Ist die Welt der Grazer Beisl endgültig untergegangen? Keine Sorge, es gibt sie noch, die Adressen der Gasthauskultur, der Originale und der Stammtische. Eine Tour in die Vergangenheit, die an Aktualität nichts verloren hat und der Versuch einer Vorstellung. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
Das Klischee, der Blues sei vor allem eine traurige Musik, hängt ihm bis heute nach. Tatsächlich ist die Mehrzahl aller Bluesstücke jedoch eher beschwingt. Das Wort Beisl wurde indessen vom jiddischen „bajis“ abgeleitet, das als Haus und Gastwirtschaft vielfach eine anrüchige Nebenbedeutung hatte. Beschwingte Anrüchigkeit ist eine Geschichte wert. „Leider haben im letzten Vierteljahrhundert viele Beisl ihre Tore für immer geschlossen. Daher ist auch die klassische Beisltour durch Graz kaum mehr möglich“, resümieren Karl Kaser und Michaela Wolf in ihrem Buch „Grazer Beisl-Welten“ aus dem Jahre 1996. Und wohl wahr, bei der Lektüre knapp 30 Jahre später ist das schummrige Beisllicht auf vielen der im Buch angeführten 40 Adressen erloschen. Aber sie scheinen vereinzelt noch auf, als Veteranen fernab von Anrüchigkeit, dafür mit einem hohen Grad an geselligem Stammpublikum inmitten einfacher Einrichtung und vor allem als „ein wichtiger Ort der Unterhaltung zwischen den Gästen auf der einen und mit dem Wirt oder der Wirtin auf der anderen Seite“, wissen die „Grazer Beisl-Welten“ um den zwischenmenschlichen Nimbus des Beisl. So bezeichnete Peter Reinprecht in oben genanntem Buch seine Gäste als „Traumpublikum“ und das ist heute nicht anders. Im Jahre 1987 übernahm er das „Café Uhu“ in der Leonhardstraße und bewirtet mit seiner Gitti an fünf Tagen in der Woche ein umfangreiches Stammklientel. „Es sind die unterschiedlichsten Runden. Einmal kommen Ärzte, dann wieder Sportler vom Volleyball, Tischtennis oder Eishockey. Dann gibt es noch die Studenten von der nahegelegenen Musikhochschule, Künstler und auch von der Rettung haben wir treue Gäste. Am Freitag ist Ripperl-Tag. Im Grunde genommen mischt sich Alt und Jung. Jeder Gast kennt irgendwen“, erklärt Reinprecht, bevor er vom Tresen in die Küche geht, um die Vorbereitungen für den Abend zu treffen. Neben den Ripperln sind seine Pizzen ebenso legendär wie die Fußball-Übertragungen und die Jukebox. „Wenn die nicht mehr in Betrieb wäre, würden mich die Gäste lynchen“, scherzt der gelernte Bäcker. Diese begleitet unter anderem auch den einzigen „Cola-Rot“-Club Österreichs, der sich ebenso regelmäßig im seit 1959 bestehenden „Café Uhu“ einfindet.

Im „Café Uhu“ von
Peter und Gitti
Reinprecht mischt sich Alt und Jung: „Jeder Gast kennt irgendwen.“

Wer die mit dem Beisl verbundene Grätzl-Kultur sucht, findet sie immer seltener. Diesen Eindruck teilt auch Alice Weingrill, die seit 2014 das gleichnamige Café in der Nibelungengasse gegenüber der Herz-Jesu-Kirche führt: „Mit dem Lockdown und der Pandemie ist viel verloren gegangen. Zahlreiche Wirte, die das Viertel über Jahre geprägt haben, sind nicht mehr da.“ Der Name Weingrill ist mit dem Viertel seit Jahrzehnten verbunden. Ihre Mutter eröffnete das Lokal 1970, kochte zu Beginn noch Menüs aus. Neben Handballern frequentierten Protagonisten der Grazer Fußballwelt wie Bozo Bakota, Refik Muftic, Ivica Vastic, Otto Baric oder Ivica Osim „das Weingrill“ regelmäßig. Sportlich agieren heute im „Café Weingrill“ zahlreiche Kartenspieler, die von der Ragnitz, St. Peter oder dem Münzgrabengürtel kommen. Als noch die Druckerei Wall in unmittelbarer Nähe werkte, gesellten sich zu den Kartenspielern und Fußballern noch die Arbeiter, die sich nach ihrer Schicht eine Flasche Bier und ein „Rum-Puppi“ genehmigten. Damals wie heute ist für Alice Weingrill das persönliche Gespräch ein unverzichtbarer Begleiter an der Schank: „Der Schmäh muss rennen, aber als Wirt ist man auch Seelsorger, der den Gast aus der Agonie holt. Der gesellschaftliche Status oder das Einkommen ist dabei vollkommen egal. In einem Beisl gibt es keine sozialen Unterschiede. Es geht darum, den Menschen ein Gefühl zu geben.“ Im „Café Weingrill“ ist diese Symbiose immer aufgegangen. Da tranken die Schichtarbeiter aus der Druckerei neben Literaten wie Wolfgang Bauer und Herwig von Kreutzbruck. Und es funktioniert auch noch heute.

