Prim. Prof. Dr. Felix Aigner und Dr. Bernd Friedrich Höfler sind Chirurgen am Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Graz. Gemeinsam mit weiteren Ärzten widmen sie sich dem Fachgebiet der Koloproktologie, also der Erkrankung des Dick- und Enddarms. Welche Operationen die beiden gemeinsam mit ihren Kollegen durchführen und warum Forschung und Studien einen wichtigen Stellenwert im Krankenhaus haben, erklären die beiden im GRAZETTA-Interview.
GRAZETTA • Sie sind Spezialisten im Bereich der Koloproktologie. Mit welchen Erkrankungen befasst sich das Fachgebiet?
FELIX AIGNER • Bei der Koloproktologie handelt es sich um die Lehre der Erkrankungen des Dick- und des Enddarms. Das Kolon ist der Dickdarm. Die Proktologie befasst sich mit dem Enddarm, sprich mit der näheren Umgebung des Afters. Wir haben hier im Haus eine der größten Abteilungen für Enddarmerkrankungen in Österreich.

Prim. Prof. Dr. Felix Aigner (l.)
Vorstand der Chirurgischen Abteilung am Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Graz. Facharzt für Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie, Europäischer Facharzt für Koloproktologie und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Coloproktologie Austria (ACP).
Dr. Bernd Friedrich Höfler (r.)
Facharzt für Chirurgie am Krankenhaus der Barmherzigen Brüder und Kassier der Arbeitsgemeinschaft für Coloproktologie Austria (ACP).
Welche Erkrankungen müssen operativ behandelt werden?
BERND FRIEDRICH HÖFLER • Zu den häufigsten Erkrankungen im Bereich des Enddarms gehört sicherlich das Hämorrhoidalleiden, also die Ausweitung der Gefäße im Bereich des Afters mit Symptomen wie Juckreiz, Bluten oder Knotengefühl. Mehr als die Hälfte aller Menschen ist irgendwann von diesem Leiden betroffen. Weiters treten im Enddarmbereich häufig Abszesse oder eitrige Entzündungen auf, die ope riert werden müssen. Die Abszesse führen manchmal auch zu chronischen Formen, sogenannten Fisteln. Wir führen auch Operationen bei Beckenbodenschwäche durch, beispielsweise Schleimhautraffungen oder Hebungen im Bereich des Beckenbodens. Dies kann zu einer Heilung oder zumindest Besserung bei Stuhlinkontinenz oder bei Verstopfung führen.
Welche Erkrankungen betreffen den Dickdarm?
FA • Hier steht an erster Stelle das kolorektale Karzinom, also der bösartige Krebs im Dickdarm, gefolgt von der Divertikel-Erkrankung. Dabei handelt es sich um eine Veränderung der Darmwand. Es entstehen kleine Ausstülpungen, die sogenannten Divertikel, in denen sich Stuhl ablagert. Wenn sie sich entzünden, spricht man von der Divertikulitis. Treten Entzündungen oder gar Blutungen wiederholt auf, muss der Dickdarmanteil, in dem sich die Divertikel befinden, chirurgisch entfernt werden.
Wie läuft eine Operation ab? Stichwort Knopflochchirurgie.
BFH • Beim Dickdarm hat die Knopflochchirurgie die offenen Verfahren weitgehend abgelöst. Diese Art der Operation ist für den Patienten wesentlich schonender und der postoperative Verlauf ist ungleich besser. Die Patienten haben weniger Schmerzen und können meist nach wenigen Tagen nach Hause gehen. Zum Vergleich: Früher blieben die Patienten häufig bis zur Nahtentfernung am zwölften postoperativen Tag in stationärer Behandlung.
Seit März dieses Jahres verfügt das Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Graz über das Da Vinci-Operationssystem. Welche Vorteile hat das Operieren mit dem Roboter?
FA • Die ganz große Stärke von Da Vinci ist die Beweglichkeit im engen Raum. Wir verwenden ihn unter anderem bei Operationen am Mastdarm, also am letzten Teil des Dickdarms. Sie müssen sich vorstellen, dass der untere Bereich des Beckens, gerade bei Männern, sehr eng und oft unübersichtlich ist. Die Roboterarme haben den Vorteil, dass sie sich in alle Richtungen drehen und wenden lassen. Als Chirurg hat man so viel mehr Beweglichkeit. Außerdem haben wir mit dem Roboter eine bis zu zehnfache Vergrößerung und er ‚zittert‘ nicht.
