Grazetta

Das Schicksalsjahr

Der ORF braucht ein neues Finanzierungsmodell, fordert der Verfassungsgerichtshof. Die zuständige Ministerin verlangt Einsparungen. Medienexperten plädieren für Modelle, die den ORF endlich vor dem Zugriff der Parteien schützen.

So ein Pech muss man einmal haben: Just in einer Zeit, in der sich die schwarz-grüne Bundesregierung auf ein neues Finanzierungsmodell für den öffentlich-rechtlichen Sender einigen muss, erschüttern Berichte über das Landesstudio Niederösterreich und seine hingebungsvolle Nähe zu Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner die Glaubwürdigkeit des ORF. Der Fall des NÖ-Landesdirektors Robert Ziegler wird den ORF „in seinen Grundfesten erschüttern“, sagte dazu Gerhard Draxler, der die Untersuchungskommission über die Zustände in St. Pölten leitet. Die harten Worte des ehemaligen Chefs der Landesstudios Kärnten und Steiermark dürften nicht übertrieben sein. Das zumindest legen Aussagen von ORF-Journalisten aus Niederösterreich nahe, aus denen der „Falter“ zitiert, wonach Ziegler seinen Mitarbeitern sogar die Anzahl der O-Töne der Landeshauptfrau vorgeschrieben hat.

Sollte die von Gerhard Draxler geleitete Kommission die Vorwürfe bestätigen, hat Ziegler das ORF-Gesetz verletzt, das in Artikel eins den Sender zu Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung verpflichtet. Aber nicht nur das: Nehmen die Bürger, also die eigentlichen Eigentümer des Senders, den ORF als Regierungsfunk wahr, verliert er trotz seiner Marktführerschaft bei Reichweite und Qualität seine Existenzberechtigung.

Medienökonom
Matthias Karmasin:

„Eine Haushaltsabgabe
wäre die vernünftigste
Lösung.“

Einflussnahme der Politik auf Verfasstheit und Personal des ORF ist nichts Neues. Die Geschichte des Küniglbergs ist eine Geschichte des Kampfes um seine Unabhängigkeit. Erinnert sei an das Rundfunkvolksbegehren 1964, das die Abschaffung  des rot-schwarzen Proporz durchgesetzt  und den Weg zum 1974 in Kraft getretenen ORF-Gesetz geebnet hat, mit dem aus dem ORF eine öffentlich-rechtliche Anstalt wurde. Was Politiker aller Couleurs aber nicht daran gehindert hat, rund um die Bestellung von Führungspositionen ihre parteitaktischen Manöver abzuhalten. Daran hat sich auch unter Schwarz-Grün nichts geändert: Die Grünen stimmten der Ernennung von Roland Weißmann als ORF-Generaldirektor zu und erhielten im  Gegensatz dazu den Vorsitz im Stiftungsrat, dem „Aufsichtsrat“ des ORF. Vereinbart haben die Koalitionsparteien dies in einem „Sideletter“. „Das ist eine klare Verletzung des Bundesverfassungsgesetzes über die  Unabhängigkeit des Rundfunks“, sagte dazu der Verfassungsjurist Heinz Mayer. Der Redakteursrat protestierte – wie immer – mit Nachdruck.

Dem Vertrauen des Publikums sind Vereinbarungen wie diese nicht zuträglich. Was umso schwerer wiegt, als zwei Drittel des ORF-Budgets aus den nicht gerade beliebten GIS-Gebühren stammen, die rund die Hälfte der Österreicher abschaffen möchte, wie eine vom Kurier veröffentlichte Umfrage erhob.

