Grazetta

Die Kunst des Gebens

Philanthropisches Engagement stärkt den sozialen Zusammenhalt einer Gesellschaft und hilft immer dort, wo öffentliche Einrichtungen versagen. Eine Annäherung an ein in Österreich noch immer unterschätztes Phänomen zivilgesellschaftlichen Engagements.

Geben ist seliger als nehmen“, heißt es in der Bibel und inzwischen auch im Volksmund. Und tatsächlich tragen Spenden wesentlich zum Funktionieren demokratischer Gesellschaften bei. Wenn es um die Unterstützung gesellschaftlich relevanter Projekte geht, gibt es verschiedene Formen des Gebens. Man unterscheidet daher zwischen Philanthropie und Charity. „Wasserflaschen in ein von Trockenheit geplagtes Dorf bringen, das ist Charity. Einen Brunnen graben, das ist Philanthropie“

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, heißt es in einem Versuch, eine Trennlinie zu ziehen. Das Institut für Höhere Studien (IHS) in Wien hat in diesem Sommer die Studie „Wie kann eine Kultur der Philanthropie aufgebaut werden?“ veröffentlicht, die die Rahmenbedingungen für langfristiges Engagement vermögender Menschen für das Gemeinwohl untersucht. „Eine Kultur des Spendens, beziehungsweise der Philanthropie wird in Österreich als wenig ausgeprägt erlebt“, schreiben die IHS-Autoren. Was wohl auch daran liegt, dass hier die Mentalität vorherrsche, dass der Staat für die Lösung von Problemen zuständig sei, wie Großspender in Interviews mit den IHS-Autoren angegeben haben. Dass die Interviewten mit diesem Verdacht recht haben könnten, belegt die Statistik. Von den rund 3.000 Privatstiftungen in Österreich sind nur etwa 745 gemeinnützig. Zum Vergleich: In Deutschland sind 95 Prozent der 17.000 Stiftungen gemeinnützig. Vergleicht man die Ausschüttungen pro Kopf der Wohnbevölkerung in Deutschland und Österreich, wird der Unterschied noch deutlicher: In Deutschland kommt man pro Einwohner auf jährliche Ausgaben von zwischen 180 und 230 Euro, in Österreich sind es zwischen einem und fünf Euro.

Für diesen doch sehr großen Unterschied zwischen den beiden Staaten gibt es steuerrechtliche und zivilrechtliche Gründe. Aber wohl auch kulturelle, wie ein Blick auf US-amerikanische Stiftungen zeigt. In den USA gibt es mehr als 72.000 Privatstiftungen mit einem Vermögen von mehr als 600 Milliarden US-Dollar. „Stiften ist (…) keine besonders fluide Form des Gebens, sie ist auf Institutionalisierung hin angelegt“, schreibt der Soziologe Frank Adloff, der philanthropische Einrichtungen in Deutschland und in den USA untersucht hat.

Auch wenn philanthropische Stiftungen in den USA eine größere gesellschaftliche Bedeutung haben – auch weil dort der Sozialstaat um ein Vielfaches schwächer ausgebaut ist als in europäischen Ländern – eine amerikanische Erfindung sei die Philanthropie nicht

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, wie Adloff betont. Das europäische Hochmittelalter kannte einen wahren Stiftungs-Boom adeliger Familien, die sich mit der Errichtung von Klöstern und Hospitälern einen Platz im Himmel sichern wollten. Im frühen 19. Jahrhundert erreichte die organisierte Philanthropie in Österreich mit 10.000 Stiftungen und Fonds ihren Höhepunkt. „Im Nationalsozialismus wurden Stiftungen willkürlich eingezogen, umgewidmet und aufgelassen. Als Begründung für den Vermögensentzug reichte es, einen jüdischen Stifter zu haben“, heißt es in der IHS-Studie. „Trotz eines wirtschaftlichen Aufschwungs hat sich das Stiftungswesen nach 1945 nur langsam erholt.“

SPENDENVOLUMEN IN ÖSTERREICH

ROTES KREUZ:
77 Millionen Euro

CARITAS:
74,5 Millionen Euro

SOS-KINDERDORF:
38,16 Millionen Euro

ÄRZTE OHNE GRENZEN:
24,31 Millionen Euro

DREIKÖNIGSAKTION:
17,61 Millionen Euro

GREENPEACE:
16,65 Millionen Euro

AMNESTY INTERNATIONAL:
6,43 Millionen Euro

Die Autoren vermuten, dass die Kultur der Philanthropie 2023 in Österreich schwächer ausgeprägt sei als in der Vergangenheit. Auch deshalb, weil deren Leistungen von staatlichen Einrichtungen abgelöst worden sind.

