Grazetta

Die Renaissance der Sommerfrische

Am Seeufer ein Buch lesen oder auf der Alm ein Glas Buttermilch trinken, die Sommerfrische erlebt nicht erst seit der Pandemie ein Comeback.

Die Bettenburg auf Mallorca, der All-Inclusive-Urlaub auf den Malediven, der organisierte Massentourismus hat seinen Charme eingebüßt. Aber daran sind nicht nur die Corona-Einschränkungen Schuld. „Klein und persönlich, statt groß und laut, das ist heute gefragt“, sagt Erich Neuhold, Geschäftsführer des Steiermark-Tourismus. „Wir stellen schon seit ein paar Jahren fest, dass die Gäste nicht mehr das Abenteuer suchen, sondern die Entspannung.“ Das bestätigt auch Pamela Binder, Geschäftsführerin des Ausseerland-Tourismus. „Die Gäste sehnen sich nach einer intensiven Auszeit mit der Familie“, sagt sie. „Hatten wir früher vor allem ältere Gäste, so kommen heute auch immer mehr junge Familien. Man erinnert sich an die Urlaube in der Kindheit und möchte den eigenen Kindern dieses Erlebnis bieten.“

Sommerfrische, diese Form der Auszeit hat in Österreich eine große Tradition. „Sie ist eine österreichische Institution“, schreibt Brigitta Schmidt-Lauber, Vorständin des Instituts für europäische Ethnologie in Wien.  „Sie hat in Österreich eine ganz besondere Verankerung und prägt den Jahresrhythmus des Landes spür- und fühlbar.“

Tatsächlich reichen die Anfänge dieser Form der Urlaubsgestaltung weit zurück in die Anfänge des 19. Jahrhunderts. Waren es anfangs vor allem adelige Familien, die aus der drückenden Schwüle der Stadt aufs Land flüchteten, so kamen bald gut situierte bürgerliche Familien hinzu, die den Sommer nicht in der Stadt verbringen wollten. Spätestens zu Pfingsten begann man in diesen Haushalten mit der Vorbereitung. Alles, was zum Lebensstil des gehobenen Bürgertums gehörte, vom Silberbesteck bis zum Piano, wurde in Kisten gepackt und mitgenommen. Einer breiteren Schicht möglich gemacht, wurde der saisonale Umzug mit dem Bau der Eisenbahn. Erst die letzte Etappe musste mit Fuhrwerken und Kutschen zurückgelegt werden. Von Pfingsten bis Anfang September hatte man es sich in den Bergen, am See oder in Kurbädern gemütlich gemacht. Sehr oft waren die Väter der Familien nur über das Wochenende zu Gast bei den Sommerfrischlern, wie Arthur Schnitzler in seiner Tragikomödie „Das weite Land“ beschreibt.

Familien auf Sommerfrische: Mitgenommen wurde sogar das Piano.

Sehr oft kehrten die Familien im Sommer an denselben Ort zurück. Man mietete sich in ein Haus ein, die Eigentümer zogen für ein paar Monate ins Auszughäuschen. Die Gäste packten ihren Haushalt aus, bewunderten die Landschaft und die Gebräuche und Sitten der Einheimischen. Im Sommer immer wieder an denselben Ort zurückzukehren, das ist ein konstitutives Element der Sommerfrische. Man sucht also die Erholung an einem Ort, der zugleich anders, aber dennoch vertraut ist. Und man tut dies möglichst mit anderen Familien gemeinsam, mit denen man auch in der Stadt ein reges soziales Leben führte. „Wer ist dieses Jahr da?“, diese Frage der Sommerfrischler war bei der Ankunft üblich. Galt es doch, das gesellschaftliche Leben, die Einladungen zum Nachmittagstee, die Bridgepartien und die Abendgesellschaften, auch im Sommer zu pflegen. Es war die Aufgabe der mitübersiedelten Dienstboten, den Lebensstandard der Sommerfrischler aufrechtzuerhalten, auch dann, wenn die Familie im Bauerhaus wohnte.

Die „Herrschaft“, wie die Sommergäste von den Einheimischen genannt wurden, interessierte sich aber auch für das Leben ihrer Quartiergeber. Dokumente aus der Zeit belegen die Idealisierung der Landbevölkerung. Der schneidige Jäger und die schöne Sennerin sind beliebte Sujets der Zeit. Gerade im Ausseer Land hätten die Einheimischen sich aber nie an ihre Gäste angebiedert, sagt Hans Michael Roithner. Er hat im Auftrag des Kammerhofmuseums die Geschichte der Sommerfrische in der Region dokumentiert. Die überlieferte Aufforderung einer Sennerin an Erzherzog Johann: „Hiaz setz di amoal hin, i muaß zum Vieh“, werde dafür immer wieder als Beleg herangezogen. Vielleicht war es sogar dieses gesunde Selbstbewusstsein der Ausseer, das die Region für Intellektuelle wie Friedrich Torberg und Arthur Schnitzler so attraktiv gemacht hat, sagt Roithner. „Die Standesunterschiede haben sich jedenfalls verwischt“, sagt er.

