Grazetta

Ein erster Schritt

Mit einer Mrd. Euro zusätzlich will die Bundesregierung die massiven Probleme in der Pflege lindern. Experten glauben, dass noch viele weitere Maßnahmen folgen müssen.

Immerhin: Es gibt mehr Geld für die Pflege im Krankenhaus und in den Seniorenheimen. Eine Mrd. hat Gesundheitsminister Johannes Rauch in Aussicht gestellt. Geld, das den Bediensteten zugutekommt, aber auch all jenen, die sich für eine Ausbildung in diesem Mangelberuf entscheiden.

Dementsprechend positiv haben die Hilfsorganisationen die Reform beurteilt: „Ein wichtiger Schritt scheint  gelungen zu sein“, sagt etwa Ewald Salcher, Präsident der Volkshilfe Österreich. „Er wird einen Beitrag zu Entspannung leisten.“ Othmar Karas, Präsident des Hilfswerks Österreich äußert sich ähnlich: „Was das Finanzvolumen angeht, wird endlich in den richtigen Dimensionen gedacht.“ Für die Präsidentin des ÖVP-Seniorenbundes, Ingrid Korosec, wurde mit dem Regierungspaket „eine umfassende Pflegereform gestartet, die auch eine nachhaltige Finanzierung und den Ausbau der mobilen Dienste miteinschließen wird.“  Soweit die Vorschusslorbeeren für Gesundheits- und Sozialminister Johannes Rauch. Immerhin ist es dem  Vorarlberger gelungen, mehr auf den Weg zu bringen, als bloße Ankündigungen. Denn wer sich die Mühe nimmt, einen Blick ins Archiv zu werfen, der stellt fest, dass die „größte Pflegereform der jüngeren Geschichte“ schon seit mehr als 15 Jahren angekündigt wird. Dass  sich die Bundesregierung in verschiedensten parteipolitischen Zusammensetzungen so lange davor geziert hat, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, hat mehrere  Gründe. Einer der Hauptgründe ist der Kompetenz-Dschungel in diesem Bereich: Bund, Länder, Städte und  Gemeinden teilen sich die Zuständigkeiten, in jedem Bundesland gelten andere Standards und Regeln. Was  aus dem Thema Pflege eine Art Gordischen Knoten macht. Johannes Rauch hat mit Unterstützung des Regierungspartners ÖVP den Knoten zwar nicht mit einem Schwerthieb durchtrennt, aber er hat zumindest dafür gesorgt, dass der seit Jahren vernachlässigte  Sektor endlich das Gefühl bekam, ernstgenommen zu werden.

Ausbildung
Glaubt man verschiedenen Bedarfsberechnungen, so wird man in acht Jahren zwischen 75.000 und 100.000 zusätzliche Pflegekräfte brauchen. Grund für die starke Zunahme ist der demografische Wandel, also der steigende Anteil älterer, pflegebedürftiger Personen an der Gesamtbevölkerung. Ein Drittel der Pflegekräfte ist zudem über 50 Jahre alt und wird 2030 in Pension gehen. Eine Maßnahme gegen den Personalmangel ist die finanzielle Unterstützung der Auszubildenden. Wer seine erste Ausbildung in einem Pflegeberuf macht, erhält einen Zuschuss von mindestens 600 Euro pro Monat. Für Quereinsteiger, die aus einem anderen Beruf in die Pflege wechseln, aber auch für Wiedereinsteiger gibt es während einer vom AMS geförderten Ausbildung ein sogenanntes Pflegestipendium von mindestens 1.400 Euro pro Monat.

