Grazetta

Arbeiten mit & am Menschen

Die Althea Pflegebetriebs GmbH hat in Frauental und Rothenthurm gerade zwei Seniorenhäuser eröffnet. Im Grazetta-Interview sprechen die beiden Geschäftsführer Karl Pendl und Waltraud Gössler über die Herausforderungen der Pflege und warum in der Altenpflege von einem Notstand keine Rede ist.
Karl Pendl und Waltraud Gössler:
„Viele junge Menschen haben ein
völlig falsches Bild vom Pflegeberuf.“

GRAZETTA Althea bedeutet die Heilerin. Was sagt dieser Name über Ihre Unternehmensphilosophie aus?
KARL PENDL Für uns steht das Wohlbefinden der Bewohner im Vordergrund. Das soll dieser Name ausdrücken. Wir dürfen nie vergessen, dass unsere Einrichtungen das letzte Zuhause der Bewohner sind.

Ihr Unternehmen hat gerade zwei Pflegeeinrichtungen eröffnet. Was ist das Besondere an Ihren Häusern?
KP In Frauenthal haben wir im März ein Haus mit 150 Betten eröffnet, im April eines in Rothenthurm mit 100 Betten. Unsere Häuser entsprechen dem letzten Stand der Pflegewissenschaft und der Nachhaltigkeit. 80% unserer Zimmer sind Einzelzimmer, 20% Zweibett-Zimmer. Mein Partner Hermann Harg und ich wollten ein rein  steirisches, privates Pflegeunternehmen. Mittelfristig wollen wir insgesamt 500 Betten anbieten. Derzeit errichten wir gerade ein weiteres Haus in Preßguts, zwei weitere Häuser sind in der Pipeline. Wir würden  aber auch bestehende Einrichtungen übernehmen, wenn sich die Möglichkeit dazu bietet. Ich hätte gerne etwas in der Stadt Graz. Ich denke da an kleinere Häuser mit 60 Betten, die als Familienbetrieb geführt werden. Wenn es keine Nachfolge gibt,  könnten wir da einspringen.

Wenn Sie von Häusern auf dem letzten  Stand der Pflegewissenschaft sprechen, was  muss man sich darunter vorstellen?
WALTRAUD GÖSSLER Was unsere beiden Einrichtungen so besonders macht, ist, dass ich meine langjährige Erfahrung in der Pflege von Anfang an in die Planung einbringen konnte. In Karl Pendl habe ich einen Partner in der Geschäftsführung, der diesen hohen Qualitätsanspruch mitträgt, auch wenn das zu höheren Kosten führt.

Die öffentliche Debatte kreist heute eigentlich nur noch um einen einzigen Begriff, um den sogenannten Pflegenotstand.
KP Viele junge Menschen haben ein völlig falsches Bild vom Pflegeberuf. Sie glauben, sie müssen den ganzen Tag Bewohner waschen und pflegen. In Wirklichkeit ist das nur ein Teil ihrer Arbeit. Der andere Teil ist, Zeit mit den Bewohnern zu verbringen. Pflege ist ein wunderschöner Beruf, mit dem man der Generation unserer Eltern und Großeltern etwas zurückgeben kann.

In der Debatte über die Pflege wird kein Unterschied gemacht zwischen der Pflege im Seniorenheim und der Pflege im Krankenhaus.
KP Das ist ein Teil des Problems. Die beiden Arbeitswelten sind nicht miteinander vergleichbar. Im Krankenhaus baut die Pflegekraft kaum eine Beziehung zu den Patienten auf, dafür ist die Verweildauer ja auch viel zu kurz. Im Pflegeheim ist das ganz anders. Da gibt es Beziehungen  zwischen Bewohnern und Mitarbeitern, die man mit familiären Beziehungen vergleichen kann, und die auch für die Mitarbeiter sehr befriedigend sein können. Es bräuchte dringend eine Imagekampagne für den Pflegeberuf, die gerade diesen Aspekt des Berufs in den Vordergrund stellt. 

