Grazetta

Leg doch mal das HANDY WEG!

Computerspiele, Instagram und Co, das Internet übt auf Kinder  und Jugendliche eine große Anziehungskraft aus. Wie Eltern mit  ihrem Nachwuchs zu einem vernünftigen Umgang mit der Online-Welt kommen, erklären Psychologen und Spiele-Experten.

Ich muss nur noch dieses Level fertig spielen“, wie viele Eltern haben diesen Satz nicht schon gehört. Kinder und Jugendliche aus der virtuellen in die reale Welt zurück zu holen, kann zur Herausforderung werden. Harmloses Vergnügen oder Gefahr für die kindliche Entwicklung, für Erwachsene ist es nicht leicht, in diesem Spannungsfeld eine richtige und vor allem praxistaugliche Antwort zu finden. Einen ersten, sehr wichtigen Hinweis gibt der Psychologe Armin Kaser, der über seine Website Online-Beratungen anbietet: „Wenn der Computer wichtiger wird als das echte Leben, als die Freunde oder der Fußball-Platz, dann ist Vorsicht geboten“, sagt er. Ob sich Eltern Sorgen machen müssen, hängt seiner Meinung nach nicht von der Zeit ab, die der Nachwuchs im Netz verbringt, sondern ob die Online-Zeit andere Aktivitäten verdrängt, oder gar ersetzt. Zu einem ganz ähnlichen Befund kommt Karina Kaiser-Fallent von der Bundesstelle „bupp“ im Bundeskanzleramt, die seit 2005 digitale Spiele überprüft und bewertet: „Wenn Computerspiele andere Lebensbereiche, wie Familie, Freunde und andere Hobbys gefährden, dann ist das ein Indiz dafür, dass das Spielverhalten problematisch ist und die Gefahr einer Sucht besteht.“

Die Weltgesundheitsorganisation hat 2018 Computerspielsucht als Krankheit anerkannt. Die Zahl der Süchtigen ist allerdings gering, sagen Prävalenz-Studien. Zwischen einem und sechs Prozent der männlichen Jugendlichen werden als süchtig eingestuft. „Mädchen sind, was gefährliches Verhalten betrifft, unterdiagnostiziert“, sagt Markus Meschik von der Beratungsstelle Enter in Graz. Der Grund: „Die Nutzung von Instagram, TikTok und Co lässt sich viel besser verheimlichen.“

Dass Verbote nicht zielführend sind, darin sind sich viele Experten einig. Eine mit dem Kind ausverhandelte Zeitbeschränkung jedoch schon. „Vier-bis achtjährige Kinder sollten höchstens eine Stunde pro Tag in ein Kasterl, egal ob Tablet oder Fernsehgerät schauen“, rät Kaser. „Ab neun Jahren höchstens 100 Minuten und ab zehn Jahren sollten Eltern einen wöchentlichen Zeitvertrag abschließen.“ Eine Überschreitung der ausverhandelten Zeit sollte zu einer Strafe führen, zu einem Tag ohne Internet zum Beispiel.

„Den Umgang mit Sozialen Medien so gestalten, dass er den Nutzerinnen guttut.“

JUTTA EPPICH UND HANNA ROHN (v.l.) Frauengesundheitszentrum Graz

Auch Karina Kaiser-Fallent, Psychologin und Mutter eines siebenjährigen Buben, setzt auf eine Verhandlungslösung: „Eltern sollten mit ihren Kindern über einen gesunden Umgang sprechen“, betont sie. „Sie sollen ihren Kindern erklären, dass es für ihre Augen und für ihren Körper nicht gesund ist, immer aus der gleichen Distanz auf einen Bildschirm zu schauen.“ Mit den Kindern also ausmachen, dass man nach einer Viertelstunde Internet aufsteht, sich ein Glas Wasser holt und den Blick ins Freie richtet. Wichtig sei ihrer Meinung nach, Interesse für dieses Hobby zu zeigen. Sich zeigen zu lassen, wie man Spiele spielt, wie man Soziale Medien nutzt: „Kinder und Jugendliche schätzen es sehr, wenn man sie erzählen lässt. Das schafft eine Basis dafür, auch einmal sagen zu können: ‚Jetzt hast du aber genug gespielt‘.“

Wenn vereinbarte Zeiten und gute Tipps zu keinem Ergebnis führen, sollte man sich mit dem Grund auseinandersetzen, warum das Internet so verlockend ist: „Sorgen Spiele für ein Erfolgserlebnis, das es in der realen Welt nicht gibt, lenken sie von Problemen ab oder sind sie ein Mittel gegen die Einsamkeit?“, sagt Markus Meschik von der Beratungsstelle Enter in Graz. „Viele Eltern sagen mir, ihr Kind spiele seit der Pandemie so viel. Im Gespräch stellt sich dann heraus, dass der Kindsvater in dieser Zeit die Familie verlassen hat.“ Umbrüche im Leben eines Heranwachsenden, die Scheidung der Eltern oder ein Schulwechsel können Auslöser für die Flucht in die virtuelle Welt sein. Sein Rat: „Eltern sollten andere Aktivitäten anbieten, auch wenn das alles andere als leicht ist.“ Wichtig sei, dass man Interesse an diesen Aktivitäten zeige, das Kind zuverlässig und regelmäßig zum Sport begleite, bei Wettkämpfen dabei sei und das Kind motiviere. „Es geht darum, eine Struktur zu etablieren“, betont Meschik.

