Wie die Landwirtschaft in Europa umweltverträglicher wird, dazu hat die EU-Kommission das Strategiepapier „Vom Hof auf den Tisch“ vorgelegt. Aber bereits ihre erste Gesetzesvorlage über Pflanzenschutzmittel sorgt im EU-Parlament für erbitterte Kontroversen.
Es ist wohl ein historischer Kampf, der in den Institutionen der Europäischen Union in den nächsten Monaten stattfinden wird, sagen Kenner der Brüsseler Verhältnisse. Auf dem Tisch liegen Vorschläge, die die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) auf Nachhaltigkeit ausrichten sollen. Wie sich die EU-Kommission das vorstellt, hat sie vor knapp zwei Jahren in ihrem Dokument „Vom Hof auf den Tisch“ vorgelegt. Weniger Chemie in der Landwirtschaft, ein höheres Einkommen für Bauern und höhere Standards in der Nutztierhaltung, das sind einige der Maßnahmen, die in den nächsten Jahren gesetzlich geregelt werden sollen. Für dieses durchaus aufsehenerregende Projekt hat die EU-Kommission breiten Zuspruch erhalten, auch von Seiten kritischer Umweltschützer.
Umstrittener Entwurf für
eine Pestizid-Verordnung:
Umstieg auf ökologische
Alternativen.
Wie schwer diese Transformation politisch durchzusetzen sein wird, zeigt sich bereits bei der ersten konkreten gesetzlichen Maßnahme, die die Kommission auf den Weg gebracht hat, der Pestizid-Verordnung. Darin schlägt die Brüsseler Behörde vor, den Einsatz synthetischer Pestizide bis 2030 um die Hälfte zu reduzieren. Aus gutem Grund, denn die Pflanzenschutzmittel schädigen nicht nur Böden und Bienen, manche von ihnen werden von der Weltgesundheitsorganisation WHO auch als krebserregend eingestuft. Bauernvertreter laufen trotzdem gegen die Einsparungspläne Sturm. „Dieser Vorschlag ist absolut praxisfern“, sagt etwa die EU-Abgeordnete Simone Schmiedtbauer von der steirischen ÖVP. „Niemand hat bisher eine überzeugende Antwort auf die Frage geben können, wie sich das auf die Versorgungssicherheit bei Lebensmitteln auswirken wird.“ Wie viele Bauernvertreter fordert sie die Kommission auf, den Vorschlag zurückzuziehen. „Wir brauchen zuerst wissenschaftliche Studien, wie sich diese Reduktionsziele auf die Lebensmittelversorgung auswirken“, betont Schmiedtbauer.
Solange wir keine wirksamen und marktfähigen Alternativen für Pflanzenschutzmittel haben, brauchen wir nicht über die Prozente der Reduktionsziele zu streiten.
SIMONE SCHMIEDTBAUER, ÖVP-EU-Abgeordnete
Ihre Kollegin Sarah Wiener von den Grünen, die im Umweltausschuss den Entwurf für die Stellungnahme des Parlaments zur Pestizid-Verordnung vorgelegt hat, kann darüber nur den Kopf schütteln. „Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht eine wissenschaftliche Studie dazu veröffentlicht wird.“ Ein paar der aufschlussreichsten hat die österreichische Abgeordnete in eine Mappe gepackt und ihren konservativen Kollegen in die Postfächer gelegt.
Dass an wissenschaftlichen Studien wirklich keinen Mangel besteht, das bestätigt auch Helmut Burtscher-Schaden von der Umweltorganisation Global 2000. Er war Initiator des ersten europaweiten Volksbegehrens „Bienen und Bauern retten“, das ein Totalverbot von Pestiziden in der Landwirtschaft fordert und von mehr als einer Million EU-Bürgern unterstützt worden ist. Burtscher-Schaden verweist auf die Warnung der FAO, der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen: „Die biologische Vielfalt, die die Grundlage unserer Nahrungsmittelsysteme bildet, verschwindet, wodurch die Zukunft unserer Ernährung, unserer Lebensgrundlagen, Gesundheit und Umwelt ernsthaft bedroht ist.“ Unbestritten ist für ihn auch, dass der hohe Pestizideinsatz das Bauernsterben beschleunigt. „Zwischen 2000 und 2020 ist das Einkommen der Landwirte EU-weit um 46 Prozent zurückgegangen“, erklärt er. „Das hat auch mit den stark steigenden Preisen für Pestizide und Düngemittel zu tun. Die kleinbäuerliche Landwirtschaft, die gerade in Österreich einen wichtigen Stellenwert hat, verschwindet zunehmend.“
Laut Grünem Bericht werden in Österreich 5.862 Tonnen Pestizide pro Jahr ausgebracht, davon sind 2.000 Tonnen Insektizide.