Publikumsrat
Johann Baumgartner:

„ORF als wichtiger Produzent
und Auftraggeber
für Kunst und Kultur.“

Der Verfassungsgerichtshof hat jetzt einer Klage des ORF recht gegeben, wonach die GIS-freie Nutzung von Streaming-Angeboten verfassungswidrig ist. Der Gesetzgeber muss also die Finanzierung des ORF bis Ende des Jahres 2023 neu regeln. Und dafür gibt es eigentlich nur zwei Möglichkeiten, wie Heinz Wasserman, Medienwissenschaft-ler an der FH Joanneum betont: „Entweder eine Finanzierung aus dem Budget oder eine Haushaltsabgabe nach deutschem Vorbild.“ Eine Budgetfinanzierung würde seiner Meinung nach den ORF aber zum Bittsteller machen: „Der Generaldirektor müsste dann vor dem Finanzminister Scheitelknien.“ Beispiele aus Griechenland, Spanien oder Dänemark, wo die Öffentlich-Rechtlichen ihr Geld vom Finanzminister bekommen, verheißen seiner Meinung nach nichts Gutes: „Man hat die Mittel immer wieder gekürzt und die Anstalten de facto umgebracht.“

Der Sideletter ist eine klare Verletzung des Bundesverfassungsgesetzes
über die Unabhängigkeit des Rundfunks.

HEINZ MAYER, Verfassungsjurist

Matthias Karmasin, Medienökonom der Universität Klagenfurt und Mitglied des Publikumsrats, plädiert für eine Absicherung der Finanzierung mit Verfassungsmehrheit: „Ob Finanzierung aus dem Budget oder mit einer Haushaltsabgabe, beide Varianten brauchen eine Absicherung mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Nationalrat, damit eine neue Regierung sie nicht so einfach abändern kann.“ Karmasin sieht in einer wertgesicherten Haushaltsabgabe aber einen wesentlichen Vorteil: „Sie macht deutlich, dass qualitativ hochwertiger Content dem Bürger auch etwas wert sein sollte. Sie wäre das vernünftigste Modell“ Auch die Öffentlich-Rechtlichen in Deutschland und in der Schweiz werden über Haushaltsabgaben finanziert. In Deutschland zahlt jeder Haushalt rund 18 Euro pro Monat, in der Schweiz 369 Euro pro Jahr. Eine Haushaltsabgabe hätte zudem den Vorteil, dass sie transparenter ist als die GIS. Denn diese Gebühr setzt sich aus einem Programmentgelt, Steuern, einem Kunstförderungsbeitrag und aus der Landesabgabe zusammen. Der ORF bekommt von der GIS-Gebühr also nur 18,6 Euro oder 67 Prozent des Gesamtbetrags. Hinzu kommt, dass die Länderabgabe österreichweit nicht einheitlich ist. Oberösterreich und Vorarlberg heben sie nicht ein, in der Steiermark beträgt sie 6,20 Euro, die höchste in ganz Österreich. Die GIS kostet daher in der Steiermark 28,65 Euro im Monat, in Vorarlberg nur 22,45 Euro. In das steirische Landesbudget werden in diesem Jahr so 30 Millionen Euro fließen.

Gerhard Koch,
Landesdirektor ORF
Steiermark:

„Ich empfinde den
Stiftungsrat nicht als
politisches Aufsichtsorgan.“

Die für den ORF zuständige Ministerin Susanne Raab (ÖVP) hat sich bislang nicht in die Karten schauen lassen, zu welchem Modell sie tendiert. Stattdessen verlangt sie vom ORF einen „Kassensturz“ und Einsparungen. Was im ORF als Drohung verstanden wird. Denn gespart wird im ORF seit vielen Jahren. In den letzten 15 Jahren wurden 900 Stellen abgebaut, die letzte Gebührenerhöhung blieb unter der Inflationsrate. Weil auch die Werbeeinnahmen zurückgehen und die Energiepreise hoch sind, fehlen dem ORF in diesem Jahr rund 80 Millionen Euro. Matthias Karmasin: „Selbstverständlich soll der ORF sparen. Aber ich erwarte mir von der Politik eine Antwort, wo er sparen soll: Soll er die Landesstudios auflösen, keine österreichischen Filme mehr produzieren, keine Fußballspiele mehr übertragen?“ Wer über die Finanzierung debattiert, der müsse auch dazu sagen, was der ORF leisten soll. „Was ist der öffentlich-rechtliche Auftrag in einer Mediendemokratie? Diese Debatte muss geführt werden“, fordert Karmasin. Johann Baumgartner ist im Publikumsrat für Kunst zuständig. Auch er betont, dass eine Diskussion über den Auft rag des Senders wichtig ist: „Der ORF spielt eine zentrale Rolle als Berichterstatter über Kultur und Kunst“, sagt er. „Er ist aber auch ein wichtiger Produzent und Auft raggeber. Ich würde mir wünschen, dass mehr über regionale Kultur berichtet wird und neue Vermittlungsformate, Stichwort ORF-Streaming-Plattform, entwickelt werden.“

