motivieren können, die gleiche Leistung zu erbringen.“ Dass eine Vier-Tage-Woche auch dazu führt, dass Unternehmen leichter zu Arbeitskräften kommen, bezweifelt Pharma-Unternehmer Gall. „Es gibt keine Arbeitskräfte“, sagt er lapidar.
Generation Z
Der demographische Wandel, die Pensionierung der Baby-Boom-Generation und der Wunsch der Generation Z, kürzer zu arbeiten, bringt den Arbeitsmarkt unter Druck. Was aber nicht bedeuten soll, dass die nach dem Jahr 2000 Geborenen einfach nur faul wären. „Diese Generation will eine sinnstiftende Arbeit leisten“, sagt Eric Kirschner von der FH Joanneum. „Sie wollen einen Beitrag zum Klimaschutz oder zu anderen gesellschaftlichen Herausforderungen leisten.“ Hinzu komme, dass viele Junge sehr wohlhabend sind. Kirschner spricht von der „Generation Erben“. Wer aber von Eltern oder Großeltern kein Erbe zu erwarten hat, der werde sich schwertun, zum Beispiel ein Haus zu bauen. „Es gibt also für diese Gruppe keinen Grund so hart zu arbeiten.“
„Die Generation Z will einen Beitrag zur Lösung gesellschaftlicher Probleme leisten. Das ist ihr wichtiger als die Bezahlung.“
REINHARD RAML
Institut für empirische Sozialforschung (IFES)
IFES-Experte Reinhard Raml nennt noch anderen Gründe, warum für die Generation Z die Arbeit einen geringeren Stellenwert hat: „Diese Generation hat gesehen, wie hart die Eltern gearbeitet und wie sehr Familie und Freunde darunter gelitten haben.“ Hinzu komme eine allgemeine Werteverschiebung in Richtung Postmaterialismus: „Immer mehr Menschen verzichten wegen des Klimawandels auf den benzinfressenden Sportwagen oder auf den Urlaub auf den Malediven“, sagt Raml. „Stattdessen geht es darum, einen Beitrag zur Lösung gesellschaft licher Probleme zu leisten. Das ist wichtiger als die Bezahlung.“
Wichtig ist der Generation Z aber auch die Atmosphäre in einem Unternehmen. Die Generation Z liebt Teamarbeit, flache Hierarchien und verständnisvolle Vorgesetzte: „Viele wünschen sich einen Arbeitgeber, der einem Mitarbeiter freigibt, wenn zum Beispiel ein krankes Kind gepflegt werden muss“, sagt Raml. „Verständnis für Notsituationen ist für viele Bewerber ein ganz entscheidender Punkt, sich für ein Unternehmen zu entscheiden.“
Fotos: privat, IFES, AK, Kamper