„Mehr als die Hälfte der zugelassenen Pestizide gefährden Umwelt und Gesundheit, 16 Prozent sind eindeutig krebserregend“, hat Burtscher-Schaden in Zusammenarbeit mit Wissenschaft lern der Universität für Bodenkultur in Wien erhoben. Dass umweltverträgliche Pestizide genauso gefährlich seien, wie die Pestizid-Industrie behauptet, konnte nicht nachgewiesen werden. „Nur bei drei Prozent der in der Bio-Landwirtschaft zugelassenen Pestizide wurden Umwelt- und Gesundheitsrisiken festgestellt“, betont Burtscher-Schaden. Ein Zurückfahren des Pestizid-Einsatzes, so wie ihn die EU-Kommission und die Grünen-Abgeordnete Sarah Wiener fordern, sei deshalb der richtige Weg. Eine Verschiebung der Entscheidung, die auch Österreichs Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig fordert, hat seiner Meinung nach vor allem wahltaktische Gründe: „Im Mai 2024 finden Wahlen zum EU-Parlament statt.“
„Landwirte spritzen sehr oft präventiv. Da gäbe es ein großes Einsparungspotenzial.“
ROBERT BRODSCHNEIDER
Bienenexperte
Wie sich der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln auf Bienen und andere natürliche Bestäuber auswirkt, das erklärt der Zoologe Robert Brodschneider von der Universität Graz. „Beim Anbau von zum Beispiel Mais werden Neonicotinoide als Beizmittel verwendet. Diese Substanz verhindert den Schädlingsbefall, für Insekten ist das ein Nervengift.“ Am besten untersucht sei die Wirkung auf Honigbienen. Neonicotinoide in einer nicht tödlichen Dosis beeinträchtige das Verhalten und die Lernleistung der Honigbiene. „Sie werden blöd“, sagt Brodschneider „Sie bekommen Probleme bei der Orientierung, finden schwerer zum Stock zurück, auch ihr Körper wird in Mitleidenschaft gezogen, sie werden anfälliger für Krankheiten.“ Das größte Problem sieht Brodschneider in sogenannten Fehlanwendungen nach dem Motto „viel hilft viel“. „Landwirte spritzen sehr oft präventiv. Da gäbe es ein großes Einsparungspotenzial.“ Er spricht sich, wie die grüne EU-Abgeordnete Sarah Wiener auch, für Schulungen der Landwirte in „Integriertem Schädlingsmanagement“ aus, bei denen auch ökologisch unbedenkliche Methoden vermittelt werden. Zu schaffen machen den natürlichen Bestäubern aber auch andere Fehlentwicklungen in der europäischen Landwirtschaft. „Mit der Intensivierung sind Felder immer größer geworden, Feldraine mit Blumen und Kräutern sind verschwunden“, sagt er. „Damit haben die Bestäuber eine wesentliche Nahrungsquelle und ihre Nistmöglichkeiten verloren. Wenn wir die Bestäuber schützen wollen, dann brauchen wir mehr Biodiversität.“
Bleibt die Frage, ob man auf synthetische Pestizide ohne massive Einbußen bei den Erträgen verzichten kann. Die EU-Abgeordnete und Landwirtin Schmiedtbauer hat darauf eine eindeutige Antwort: „Solange wir keine wirksamen und marktfähigen Alternativen für Pflanzenschutzmittel haben, brauchen wir nicht über die Prozente der Reduktionsziele zu streiten.“ Sie warnt davor, dass mit den Einsparungszielen die Landwirtschaft „aus Europa vertrieben“ werde. „Wir verlieren das Augenmaß, beschließen laufend neue Hürden für die Bauern und gefährden damit die heimische Produktion“, kritisiert sie. „Das würde zu Importen aus anderen Teilen der Welt führen, wo wir keinen Einfluss auf Umwelt- und Klimastandards haben.“
Mit ein Grund, warum der Streit um weniger Pestizide in der EU so eskaliert, hat mit der enormen wirtschaftlichen Bedeutung dieses Industriezweigs zu tun. Für Konzerne wie Bayer machen Saatgut und die darauf abgestimmten Pestizide 45 Prozent ihres Umsatzes aus. Das Reduktionsziel hätte also für die Branche erhebliche wirtschaftliche Folgen.