Dennoch wird die Debatte beherrscht von  Klagen über schlechte Bezahlung und schwere Arbeitsbedingungen.
KP Dem Argument, dass dieser Beruf schlecht bezahlt ist, widerspreche ich vehement. Eine gute Pflegekraft wird angemessen bezahlt. Und was die Arbeitsbedingungen betrifft: Das ist Sache eines guten Führungsteams vor Ort.

Was macht eine gute Führung aus?
WG Der entscheidende Begriff ist Achtsamkeit: Man muss darauf achten, was Mitarbeiter brauchen.
KP Genau. Nehmen wir das Beispiel der Dienstpläne. Die müssen so gestaltet werden, dass die Mitarbeiter nach einem anstrengenden Nachtdienst eine entsprechende Erholungszeit haben, dass sie freie Wochenenden haben und genug Zeit für die körperliche und geistige Regeneration. Dafür zu sorgen und die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen, das ist Aufgabe der Geschäftsführung und der Führungskräfte.
WG Über diese Rahmenbedingungen haben wir uns viele Gedanken gemacht. Deshalb gibt es für beide Häuser eine räumlich getrennte Mitarbeiterwohnung. Diese Trennung war uns wichtig, damit die Mitarbeiter Abstand von ihrer Arbeit nehmen können. Wer also am Nachmittag eine  längere Pause hat, der kann in die Wohnung  gehen und sich dort ein paar Stunden ausruhen. Man kann aber auch dort übernachten, wenn man am Abend zu müde ist, um nach Hause zu fahren.

Es gibt einen großen Mangel an Pflegekräften. Hatten Sie Probleme, Mitarbeiter zu finden?
WG Dafür, dass wir erst seit ein paar Monaten in Betrieb sind, geht es uns, was das Personal betrifft, sehr gut. Das liegt auch daran, dass ich mir Führungskräfte geholt habe, von denen ich wusste, dass sie an anderen Standorten außerordentlich gute Arbeit auch beim Personalmanagement geleistet haben. In vielen Fällen sind Mitarbeiter diesen Führungskräften gefolgt.

Sagen Sie damit, dass sich gute Pflegekräfte  genau anschauen, in welchem Heim sie arbeiten wollen?
WG Die Mundpropaganda spielt eine große Rolle. Mir ist wichtig, nichts zu versprechen, was wir nicht halten können. Aber wir zeigen mit kleinen Aufmerksamkeiten unsere Wertschätzung für Mitarbeiter: Sie bekommen zum Beispiel einen zusätzlichen Urlaubstag an ihrem Geburtstag. Das kostet ja nicht viel.
KP Na ja, kosten tut das schon etwas (lacht)

Pflege ist ein wunderschöner
Beruf, mit dem man der
Generation unserer Eltern
und Großeltern etwas
zurückgeben kann.

KARL PENDL
Geschäftsführer Althea

WG Wir gehen aber auch in die Ausbildungsstätten für Pflegekräfte und präsentieren uns dort als Partner für die Praxisausbildung. Mit ein wenig Glück bleiben die Auszubildenden nach ihrem Abschluss bei  uns. Zusätzlich kooperieren wir mit dem AMS und der ZAM-Stiftung, die Aus- und Weiterbildungen für Frauen organisiert. An unserem ersten sogenannten Heimhilfen-Casting in Frauental haben sich fünf Frauen beteiligt, alle fünf arbeiten jetzt bei uns in Frauental. Worauf es ankommt, ist einen Spirit zu entfachen: dass es nichts Schöneres gibt, als am und mit Menschen zu arbeiten.