In welchen Bereichen wird der Da Vinci eingesetzt?
FA • Prinzipiell ist er für jede Operation in der Bauchhöhle einsetzbar. Die Allgemeinchirurgen und die Gynäkologen hier am Haus verwenden ihn. Aktuell führen wir rund zehn Eingriffe in der Woche mit dem Da Vinci durch.
Jeder sechste Darmkrebs wird mittlerweile bei unter 50-Jährigen diagnostiziert. Daher wird dazu geraten, das Alter für die Vorsorgeuntersuchung von 50 auf 45 zu senken. Dennoch scheuen sich viele davor. Warum?
BFH • In der Vorstellung ist die Darmspiegelung für viele Patienten etwas Unangenehmes. Tatsächlich ist es aber schmerzfrei. Man befindet sich im Dämmerschlaf. Der große Vorteil dieser Vorsorgeuntersuchung ist, dass schon Vorstufen vom Krebs erkannt und abgetragen werden können. Das wird in unserer Endoskopie tagtäglich auch so gemacht. Bis sich aus der Vorstufe, einem sogenannten Polyp, Darmkrebs entwickelt, kann es fünf bis zehn Jahre dauern. Wenn man also alle fünf bis sieben Jahre zur Vorsorge geht, kann man eigentlich entspannt sein.
Dr. Bernd Friedrich Höfler:
„Der große Vorteil der Darmspiegelung ist, dass schon Vorstufen vom Krebs erkannt und abgetragen werden können. Das wird tagtäglich auch so gemacht.“

Viele fürchten sich bestimmt auch vor einem künstlichen Darmausgang.
BFH • Künstliche Darmausgänge sind nicht mehr so häufig notwendig wie früher. Meistens werden sie auch nur vorübergehend angelegt und können bereits nach einigen Wochen rückverlegt werden. Falls chronische entzündliche Darmerkrankungen, wie Colitis ulcerosa, die Entfernung des Dickdarms notwendig machen, kann man in einer anspruchsvollen Operation tatsächlich aus Dünndarmschlingen eine Art Reservoir mit einer gewissen Speicherfunktion herstellen. Patienten haben dann zwar mehrmals am Tag weicheren Stuhl, verlieren ihn aber nicht mehr spontan und unbemerkt. Ein künstlicher Ausgang kann so vermieden werden.
FA • Ein Stoma, also ein künstlicher Darmausgang, soll in bestimmten Krankheitsfällen die Lebensqualität verbessern. Patienten sind häufig im ersten Moment geschockt. Viele sind aber positiv überrascht, weil sie mit dem Stoma wieder die Möglichkeit haben, Sport zu betreiben oder Konzerte zu besuchen. Die Materialien sind heutzutage so gut, dass man keinen Geruch wahrnimmt. In unserem Haus haben wir speziell ausgebildete Stomatherapeuten, die sich sowohl vor als auch nach der Operation und sogar in weiterer Folge im ambulanten Bereich um Patienten intensiv kümmern und für Rückfragen jederzeit erreichbar sind.
Ein weiteres großes Tabuthema sind Enddarmerkrankungen und Inkontinenz. Wie können Sie Patienten helfen, die beispielsweise an Stuhlinkontinenz leiden?
BFH • Inkontinenz ist immer noch ein Tabuthema und Patienten scheuen sich oft, darüber zu sprechen. Das Wichtigste ist Experten aufzusuchen. Oft sind Beckenbodenveränderungen dafür verantwortlich, das muss allerdings genau abgeklärt werden. Für die Behandlung oder Linderung stehen uns viele Möglichkeiten zur Verfügung. Oft helfen einfache Dinge: Ein Zäpfchen morgens entleert den Enddarm und man hat danach mehrere Stunden Zeit, einkaufen zu gehen oder Freunde zu treffen. Beckenbodenschulungen und diätetische Maßnahmen können ebenfalls Linderung bringen. Schließlich können wir verschiedene Operationen anbieten, wenn die konservative Therapie nicht den gewünschten Erfolg bringt. In unserem Krankenhaus wird auch die sakrale Neuromodulation durchgeführt. Bei dieser Operation wird eine Art Schrittmacher im Gesäß eingebaut, um Inkontinenz zu behandeln.