Der Europäische Verband für Pflanzenschutz, zu dem sich Bayer, BASF und Co zusammengeschlossen haben, argumentiert daher, dass der Umstieg auf in der Bio-Landwirtschaft zugelassene Mittel wie Kupfer, Schwefel oder Backpulver für Mensch und Umwelt viel schädlicher seien als die synthetischen. Basis des Arguments ist eine einfache Rechnung: Für eine Apfelplantage in der Größe eines Hektars brauche man nur 56 Gramm in Wasser aufgelöste synthetische Pestizide, aber 7,5 Kilo Backpulver. Die Reduktionsziele der EU-Kommission würden also den Einsatz von Pestiziden um mehr als das Hundertfache erhöhen, lautet die Rechnung der Hersteller.
„16 Prozent der zugelassenen synthetischen Pestizide sind krebserregend.“
HELMUT BURTSCHER-SCHADEN
Biochemiker
Umweltschützer wie Helmut Burtscher-Schaden überzeugt dieses Argument nicht: „Bei dieser Rechnung berücksichtigt die Industrie nur die eingesetzte Menge, aber nicht die Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit“, argumentiert er. „Backpulver kontaminiert den Boden nicht, auch wenn ich viel mehr davon einsetzen muss. Es ist nämlich biologisch abbaubar.“
Auch Berichterstatterin Wiener weist die These von der Alternativlosigkeit synthetischer Pflanzenschutzmittel zurück: „Es gibt eine umfassende Datenbank darüber, wie man synthetische Pestizide ohne oder nur mit geringen Ertragseinbußen reduzieren kann“, sagt sie. Wiener, die mit ihrer TV-Serie „Die kulinarischen Abenteuer der Sarah Wiener“ bekannt wurde und heute selbst einen Bio-Betrieb führt, sieht sich mit massiven Anfeindungen konfrontiert. Und dies in einer Härte, die für das sonst so feine EU-Parlament ungewöhnlich ist. Sie wirft ihren politischen Gegnern vor, in der Bauernschaft Angst zu verbreiten: „In Gesprächen mit Bauern höre ich immer wieder, dass ich Pestizide verbieten will, was ja wirklich nicht stimmt.“ Was Wiener besonders schmerzt, ist, dass die Bauern den Großteil der gesundheitlichen Risiken tragen. „Der Zusammenhang zwischen Pestiziden und bestimmten Krebserkrankungen und Parkinson ist inzwischen nachgewiesen. In Italien und Frankreich ist Parkinson als Folge von Pestizid-Exposition bereits als Berufskrankheit anerkannt. Ich frage, wer ist da der Bauernfeind.“ Wiener hat trotz aller Widerstände inzwischen einen kleinen Zwischenerfolg verbucht. Der Landwirtschaftsausschuss hat seine Blockade aufgegeben. Über den Verordnungsentwurf kann daher im Oktober dieses Jahres im Plenum des EU-Parlaments abgestimmt werden. Danach liegt es der Ball beim Rat der Landwirtschaftsminister.
„In Italien und Frankreich ist Parkinson als Folge von Pestizid-Exposition bereits als Berufskrankheit anerkannt. Ich frage, wer ist da der Bauernfeind.“
SARAH WIENER
EU-Abgeordnete
Fotos: ÖVP, Global 2000, Uni Graz, istock, Laurence Chaperon