Bis 2030 brauchen wir in Österreich zusätzlich mindestens 75.000 zusätzliche Pflegekräfte. Ist das denn überhaupt zu schaffen?
WG Wir müssen aufhören, das Image der Pflege so negativ darzustellen. Ich leugne nicht, dass die Personalsituation prekär ist. Wir befinden uns im demografischen Wandel. Wir müssen die Rahmenbedingungen so gestalten, dass die, die in diesem Beruf arbeiten, auch in diesem Beruf bleiben. Wir brauchen aber auch kreative Konzepte für die Ausbildung. Die Pflegeausbildung wurde akademisiert, das ist ja nicht schlecht. Aber nicht für jede Arbeit im Pflegeheim braucht es diplomiertes, akademisch ausgebildetes Personal.
KP Das ist ein entscheidender Punkt. In einem Pflegeheim geht es nicht nur um Pflege, sondern auch um Betreuung. Für die Pflege eines Bewohners mit Pflegestufe vier braucht man keine große medizinische Ausbildung. Soziale Kompetenz, Empathie und kommunikative Fähigkeiten sind viel wichtiger.
WG Für diese Betreuung gibt es den Beruf des Fachsozialbetreuers. Diese Fachkräfte sind auf Aktivierung, auf Biografie-Arbeit und auf die Betreuung der Angehörigen spezialisiert. Gerade in der Arbeit mit dementiellen Bewohnern braucht man diesen ganzheitlichen Zugang. Da geht sehr viel über Emotion. Und deshalb bin ich froh, dass diese Berufsgruppe im Personalschlüssel mit fünf Prozent berücksichtigt wurde.

Das heißt, der Gesetzgeber schreibt bis ins Detail vor, wie viele und welche Mitarbeiter Sie haben müssen?
KP Der Personalschlüssel funktioniert so: Aus der Anzahl der Bewohner und ihrer Pflegestufen ergibt sich der Personalbedarf. Dieser Schlüssel wird bei jeder Veränderung neu ermittelt. Wenn ich insgesamt 50 Mitarbeiter brauche, dann müssen 20% diplomiert sein, fünf Prozent müssen die Ausbildung zum Pflegefachassistenten oder Fachsozialbetreuer haben, 15% des Personals fallen unten den Begriff Sonstige, wie zum Beispiel Heimhilfen. Der Rest,  also 60% sind Pflegeassistenten. Diesen Schlüssel darf man von oben nach unten überschreiten, aber nicht von unten nach oben: Ich darf also nicht 65% Pflegeassistenten haben und dafür nur 15% diplomiertes Personal.

Gesetzliche Vorgaben beim Personalschlüssel müssen dringend überarbeitet werden.

KARL PENDL  Geschäftsführer Althea

Wenn Sie also in einem neuen Heim fünf neue Bewohner mit der höchsten Pflegestufe bekommen, dann brauchen Sie von heute auf morgen entsprechend viele neue Mitarbeiter. Wie geht das?
KP Ja, dann brauche ich ca. 2,5 Mitarbeiter mehr. In einem bestehenden Pflegeheim gibt es eine natürliche Fluktuation: Bewohner versterben, neue ziehen ein. Damit ändert sich der Personalbedarf nicht so stark. Wenn man aber, wie wir, bei Null anfängt, dann muss man den Mitarbeiterstand für zwei Monate im Voraus planen. Dabei gehe ich von einer durchschnittlichen Pflegestufe von 4,5 aus und plane auf dieser Basis den Personalstand. Ich brauche aber in jedem  Fall einen gewissen Personalüberhang, damit ich keinen einzigen zukünftigen Bewohner ablehnen muss. Ich muss also in Vorleistung gehen und das bedeutet beim Hochfahren eines neuen Pflegeheims höhere Kosten. Wir können nicht vorhersehen, ob im nächsten Monat zehn oder 20 neue Bewohner einziehen werden. Wir schauen alle 14 Tage, wo wir stehen.
WG Man muss aber dazu sagen, dass der gesetzliche Pflegeschlüssel eine Mindestanforderung ist, die man natürlich überschreiten kann. Aber nachdem Personal teuer ist, wird man danach streben, den Personalüberhang möglichst gering zu halten.
KP Das Problem mit dem Personalschlüssel ist, dass er auf reinem Köpfe-Zählen beruht und keine Qualitätskriterien enthält. Es macht aber in der Praxis einen großen Unterschied, ob ich vier ausgezeichnete diplomierte Pflegekräfte habe oder vier weniger gute. Für den Personalschlüssel ist es egal, für die Realität in einem Pflegeheim nicht. Ich würde mir wünschen, dass die Politik  sich damit auseinandersetzt und Qualitätskriterien in den Pflegeschlüssel einbezieht. Denn wenn ich vier ausgezeichnete Kräfte habe, dann brauche ich keine fünfte.
WG Das stimmt, vor allem hätte ich dann genug Zeit, mir in aller Ruhe eine fünfte Mitarbeiterin zu suchen.