„Mädchen sind, was gefährliches Verhalten betrifft, unterdiagnostiziert.“

MARKUS MESCHIK
Beratungsstelle Enter in Graz

Oder man kann ganz einfach einen anderen Umgang mit dem Internet anbieten. Auf diese Strategie setzen Jutta Eppich und Hanna Rohn vom Frauengesundheitszentrum. Sie arbeiten in ihrem Projekt Girlspirit mit Mädchen und jungen Frauen daran, „den Umgang mit Sozialen Medien so zu gestalten, dass er den Nutzerinnen guttut“. Denn in der Welt von Instagram und Co wird eine Welt präsentiert, in der Frauen grundsätzlich umwerfend schön und gertenschlank sind. „Mädchen wissen das zwar, und haben auch ein Risikobewusstsein, aber danach handeln tun sie nicht“, sagt Rohn. „Wir ermutigen unsere Workshop-Teilnehmerinnen weniger klischeehafte Darstellungen und bessere Informationen zu suchen, aber auch Soziale Medien dafür zu nutzen, Communities zu finden, die die eigenen Hobbys teilen.“

Wenn der Computer wichtiger wird als die Freunde, dann ist Vorsicht geboten.“

ARMIN KASER
Psychologe

Mädchen und junge Frauen sind vor allem in den Sozialen Medien unterwegs und viel seltener in der Community der Gamer. Rohn und Eppich machen für dieses Phänomen vor allem den oft ziemlich chauvinistischen Umgangston in der Szene verantwortlich. „Viele Mädchen und junge Frauen bekommen es mit Mobbing oder gar mit echten Übergriffen zu tun“, sagt Eppich. Das Gaming ein Burschenphänomen ist, bestätigt auch Markus Meschik. Was die Sache mit den Computerspielen darüber hinaus gefährlich macht, hat mit den finanziellen Interessen der Spieleentwickler zu tun. Meschik hat dazu die Studie „Insert Coin to Continue“ verfasst und festgestellt, wie oft Spieler dazu verleitet werden, bei einem bereits bezahlten Spiel Zusatzfunktionen zu kaufen. Denn aus den Zusatzverkäufen lukrieren die Spieleentwickler inzwischen ebenso viel Gewinn wie aus dem Verkauf des Spiels selbst. Zu dieser Einschätzung kommt auch Karina Kaiser-Fallent von der Spiele-Servicestelle des Bundeskanzleramts. „Spiele mit Multiplayer-Modus, also Spiele, die Eltern mit ihren Kindern gemeinsam spielen können, werden immer weniger angeboten, wenn, dann nur online“, kritisiert Kaiser-Fallent. Dafür gibt es zwei Gründe: Jeder Spieler muss das Spiel separat erwerben, zum anderen können Eltern eingreifen, wenn ein Zusatzelement gekauft werden muss, um weiterspielen zu können. „Ich halte diese Monetarisierung der Computerspiele für die problematischste Entwicklung der letzten fünf Jahre“, sagt sie. „Man findet fast kein Spiel mehr, das man einmal gekauft hat und lange erfolgreich und miteinander spielen kann.“

„Eltern sollten mit ihren Kindern über einen gesunden Umgang sprechen“

KARINA KAISER-FALLENT
Servicestelle bupp



Die Versuchung für Kinder ist groß, mit der Prepaid-Karte, die man von den Großeltern zum Geburtstag bekommen hat, sogenannte Lootboxen zu kaufen. Das ist eine Art Überraschungsei mit neuen Spielerfiguren oder Werkzeugen, die meist nicht das enthalten, was man sich gewünscht hat. Was aber auch vorkommt, ist, dass Kinder mit der am Gerät gespeicherten Kreditkarte der Eltern einkaufen oder Glücksspiele spielen. „Zu mir kommen Eltern, deren Kinder vierstellige Beträge bezahlt haben“, sagt Meschik. 

INFO


WELCHES SPIEL FÜR WELCHES ALTER
Auskunft darüber gibt die Bundesstelle für Positivprädikation von digitalen Spielen im Bundeskanzleramt (bupp).
Diese Einrichtung prüft Computerspiele und gibt Empfehlungen passend zum Alter des Kindes.
www.bupp.at

DR. ARMIN KASER
Online Test und Informationen zu Spielesucht
www.dr-armin-kaser.com/computerspiel-sucht/

BERATUNGSSTELLE ENTER FACHSTELLE FÜR DIGITALE SPIELE
Beratung für Eltern und Jugendlicher
www.fachstelle-enter.at

FRAUENGESUNDHEITSZENTRUM GRAZ
Informationen zum Projekt Girlspirit Influencerinnen für Power und gesunde Inspiration www.frauengesundheitszentrum.eu/girlspirit

INFORMATIONEN ZUM FRAUENBILD IN DEN SOZIALEN MEDIEN
www.malisastiftung.org/geschlechterdarstellung-neue-medien

Fotos: istock.com, privat, Obergeschwandner

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