Motive des Gebens
Wenn es um die Gründe geht, warum Menschen für wohltätige Zwecke spenden, zeigen sich Unterschiede zwischen den Geschlechtern. „Frauen werden stärker von emotionalen Appellen beeinflusst, sie erwarten persönliche Anerkennung“, heißt es in der IHS-Studie. „Junge vermögende Männer spenden eher für den Kunstbereich. Verheiratete Männer spenden mehr als alleinstehende.“

Unterschiede gibt es auch beim Alter der Spender: Ältere spenden mehr als junge, was wohl auch mit dem zur Verfügung stehenden Vermögen erklärt werden kann. Auffällig ist auch, dass mit dem Bildungsgrad die Spendenbereitschaft steigt. Pro Jahr spenden die Österreicher knapp 100 Euro pro Jahr, in Deutschland sind es um die 200 Euro pro Kopf und Jahr. Ein Grund dafür könnte die Absetzbarkeit der Spenden sein. In Österreich können nämlich nicht alle Spenden von der Steuer abgesetzt werden. Ein Handicap für Nicht-Regierungsorganisationen, das die Bundesregierung noch in diesem Jahr beenden will, indem die Absetzbarkeit auf den gesamten gemeinnützigen Bereich ausgeweitet wird. Unternehmen können Sach- und Geldspenden in der Höhe von bis zu zehn Prozent von der Steuer absetzen. Für Privatpersonen gilt die Zehn-Prozent-Grenze für das steuerpflichtige Einkommen.

Höhepunkt der  Philanthropie: Am Beginn des  19. Jahrhunderts gab  es in Österreich 10.000 Stiftungen.

Ein Beispiel für das karitative Engagement des Bürgertums im 19. Jahrhundert sind die Grazer Oberlandler. 1883 gründeten Grazer Kaufleute die „Alpine Tischgesellschaft D’Oberlandler z‘Graz“ nach dem Vorbild einer bäuerlichen Gemeinde. Die Herren sahen bei Wanderungen im steirischen Oberland die Armut vieler Familien. Also gründeten sie einen Verein, um die Armut am Land zu lindern. „Die Bekleidung armer Schulkinder in der deutschen Steiermark und die Förderung von Schülersuppenanstalten dortselbst“ machten sie sich zur Aufgabe. 1888 fand die erste Kindereinkleidung in der Volksschule Stattegg statt.

Die Tradition, Bedürftige zu unterstützen, wird 140 Jahre nach der Gründung der Oberlandler noch immer hochgehalten. 2022 haben die Oberlandler rund 200.000 Euro für Sachspenden aufgewendet. Wichtig ist den Oberlandlern dabei immer der persönliche Kontakt zu den unterstützten Personen. Braucht eine Mindestpensionistin eine neue Küche, überzeugt sich der zuständige Bauer vor Ort von der Bedürftigkeit und kümmert sich in der Folge um Bestellung, Finanzierung und Einbau der Küche.

Charity
Anonymer, aber um ein Vielfaches öffentlichkeitswirksamer ist da schon die Aktion „Licht ins Dunkel“ (LID). Seit mehr als 50 Jahren sammelt der von sozialen Organisationen getragene Verein Spenden für in Not geratene Familien. 36,9 Millionen Euro wurden in der Saison 2021/2022 erreicht. „Licht ins Dunkel ist eine der stärksten Marken des Zusammenhalts“, sagt ORF-Generaldirektor Roland Weißmann über die Aktion, die der ORF als Medienpartner wesentlich unterstützt.

Fotos: Unsplash, Freepik

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