Kann man die Qualität von Mitarbeitern  im Rahmen einer Inspektion beurteilen?
WG Natürlich. Die Qualität der Pflege wird bei den routinemäßigen Überprüfungen in den Häusern kontrolliert und  protokolliert. Aber diese Beurteilungen fließen nicht in den Personalschlüssel ein. Ich finde es gut, dass es diese Personalausstattungsverordnung gibt, aber sie müsste flexibler sein. Gerade in der Aufbauphase eines Unternehmens wäre ein gewisser  Handlungsspielraum wichtig. Wenn der Pflegealltag gut läuft, keine Mitarbeiter im Krankenstand und alle ausreichend motiviert sind, warum sollte man jemanden ablehnen müssen, wenn dieser den Pflegeplatz dringend braucht.
KP Für uns ist das ein großes Thema. Es wäre schon sehr hilfreich, wenn es erlaubt wäre, den Personalschlüssel um 0,5 Köpfe zu unterschreiten, wenn die Qualität stimmt.

Wir brauchen kreative Konzepte
für die Ausbildung von Pflegekräften.

WALTRAUD GÖSSLER
Althea-Geschäftsführerin und
Pflegedirektorin

In beiden Häusern bieten Sie spezielle Betreuung für Menschen mit Demenz an. Warum haben Sie sich für diesen Schwerpunkt entschieden?
WG Weil die Menschen immer älter werden, steigt auch der Anteil der Menschen mit dementiellen Erkrankungen. Ich habe im Laufe meiner Pflegetätigkeit viel mit dementen Menschen gearbeitet. Ich habe diese Arbeit immer als etwas ganz Besonderes erlebt. Man muss sich als Pflegeperson gegenüber dementen Menschen öffnen, weil in dieser Beziehung die Emotion eine ganz entscheidende Rolle spielt. Man braucht aber auch die richtigen Rahmenbedingungen und baulichen Maßnahmen. Zur Sicherheit unserer Bewohner mit Demenz gibt es in unseren Seniorenhäusern ein spezielles Desorientierungssystem. Wir haben auch einen speziellen Demenzgarten angelegt, in dem es eine sogenannte „Bushaltestelle“ gibt. Wenn Demenzkranke den Drang haben, mit dem Bus zur Arbeit zu fahren, wie sie das ihr ganzes Leben getan haben, dann können sie im Garten auf den Bus warten. Der Personalstützpunkt ist so gebaut, dass das Personal frei auf den Demenzgarten sehen kann. Nach einer gewissen Zeit wird man den alten Herrn oder die alte Dame abholen. In den Schuhen dementer Personen zu gehen, das ist das Wesen der Demenzarbeit.

Althea-Seniorenhaus Frauental

Welche baulichen Maßnahmen braucht man für demente Menschen?
WG Ein Beispiel sind die sogenannten Rundwege. Manche Demenzpatienten haben einen sehr starken Bewegungsdrang. Wenn aber Wege in einem Heim enden, dann wissen diese Menschen  nicht mehr weiter. Eine weitere Maßnahme ist der gezielte Einsatz von Farben an Wänden, Decken und Fußböden. In unseren Häusern haben die geriatrischen Abteilungen ein anderes Farbkonzept als der Demenzbereich. Den Übergang haben wir mit einem breiten schwarzen  Streifen im Fußboden gekennzeichnet. Meine Pflegedienstleiterin in Frauental erzählt mir, dass die Bewohner häufig von selbst am Streifen umdrehen, weil sie wissen, dass sie ihren Bereich verlassen.  

Fotos: Conny Leitgeb, Althea

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