Am 19. Mai war der Tag der chronischen entzündlichen Darmerkrankungen, wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa. Beide Erkrankungen lassen sich lange Zeit medikamentös behandeln. Ab wann werden Sie als Chirurgen hinzugezogen?
BFH • Wir werden dann hinzugezogen, wenn diese Krankheiten zu Komplikationen, beispielsweise zu Verengungen oder Fisteln im Darm führen. Selbst wenn der Patient medikamentös sehr gut eingestellt ist, können diese Engstellen eine chirurgi sche Behandlung erforderlich machen. Die zweite Indikation für eine Operation ist, wenn die Erkrankungen Fistelgänge bildet. Hat ein Patient diese Verbindungen vom Darm zur Bauchdecke, zur Haut oder in andere Teile des Darms, führt meist kein Weg an der Operation vorbei.

Prim. Prof. Dr. Felix Aigner:
„Wir haben eine der größten Abteilungen für
Enddarmerkrankungen
in Österreich.“
Das Krankenhaus der Barmherzigen Brüder ist auch für seine Studien bekannt. Eine davon beschäftigt sich mit Fisteln.
BFH • Wir nehmen an mehreren Studien teil, aber eine davon, die sogenannte CRAFT Studie, hat ihren Ausgang in Maastricht in Holland. Die Studie sammelt die Daten von 1.000 Fistelpatienten in ganz Europa und möchte erforschen, welche verschiedenen Verfahren bei der Diagnostik und der Behandlung von Fisteln angewandt werden. Ich finde es wichtig, dass wir in der Medizin uns ansehen, welche Verfahren gute Ergebnisse gebracht haben und gegebenenfalls unsere Standards im Sinne der besten Patientenversorgung anpassen.
Das Classica Projekt läuft seit 2022 und wird Ende 2026 abgeschlossen. Können Sie einen Überblick über die bisherigen Ergebnisse der Studie geben?
FA • Classica ist ein EU gefördertes Projekt, dessen Ziel es ist, Mastdarm-Tumore, die grenzwertig groß sind, besser einschätzen zu können. Bisher gab es bei der endoskopischen Abtragung von Frühkarzinomen immer noch eine große Rate an unvollständig abgetragenen Tumoren. Die KI gestützte Software hilft uns, während der Operation die Grenzen zwischen gutartigem und bösartigem Gewebe zu differenzieren. Ein weiterer Anwendungsbereich ist bei der Vorsorgekoloskopie. Hier werden Proben entnommen und die Software errechnet eine Wahrscheinlichkeit, ob der Tumor gut- oder bösartig ist.
Wie wird die Software in der Praxis eingesetzt?
FA • Wir verwenden die Software aktuell im Rahmen der Studie an Patienten und haben fantastische Ergebnisse erzielt. Über die Vene wird dem Patienten ein Fluoreszenzfarbstoff gespritzt. Der Farbstoff gelangt über die Blutbahn in das Gewebe und den Tumor. Wir wissen, dass normales Gewebe und Tumore unterschiedlich durchblutet sind, daher leuchtet der Farbstoff in den verschiedenen Gewebearten auch unterschiedlich. Mit freiem Auge erkennt man es nicht, aber mit Hilfe einer speziellen Kamera. Aus diesen Daten errechnet dann die KI, mit welcher Wahrscheinlichkeit es sich um einen bösartigen Tumor handelt.
Eine neue Art der Tumorerkennung ist die Liquid Biopsy, also Flüssigbiopsie. Wozu dient sie?
FA • Bei der Liquid Biopsy wird Blut abgenommen und auf bestimmte Veränderungen untersucht. Ein Tumor, der beispielsweise im Dickdarm sitzt, stößt Eiweißmoleküle aus, die sich in der Blutbahn befinden. Mit einem speziellen und sehr aufwendigen Verfahren werden die Proteine aus dem Blut extrahiert und analysiert. Wir arbeiten hier eng mit der Humangenetik der Medizinischen Universität Graz zusammen. Grundsätzlich dient die Liquid Biopsy zur Prognose für Patienten, die ein erhöhtes Risiko für einen wiederkehrenden Tumor haben.
Fotos: Miriam Raneburger; Werbung