„Der gesellschaftliche Status oder das Einkommen ist dabei vollkommen egal. In einem Beisl gibt es keine sozialen Unterschiede. Es geht da rum, den Menschen ein Gefühl zu geben“, ist Alice Weingrill nicht nur Betreiberin des gleichnamigen Lokals, sondern auch Seelsorgerin.

Der umtriebige Grazer Schriftsteller Wolfgang Bauer stärkte sich nicht nur im Herz-Jesu-Viertel, sondern kehrte auch in der Franziskanergasse regelmäßig ein. Dort, im „Stamperl zum Murstüberl“ wurde der Wein aus Gamlitz im Doppelliter gereicht. Selbiges geschieht auch heute noch. „Der Wein wird nach wie vor im Doppelliter abgefüllt“, haben sich Ruth Bischof und Reinhard Lackner der Beisl-Tradition gekonnt verpflichtet. Immerhin gibt es das „Stamperl“ ja auch schon seit 1970. Als die Institution zu übernehmen war, hat das Paar nicht lange gezögert: „Von der Zusage bis zur Übernahme sind gerade einmal drei Wochen vergangen. Es war von Anfang an eine emotionale Entscheidung“, sind die evangelische Religionslehrerin und der Grazer Gastronom Feuer und Flame für ihr Beisl. Aufgewachsen im Ennstal brachte Ruth Bischof auch den mediterranen Kräuterschnaps ihrer italienischen Urgroßmutter mit ins Franziskanerviertel. Dieser gesellt sich zum von ihr selbst gemachten Kalmus, der Spezialität des Hauses, der mit acht Kräutern angesetzt wird und laut „Grazer Beisl-Welten“ seine eigentliche Bestimmung, die „Bekämpfung von Magenkrankheiten“ seit Jahrzehnten sehr ernst nimmt. Die urige Einrichtung des „Murstüberl zum Stamperl“ setzt sich in der Verpflegung bodenständig fort: Mit Kaffeelikör, Ennstaler Käse, Schnaps von der Jostabeere, Verhackert und Bauernbrot wird das bunte Stammklientel verköstigt. „Da kommt der Opa mit seinem Enkerl vorbei und der Landespolitiker und der Straßenbahnfahrer. Unser ältester Gast ist 94 Jahre alt und das Nebeneinander funktioniert mit dem jungen Publikum, das wir uns im letzten Jahr aufgebaut haben. Für uns ist wichtig, dass die Gäste bei uns eine feine Zeit verbringen, sich ohne Streit und Anfeindungen austauschen und miteinander diskutieren“, schafft Reinhard Lackner gemeinsam mit seiner Ruth, den Kellnerinnen Jessica und Barbara, die seit 38 Jahren mittlerweile schon zum Inventar gehört, im „Stamperl“ eine harmonische und ob der Jukebox auch eine stimmungsvolle Atmosphäre.
Für eine harmonische wie stimmungsvolle Atmosphäre im „Stamperl zum Murstüberl“ sorgen Jessica Stoff, die Jukebox, Ruth Bischof und Reinhard Lackner (v.l.)


„Für mich ist ein Beisl
die schönste Form
der Gastronomie.“
KARL PICHLMAIER
an der Theke seines Wirtshauses
in der Burggasse.
Karl Pichlmaier stand schon in vielen Küchen hinter dem Herd. „Für mich ist ein Beisl die schönste Form der Gastronomie, weil du dich als Koch gastronomisch wie auch kulinarisch zwischen Restaurant und Gasthaus bewegen kannst.“ Von seiner Feststellung legt der Beisl-Zwick in Pichlmaier’s Wirtshaus, der vormaligen Ferl’s Weinstube in der Burggasse unweit der Oper, Zeugnis ab. Klassiker wie Gulasch, Beuschl, Zwiebelrostbraten, kräftige Rindssuppe, Beef Tatare, Innereien und Leber in jeglicher Art wurden von Pichlmaier teilweise neu interpretiert. Seit der Übernahme vor zehn Jahren werden sie von Ines Liplin vorbei an der nostalgischen Getränkevitrine und Holztheke an die Tische gebracht. „Das Wirtshaus gibt es seit 1954 und ist heute eigentlich das letzte richtige Beisl in der Innenstadt. Da sitzt der Notar neben dem Maler und bestellt ein Glas Bier oder sein Achterl Wein. Es sind aber auch die jugendlichen Stammtische, die Wert auf Hausmannskost legen“, weiß Gastgeber Dirk Jubke ob den Kundenwünschen zwischen Landwein und smaragdgrünen Riesling. Die Gäste seien froh, dass es in der Stadt noch so etwas wie eine Beisl-Kultur gibt. Als Exot sieht Karl Pichlmaier sein Wirtshaus dennoch nicht: „Ein Beisl ist einfach ein lässiges Lokal. Und das Urige hat seine absolute Berechtigung.“
Fotos: Benjamin Gasser