Genau an diesem Punkt gibt es allerdings Unklarheiten, wie Alexander Gratzer, Leiter der Abteilung Gesundheit, Pflege und Betreuung in der Arbeiterkammer Steiermark, feststellt: „Das Stipendium ist nur für Schüler der Krankenpflegeschulen vorgesehen. Was ist mit Studierenden, die an der Fachhochschule eine Ausbildung mit akademischem Abschluss für den gehobenen Dienst machen? Da braucht es dringend eine Lösung.“ In einem Modellversuch soll in ganz Österreich eine Pflegelehre eingeführt werden. Die Lehre wird zwischen drei und vier Jahre dauern und mit einem Abschluss als Pflegefachassistent oder Pflegeassistent enden. Das Abschlusszeugnis soll den Zugang zur FH-Ausbildung zum diplomierten Gesundheits- und Krankenpfleger ermöglichen.

Pflegekräfte wünschen sich vor allem
Dienstplansicherheit, damit ein freies Wochenende auch wirklich frei bleibt.

Dienstplansicherheit
Wie aber Kenner des Pflegewesens unisono betonen, geht es nicht nur um die Ausbildung und Qualifizierung neuer Kräfte, sondern auch darum, Beschäftigte in diesem Beruf zu halten. Denn vielen Beschäftigten sind die Belastungen durch Pandemie und gleichzeitiger Personalknappheit vor allem in den Spitälern zu viel geworden. Viele berichten immer wieder davon, dass es für sie keine Sicherheit bei den Arbeitszeiten gebe: „Wenn man sich auf ein freies Wochenende freut und dann kommt der Anruf, dass man wieder einmal einspringen muss, dann geht das auf Dauer schon an die Substanz, weil man diese Erholungszeiten einfach braucht“, sagt eine Krankenpflegerin, die lieber anonym bleiben möchte.

Als ersten Schritt soll es einmal mehr Geld geben. 520 Mio. Euro hat die Bundesregierung für einen monatlichen Gehaltsbonus zur Verfügung gestellt. Der Gehaltsbonus gilt vorerst einmal für zwei Jahre, bis andere Entlastungsmaßnahmen greifen. Wie hoch der Bonus tatsächlich ausfallen wird, da gehen die Schätzungen auseinander. Berechnungen gehen von 100 bis 200 Euro netto aus. Die Auszahlungsmodalitäten werden in Verhandlungen zwischen Ländern und Sozialpartnern festgelegt. Eindeutiger sind da schon die Maßnahmen, die nicht unmittelbar mit Geld zu tun haben. Mitarbeiter sollen ab ihrem 43. Geburtstag Anspruch auf eine zusätzliche Entlastungswoche haben. Beschäftigte in der stationären Langzeitpflege erhalten pro Nachtdienst künftig zwei Stunden Zeitguthaben. Zudem sollen Pflegeassistenten und Pflegefachassistenten mehr Kompetenzen bekommen, was den Arbeitsalltag erleichtern soll. Beide sollen in Zukunft Infusionen anschließen und Spritzen verabreichen dürfen. Keine Änderungen dürfte es vorläufig beim sogenannten Personalschlüssel geben, der Pflegeeinrichtungen genau vorschreibt, welche und wie viele Pflegekräfte in einer Einrichtung notwendig sind (siehe auch Titelinterview S. 8). Betreiber klagen darüber, dass beim Pflegeschlüssel nur Köpfe gezählt würden, die Qualität der Beschäftigten in den Schlüssel aber keinen Eingang finde.

Ausbildungsstipendien für Quereinsteiger: 1.400 Euro pro Monat sollen Umstieg finanzieren.

Klar ist, dass mit den Ankündigungen der Bundesregierung nur ein erster, längst überfälliger Schritt gesetzt wurde. Im Herbst sollen weitere gesetzt werden: Auf der Agenda: Die 24-Stunden-Betreuung, die Vereinheitlichung der Leistungen und Förderungen und der Personalschlüssel in der Pflege. „Ich werde nicht einfach Geld in die Bundesländer schaufeln, ohne sicherzustellen, dass das Geld dort ankommt, wo es hingehört“, zeigt sich Minister Rauch kämpferisch. Man kann sich also auf einen durchaus heißen Herbst gefasst machen.

Fotos: AdobeStock (Africa Studio, Rido, Andrey Popov)

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