Constantinquelle Bad Gleichenberg: Vom Kurgast zum Stammgast hat im Vulkanland Tradition.

Gerade diese unaufdringliche Gastfreundschaft ist auch heute ein wichtiger Grund, warum die Sommerfrische wieder an Bedeutung gewinnt. „In der Steiermark werden Beziehungen zwischen Gästen und Einheimischen oft über Generationen hinweg gepflegt“, sagt Thomas Gußmagg vom Tourismusverband Bad Gleichenberg. „Ich kenne viele Beispiele, wo Gäste und Wirtsleute gemeinsam sogar die Feiertage verbringen und die Geburtstage feiern.“

Steiermark-Tourismus-Geschäftsführer Erich Neuhold: „Klein und persönlich, statt groß und laut, das ist heute gefragt.“

Wie vor hundert Jahren auch, nimmt man sich heute wieder mehr Zeit für die Entschleunigung. „Die Aufenthaltsdauer unserer Gäste steigt“, bestätigen steirische Touristiker einhellig. Aber nicht nur das. Besonders ausgeprägt ist auch das Interesse an lokalen Produkten. „Unsere Gäste legen großen Wert auf regionale Produkte“, sagt Pamela Binder. „Und sie wollen Beziehungen zur einheimischen Bevölkerung aufbauen.“ Fachleute bezeichnen diesen Wunsch als Resonanztourismus, als Sehnsucht, kein anonymer Konsument eines standardisierten Touristik-Angebots zu sein, sondern als Gast gesehen zu werden, der sich für Land und Leute interessiert. „Dieser Trend hat natürlich mit dem Gebot unserer Zeit zu tun, möglichst nachhaltig zu leben“, sagt Binder. Aber auch mit dem Wunsch, den Urlaub nicht mit Konsum, sondern durch Erlebnisse zu bereichern. „Auf einer einfachen Berghütte zu übernachten, das galt vor ein paar Jahren noch nicht als schick“, sagt Binder. „Jetzt sehen wir, dass gerade die einfachen Dinge, wie barfuß über eine Wiese zu gehen, wieder wichtig werden.“

Historische Plakate der Österreich-Werbung: Mit der Seele baumeln als Urlaubsvergnügen.

Das bestätigt auch Thomas Gußmagg vom Tourismusverband Region Bad Gleichenberg. „Der Gast hat wieder Gefallen an der Heimat gefunden“, sagt er. Oft käme man zuerst einmal als Kurgast in die Region, im nächsten Jahr kämen die Gäste dann mit der Familie. „Man sucht das Authentische und verbringt inzwischen den Haupturlaub bei uns.“ Das kulinarische Angebot spiele dabei eine große Rolle, sagt er. „Gerade junge Gäste legen großen Wert auf Qualität und auf Regionalität“, erklärt Gußmagg. „Das eröffnet lokalen Herstellern neue Absatzmärkte und belebt die Region.“ Er verweist auf den Vulkanland-Markt, der bei Gästen und Einheimischen gleichermaßen beliebt ist. „Auf dem Markt kommt es zu vielen Begegnungen, von denen beide Seiten profitieren“, sagt er.

Das Revival der Sommerfrische könnte tatsächlich ein Umsteuern zu einem sanfteren und ökologisch verträglicheren Tourismus fördern. Ohne Gefahren ist der Trend dennoch nicht. Darauf verweist jedenfalls der Historiker Hans Michael Roithner. „Wir haben in Aussee schon Angst davor, dass Investoren ein Chalet-Dorf nach dem anderen bauen wollen“, sagt er. „Gerade weil man mit einem Urlaub auf den Malediven niemanden mehr imponieren kann, steigt die Nachfrage nach Feriendomizilen im eigenen Land“, sagt er. Wenn das Konzept der Sommerfrische nachhaltig funktionieren soll, dann müsse man dem „Betongold“ Einhalt gebieten. „Bei uns haben viele Angst davor, zu einem zweiten Hallstatt zu werden“, sagt Roithner. Zu einem Ferien-Disneyland, das seine Ursprünglichkeit und seine unberührte Natur verloren hat. Aber genau danach sehnen sich die Kunden heute. Man wird also eine Balance finden müssen.

Schwimmen im See: Der Hitze und Hektik der Stadt entfliehen war lange Zeit das Privileg des gehobenen Bürgertums.

Fotocredit: Steiermark Tourismus, E. Groeger / Kaernten Werbung, Österreich Werbung, Fotoarchiv Peter Grill, KK

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