Der ORF braucht einen unabhängigen Aufsichtsrat

NIKO SWATEK, Klubobmann der NEOS im steirischen Landtag

Reformbedarf gibt es nicht nur beim Geld, sondern auch bei Stiftungs- und Publikumsrat, den Aufsichtsgremien des ORF. In dem im Mai vergangenen Jahres neu formierten Stiftungsrat mit seinen 35 Mit-gliedern haben Vertreter von Schwarz-Grün eine komfortable Mehrheit: 16 Mitglieder gehören dem ÖVP-Freundeskreis an, sechs dem der Grünen. Haben sich damit die Regierungsparteien einen direkten Zugriff auf den ORF gesichert? Die Meinungen gehen hier auseinander. Gerhard Koch, Landesdirektor ORF Steiermark, verneint das: „Ich empfinde den Stift ungsrat nicht als politisches Aufsichtsorgan, sondern als Gremium, das sich ehrlich um eine positive Perspektive für den ORF bemüht.“ Auch Heinz Wassermann von der FH Joanneum ist davon überzeugt, dass Parteien das Recht haben müssen, Vertreter zu nominieren. „Bis jetzt habe ich kein besseres Modell gesehen“, sagt er. „Die Politik kann ja auch Experten schicken, wie die Neos, die eine international renommierte Digitalisierungsexpertin entsandt haben.“

FH Joanneum-
Medienexperte Heinz Wassermann:

„ORF-Finanzierung aus dem
Budget heißt Scheitelknien vor
dem Finanzminister.“

Matthias Karmasin widerspricht dem. Er wünscht sich eine Verkleinerung des Stiftungsrats, seine Mitglieder sollten Medienexperten sein. „Die Kandidaten sollten sich in öffentlichen Hearings präsentieren. Entscheiden soll eine Berufungskommission“, schlägt er vor. Niko Swatek von den steirischen NEOS schließt sich diesem Vorschlag an: „Der ORF braucht einen unabhängigen Aufsichtsrat, der einen mehrköpfigen Vorstand mit klarer Kompetenzverteilung bestellt und kontrolliert.“

Die Politiker interessiert nicht, wie es dem ORF geht,
sondern nur, wie es ihnen im ORF geht.

GERD BACHER, legendärer ORF-Generalintendant

Bewegung scheint indes in ein weiteres Kuriosum bei den Personalentscheidungen zu kommen: dem Anhörungsrecht des Landeshauptmann bei der Bestellung der Landesdirektoren. Der Steirer Christopher Drexler will darauf in Zukunft verzichten. „Ich denke, es ist an der Zeit auf diese Passage im neuen Rundfunkgesetz zu verzichten“, sagt auch Landesdirektor Gerhard Koch. Darauf verzichten will jetzt offenbar auch die Niederösterreicherin Johanna Mikl-Leitner. 

Der ORF spielt eine zentrale Rolle als Berichterstatter
über Kunst und Kultur.

JOHANN BAUMGARTNER, Mitglied des Publikumsrats

Fotos: Sterimark.at/Scheriau, FH Joanneum, ORF Schoettl, Conny Leitgeb

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